Text: Kathia Baltisberger Fotos: Tina Sturzenegger

Plädoyer für Trutenfleisch. 45 Millionen Truthähne werden in den USA alleine für Thanksgiving geschlachtet. In der Schweiz ist der letzte Donnerstag im November jedoch kein Feiertag, entsprechend hat sich das Festmal hier nicht festgesetzt – ganz im Gegensatz zum Folgetag, dem Black Friday. Dabei würde es sich lohnen, dem Geflügel etwas mehr Beachtung zu schenken – auch in der Spitzengastronomie. Stefan Beer, 16-Punkte-Chef im Swiss Deluxe Hotel Victoria-Jungfrau in Interlaken, hat sich in den letzten Jahren vermehrt mit dem Geflügel auseinandergesetzt. Unabhängig von Thanksgiving setzte er Trutenfleisch auf die Karte. Er bereitete die Schenkel wie eine Haxe zu, die Brust rollte er mit Trüffel ein. So kam das Gericht auf «Z'Menu vo hie», das sich ausschliesslich aus Produkten aus einem Umkreis von 40 Kilometern zusammensetzt. 

Stefan Beer Victoria Jungfrau Interlaken

Gewinnen keinen Schönheitspreis, doch geschmacklich sind Truthähne besser als ihr Ruf.

Aus der Region. Bis nach Einigen BE, wo die Truthähne und Truthennen leben, sind es gerade mal 20 Kilometer. Stefan Beer kauft die Tiere bei Sandra Gertsch ein. Sie züchtet Hühner und Truten, hält ein paar Schweine und backt frisches Brot für ihren Hofladen. Und sie nimmt gerne «Sonderwünsche» von Starchefs an. Neben den Truten, Freilandhühnern und Schwarzfusshühnern hat sie extra für Stefan Beer Perlhühner gekauft. «Ein Pilotprojekt», erklärt Beer. Die Geflügelzüchterin musste erst ein bisschen pröbeln: Welches Futter ist optimal und welche Kosten fallen an? Doch der «Test» ist gelungen. Sie besorgt Nachschub, 250 Perlhühner für das Victoria-Jungfrau!

Stefan Beer Victoria Jungfrau Interlaken

Sandra Gertsch züchtet exklusiv für Stefan Beer Perlhühner.

Stefan Beer Victoria Jungfrau Interlaken

Auf dem Hof in Einingen werden alte Birnensorten angebaut.

Auf den Punkt! Doch was ist das Besondere an dem Geflügel? «Das Fleisch ist viel feiner, es schmeckt anders als ein normales Poulet», sagt Beer. «Klassisch französisch wird es eigentlich nicht ganz durchgebraten. Aber das kann man in der Schweiz natürlich nicht machen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man es genau auf den Punkt gart.» Das Fleisch werde sonst sehr schnell trocken. Das gilt übrigens auch für den Truthahn. «Das ist gar nicht so leicht. Das Fleisch muss durch sein, gleichzeitig darf es nicht trocken sein. Aber wenn der Truthahn gelingt, ist das eine ganz fantastische Sache. Und die Füllung, die sich mit dem Saft des Vogels vollgesogen hat, das schmeckt schon sehr gut», schwärmt der Chef.

Stefan Beer Victoria Jungfrau Interlaken

Nach einem Probelauf mit 40 Perlhühnern hat Sandra Gertsch nochmals 250 nachbestellt.

Stefan Beer Victoria Jungfrau Interlaken

Sandra Gertsch hat neben Geflügel und Schweinen auch mehrere Obstbäume.

Ansturm nach dem Lockdown. Ganze Vögel wie die Amerikaner macht Beer weniger – der Brauch ist ja auch nicht «vo hie». Und der Ruf des Truthahns ist eben auch nicht der beste. «Wenn die Gäste Truthahn auf der Karte sehen, bestellen sie das weniger. Aber kommt das Geflügel im Überraschungs-Menü, sind sie begeistert.» Doch egal, ob Truthahn oder Perlhuhn: Wann Stefan Beer seinen Gästen Geflügel aus der Region servieren kann, ist noch unklar. Wegen Corona ist das Victoria Jungfrau im Moment geschlossen. Doch Beer ist gewappnet. Nach dem Lockdown im Frühling hatte er die Befürchtung, es könne etwas langweilig werden. «Mein Stellvertreter sagte noch: Chef, wir haben vielleicht etwas zu viel Geflügel bestellt.» Nach einer Woche mussten wir nachbestellen. Das Schwarzfusspoulet (hier gehts zum Rezept!) sorgte damals für Begeisterungsstürme. Beim Perlhuhn darf dann sicherlich mit ähnlichen Prognosen gerechnet werden.

 

>> Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa
Restaurant La Terrasse
Höheweg 41
3800 Interlaken

 

www.victoria-jungfrau.ch