Text: Kathia Baltisberger Fotos: Gianluca Trezzini, Marty | Trezzini

Von den Slums in die Küche. Im klassischen Märchen sind es oft strahlende Helden oder mutige Prinzen, die ein armes Mädchen aus dem Elend befreien. Die Geschichte von Mariya Un Noun klingt zwar auch wie ein Märchen, doch ihre «Rettung» waren ihr Talent und ihr unbändiger Wille. Die Kambodschanerin ist in den Slums der Hauptstadt Phnom Penh aufgewachsen, wurde als Kind verkauft. Der Herr des Hauses versuchte, sie sexuell zu belästigen. Mariya flüchtete und endete in einer Kleiderfabrik. Hannes Schmid, Fotokünstler und Initiant der Stiftung Smiling Gecko, entdeckte Mariya auf der Strasse und nahm sie auf. 

Tino Staub und Mariy un Noun Smiling Gecko

Amok Fish: Ein typisch kambodschanisches Gericht mit Wolfsbarsch.

Tino Staub und Mariy un Noun Smiling Gecko

Mariya Un Noun bekochte einen Abend die «Widder»-Gäste in Zürich.

Talent. Schmid betreibt nördlich der Hauptstadt das Farmhouse, ein kleines Dorf mit Hotelbetrieb, Gastronomie, Landwirtschaft und einer Schule. Mariya arbeitet in der Küche und schnell wird klar: Sie hat Talent. Die kambodschanische Küche ist bei uns unbekannt. Und auch in Kambodscha kennen wenige die traditionelle Khmer-Küche, weil die Rote Khmer Mitte der 70er einen grossen Teil der Mittelschicht ausrottete. Auch Mariya kannte diese Küche eigentlich kaum. «Meine Mutter sagte, ich sei doch verrückt, ich könne ja nicht kochen», erzählt sie. Doch irgendwie schafft sie es, diese ursprünglichen Geschmäcker wieder auf die Teller zu zaubern. Wenn man sie danach fragt, woher sie das könne, zuckt sie mit den Schultern. Sie kocht mit dem Herz nicht mit dem Kopf. Hannes Schmid – bestens vernetzt in der Schweiz – will dieses Talent fördern. Mariya reist in die Schweiz, lernt an der Hotelfachschule in Luzern. Sie kocht bei Andreas Caminada auf «Schloss Schauenstein» und bei Franck Giovannini in Crissier. Mittlerweile ist Mariya die Chefköchin im Farmhouse von Smiling Gecko. 

Rockstar. Auch im «Widder» am Zürcher Rennweg macht Mariya halt. Dort lernt sie Tino Staub kennen. Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Und obwohl der Luzerner die Kambodschanerin um einige Köpfe überragt, begegnen sie sich auf Augenhöhe. «Tino ist ein Rockstar», schwärmt die 29-Jährige. Da Mariya kaum eine Schulbildung hat, hat sie Mühe mit Lesen und Schreiben. Dinge wie Arbeitspläne erstellen, fallen ihr schwer. Tino, der eine klassische Kochausbildung genoss, erklärt ihr diese administrativen Aspekte des Berufs. Umgekehrt teilt Mariya ihre Gerichte mit Staub. Zum Beispiel den Amok Fish. Das typische Khmer-Gericht ähnelt einem Curry. Die Schärfe ist aber ganz anders, zunächst zurückhaltender, dann intensiv, ohne den Geschmack des Fischs zu zerstören. 
 

Tino Staub und Mariy un Noun Smiling Gecko

Mariya und Tino begegnen sich trotz Grössenunterschied auf Augenhöhe.

Tino Staub und Mariy un Noun Smiling Gecko

Tinos Interpretation: Riesencrevetten mit schwarzem Kampo-Pfeffer.

Das Geheimnis? Kampo-Pfeffer! Der teuerste Pfeffer der Welt. Mariya brachte Tino diesen Pfeffer als Geschenk mit. Seither ist er nicht mehr aus der Widder Bar and Kitchen wegzudenken. Der 15-Punkte-Chef verwendet ihn in seiner Interpretation des Amok – er nimmt Riesencrevetten – oder im Dessert, im Eis am Stiel. «Die Crevetten sind schon von Anfang an auf der Karte und bleiben es auch», sagt Tino Staub. Seit der ersten Begegnung ist eine Freundschaft entstanden. Tino war auch schon in Kambodscha, Mariya ist aktuell wieder in der Schweiz. Und die zierliche Frau hat es faustdick hinter den Ohren. Mariya beobachtet genau, was die grossen Chefs machen, adaptiert Handgriffe, lässt sich inspirieren. Und: Sie lernt moderne Küchengeräte schätzen. «Mariya kommt immer zu mir und sagt: ‹Hannes, ich brauche einen Thermomix. Hannes, ich brauche einen Pacojet›», erzählt Hannes Schmid amüsiert. Und wie das im Märchen so ist: Wünsche gehen gerne in Erfüllung.

 

>> Projekt Smiling Gecko

 

>> Widder Hotel
Widder Bar & Kitchen 
Widdergasse 6
8001 Zürich

www.widderhotel.com