Daniel Humm, was hat Ihre Ankündigung ausgelöst, nach rund vier Jahren im «Eleven Madison Park» wieder Fleisch und Fisch zu servieren?
Es war lustig zu beobachten: Als ich vor viereinhalb Jahren verlauten liess, nur noch pflanzliche Gerichte zu servieren, brach ein Sturm los. Und nachdem ich jetzt gesagt habe, dass wir wieder Anpassungen am Menü machen, brach ein neuer Sturm los. 


Wie fühlen Sie sich im Auge des Orkans?
Ich fühle mich gut damit. Wir haben jetzt 18 Saisons oder Menüs mit dieser neuen Richtung gestaltet und sind mit der Entwicklung einer vollkommen neuen Küche sehr weit gekommen. Aber es fühlte sich plötzlich auch sehr limitierend an.


Sind Sie gescheitert?
Überhaupt nicht. Wir wollten nach der Pandemie eine Küche ohne tierische Produkte entwickeln und hatten das Ziel, damit drei Sterne vom «Guide Michelin» zu bekommen. Das haben wir als erstes Restaurant überhaupt erreicht. Ein wichtiger Pfeiler unserer Tätigkeit ist aber auch die Gastfreundschaft. Wir wollen niemanden ausschliessen. Wenn sich der Hummer oder die Ente, die wir künftig wieder servieren, das trojanisches Pferd sind, damit gewisse Gäste wieder kommen und dann vor allem Gemüse essen, ist das in unserem Sinne. Auch wenn ich wenig Fleisch esse, bin ich selbst kein Veganer, ich sehe das nicht als Schwarz und Weiss. 

Haben Sie unterschätzt, wie ein so radikaler Schritt beim Publikum ankommt?
Ich habe nicht damit gerechnet, dass viele Leute eine enorme Schwellenangst haben, in ein veganes Restaurant zu gehen. Ich hatte mir vorgestellt, dass das eher wie die Frage ist, «gehen wir italienisch oder indisch essen?». Aber für manche ist das, als würden sie eine Entscheidung fürs Leben fällen. Mit dem Essen sind viele Emotionen verknüpft, es geht um Identität. Aber zum Glück bin ich naiv an die Sache herangegangen. Sonst hätte ich nicht den Mut gehabt, das so zu machen. Und grundsätzlich ist es auch ein Erfolg: Wir sind jeden Abend ausgebucht. Aber Anlässe für grössere Gruppen zu verkaufen, ist fast unmöglich. Wir haben es sehr weit gebracht, aber es reicht nicht ganz. 


Ist es am Ende einfach eine wirtschaftliche Frage?
Für mich geht es um die Flexibilität und die Fähigkeit, an seiner Vision festzuhalten und gleichzeitig flexibel zu bleiben, wenn die Realität sie in Frage stellt. Anstatt sich an seine Fantasie zu klammern und sie mit Gewalt durchsetzen zu wollen, sollte man das Leben so akzeptieren, wie es ist, und mit dem arbeiten, was tatsächlich um einen herum geschieht. Das bedeutet nicht, dass man seine Vision komplett aufgeben muss. Ein gewisses Mass an Kühnheit und Selbstvertrauen ist notwendig, um das zu tun, was wir tun. Aber es gibt einen Unterschied zwischen gesundem Selbstvertrauen und der Grossspurigkeit zu glauben, man könne alles kontrollieren.


Wie meinen Sie das?
Ich bin jemand, der die Dinge gerne unter Kontrolle hat. Deshalb bin ich wohl auch Koch geworden: In meiner Küche kann ich alles kontrollieren. Aber was ausserhalb passiert, entzieht sich meiner Kontrolle. Zu lernen, sich diesen Umständen zu fügen, sehe ich nicht als Niederlage – es braucht Mut, das zu akzeptieren und die Dinge auf neue Weise wieder zum Laufen zu bringen. Als Koch ist das anders als etwa für einen Maler. Kochen ist nicht nur eine Kunstform, es ist auch ein Geschäft, und es geht um Gastfreundschaft. Die ständige Veränderung gehört im Übrigen zu diesem Restaurant.

Daniel Humm mit Gästen

«Es geht um Gastfreundschaft»: Daniel Humm mit Gästen im «Eleven Madison Park».

Inwiefern?
Im «Eleven Madison Park» wurden in den 20 Jahren, seit ich jetzt hier bin, schon viele Kapitel geschrieben. Erst war es eine Brasserie, gefolgt von europäisch-modernem Fine Dining, dann haben wir ein Menü mit bloss 16 Wörtern geschrieben, uns danach auf New York fokussiert, dann auf stark reduzierte Gerichte. Schliesslich kam die Pandemie, gefolgt von der neuen, pflanzenbasierten Küche. Jedes Kapitel ist langsam gewachsen, das wird auch beim nächsten so sein. Wir haben viereinhalb Jahre vegan gekocht, jetzt ist es Zeit für etwas Neues. Und hier kann ich meine ganze Erfahrung als Koch einbringen.


Spüren Sie bei manchen Reaktionen auf diese Wende eine gewisse Schadenfreude?
Ich habe nichts zu verstecken. Fortschritt ist nie linear. Man kann nicht etwas Neues beginnen, und dann ist es geschafft. Veränderungen brauchen Zeit. Das Schlimmste ist, wenn man aufhört, sich zu verändern. Der Status Quo interessiert mich nicht. Es hat mich tatsächlich gestört, dass gewisse Leute, die ich im Restaurant haben möchte, nicht mehr gekommen sind. Jene, die sich mit Wein auskennen, und die Grand Crus trinken beispielsweise sind Gäste, die man als Koch mag, weil Sie auch etwas vom Essen verstehen. Es ist aber so, dass diese Leute der Meinung sind, aussergewöhnliche Weine trinke man am besten zu Fleisch.

Sind Sie rückblickend zu radikal an die Sache herangegangen?
Wenn wir uns nicht diese Grenzen gesetzt hätten, hätten wir vieles nicht erreicht und nicht gelernt. Heute finde ich unsere Koji-Fonds viel interessanter als die früheren klassischen Geflügelfonds. Mit dem Ricotta aus Algen, dem «Brioche feuilletée» ohne Butter oder der Butter aus Sonnenblumenkernen sind uns erstaunliche Dinge gelungen. Es bleibt das interessanteste und bewegendste Kapitel meiner Karriere. Wir haben eine komplette neue Sprache entwickelt und uns von der klassisch-französischen Küche gelöst. Warum man beispielsweise Gemüse mit Butter und Geflügelfond glasiert, hat mir nicht mehr eingeleuchtet. Stattdessen haben wir uns mit den Küchen des Nahen Ostens befasst, mit indischen und japanisch-buddhistischen Einflüssen und dort viel Inspiration gefunden. Repetition hat mich noch nie zufrieden gemacht, und wir wären in Gefahr geraten, uns zu wiederholen. 

Humm Küche mit Kollegen

«Eine ganz neue Sprache»: Humm mit seinen Sous-Chefs bei der Entwicklung neuer Gerichte.

Brioche Feuiletee EMP

«Das interessanteste Kapitel meiner Karriere»: «Brioche Feuilletée» ohne Butter in der «EMP»-Küche.

Ganz konkret: Wie sieht das nächste Kapital aus – vegane Küche plus Fisch und Fleisch?
Ungefähr so, ja. Die Gerichte mit Gemüse bleiben vegan, dazu gibt es Gerichte mit Fisch und Fleisch, vielleicht auch mal einen schönen Käse oder Rahm. Aber dann muss sich das Gericht um dieses Produkt drehen. Es wird auf jeden Fall gewisse Wahlmöglichkeiten im Menü geben. Wir sind jetzt daran, diese Ideen zu entwickeln.


Saucen und Fonds sind das Rückgrat einer Küche. Wie gehen Sie künftig damit um?
Wenn wir Hummer servieren, macht es Sinn, die Karkassen für die Sauce zu verwenden. Wir werden aber nicht mehr Kühlschränke voller Hühnerfond haben und auch Kalbsjus kochen wir keine mehr. Es wird aber zur Ente einen Jus geben, auch das ist schliesslich sinnvoll, weil man dafür das ganze Tier verwenden kann. 


Ihre Begründung für den Schritt in die pflanzenbasierte Küche waren auch Umweltaspekte. Schliessen Sie auf dieser Grundlage gewisse tierische Produkte aus?
Ich weiss es noch nicht. Grenzen will ich mir noch keine setzen. Ich habe in der vergangenen Woche von gefühlt jedem Metzger in und um New York eine E-Mail mit Angeboten erhalten und bin gespannt auf Gespräche mit diesen Leuten. Ich denke, die tierischen Produkte, die wir verwenden, sollten lokal sein und ökologisch Sinn machen. Der Hummer kommt von unserer Küste, auch Muscheln und Austern sind nachhaltig. Vielleicht ist eine alte Kuh ein sinnvolles Produkt oder die Verwertung ganzer Tiere. Ich lasse das im Moment wirklich komplett offen.

Ente Honig EMP

Comeback im Oktober 2025: Humms mit Honig und Lavendel glasierte Ente.

Daniel Humm EMP

Ein Bild aus dem Privatalbum: Daniel Humm in früheren Tagen im «Eleven Madison Park».

Wann wird das erste Menü im neuen Format serviert?
Mit dem neuen Herbstmenü ab dem 14. Oktober 2025 werden wir gewisse Fleisch- und Fischprodukte wieder zur Auswahl anbieten.


Eine letzte Frage, hat Ihre kürzliche Heirat mit der Schauspielerin Annabelle Dexter Jones etwas mit diesem neuen Schritt im «EMP» zu tun?
Vielleicht insofern, als dass mein Leben gerade in totaler Balance ist. Ich hatte extremere Beziehungen und Momente als Koch. Jetzt habe ich eine neue Ruhe gefunden. Deshalb passt dieses neue Kapitel, mit dem ich versuche, alles in Einklang zu bringen, ganz gut zu dieser Phase meines Lebens.

Daniel Humm Hochzeit

«Mein Leben ist in totaler Balance»: Hochzeit mit Annabelle Dexter Jones im Juni 2025.

Fotos: Ye Fan, Evan Sung, David Schnapp, HO