Text: David Schnapp

Wenn Sie jemanden treffen würden, der 12 Monate im Tiefschlaf war, wie würden Sie diesem Menschen Ihr Jahr zusammenfassen?

Ich würde ihn beiseite nehmen und sagen: «Komm, wir trinken zusammen eine Flasche Wein, und dann erzähle ich dir eine Geschichte, die du nicht glauben wirst.»

 

Wovon handelt die Geschichte?

Es geht um die phänomenale Anpassungsfähigkeit, welche die Menschen in allen Branchen und Bereichen in diesem Jahr an den Tag gelegt haben.

 

Ihr Restaurant war nach dem Corona-Lockdown noch monatelang geschlossen. Wie war das für Sie als ambitionierter Koch?

Das hat mich traurig gemacht, weil ich meine Leidenschaft nicht leben konnte. Ich war stattdessen fast jeden zweiten Tag bei Comestible-Händler Alfred von Escher. Er ist seit kurzem mein Nachbar, ich habe ihn in seinem Lager besucht, wir haben geredet, und dann mit ich mit Lamm, Dörrbohnen oder Schweinefleisch nach Hause gegangen und habe zum Beispiel ein Dörrbohnen-Cassoulet oder ein «Porco Tonnato» gekocht. Aber was mir gefehlt hat, waren meine Leute, die Stimmung in der Küche. Immerhin haben wir regelmässig Zoom-Aperos gemacht. Das war wichtig für das Team.

 

Wofür haben Sie die Zeit genutzt, haben Sie etwas Neues gelernt, ein Hobby angefangen?

Ich bin mit meiner Freundin in Wollishofen zusammengezogen, habe viel gelesen, meine Musiksammlung sortiert und ich habe ein Konzept geschrieben für eine Art Musik-Ess-Theater im Opernhaus.

Laurent Eperon - Samstag, 25. Januar 2020 - Copyright Olivia Pulver

«Meine Leute haben mir gefehlt»: Laurent Eperon in der «Pavillon»-Küche.

Restaurant Pavillon Baur au Lac

Restaurant mit Seeblick: «Pavillon» im Swiss Deluxe Hotel Baur au Lac.

Was hören Sie, wen lesen Sie?

Ich höre alles – Rock, Pop, Klassik – Musik ist eine Inspirationsquelle für mich. Und ich habe von General de Gaulle die «Mémoires de guerre» gelesen. Das hat mir meine Grossmutter einmal geschenkt, aber ich habe nie die Zeit dafür gefunden. De Gaulle fasziniert mich: Wie er denkt, wie er schreibt, und was er für Europa getan hat.

 

Warum haben Sie den Mut nicht verloren?

Weil ich grundsätzlich zuversichtlich bin. Und weil meine Familie, meine Freunde und meine Freundin hinter mir stehen. Das ist wichtig für mich.

 

Gab es trotzdem Momente, wo Sie kurz vor dem Aufgeben waren?

Es gab natürlich Hochs und Tiefs, aber Aufgeben ist keine Option. Ich bin ein Kämpfer und ein Dirigent gleichzeitig.

 

Was war der beste Gang, den Sie 2020 trotzdem auf den Tisch gebracht haben?

Der Steinbutt «en papilotte» an einer Beurre Blanc mit Eukalyptus aus unserem Garten, mit kleinen Stücken vom geräucherten Stör, belgischem Oscietra-Kaviar und mit den kleinen Steinbuttflossen.

Steinbutt Laurent Eperon

«Mein bester Gang 2020»: Steibutt «en papillote» mit Eukalyptus Beurre blanc.

Und welchen Gang wollen Sie demnächst unbedingt kochen?

Ich möchte etwas weg von den ganz teuren Produkten – weniger Filet und Entenleber. Stattessen probiere ich zurzeit gerade ein Short Rib, das mit Melasse und Five-Spice mariniert und langsam gegart wird.

 

Hat die zusätzliche Zeit Ihrer Kreativität genützt?

Eher im Gegenteil: Ich hatte andere Prioritäten als das Kochen, es ging um die Finanzen, ich musste das Team zusammenhalten. Die ganze Situation war nicht unbedingt gut für die Kreativität.

 

Welche Erfahrung haben Sie in diesem turbulenten Jahr gemacht, die Sie weitergebracht oder geprägt hat?

Die schnelle Anpassung an neue Situationen, die nötige Flexibilität haben viel gebracht. Es gab im «Baur au Lac» zum Beispiel nicht mehr ein Team für den «Pavillon» und eines für das «Baurs». Es gab nur noch ein Küchen- und Serviceteam, alle mussten alles machen. Es war schön zu sehen, wie agil wir sind, und wie wir als Haus zusammengearbeitet haben. Das Restaurant Pavillon war plötzlich Teil des grossen Ganzen.

 

Was sagt die Buchhaltung zum Jahr 2020 im Restaurant Pavillon?

Kein Kommentar (lacht)!

 

Welches war das schönste Kompliment, das Sie 2020 bekommen haben?

Als wir im Oktober wiedereröffnet haben, war die Dankbarkeit der Gäste enorm. Viele haben mich auch privat angerufen, und sich erkundigt, wie es geht. Das war schon wertvoll.

 

Was konnten Sie in den letzten Monaten nicht tun, was Sie unbedingt nachholen wollen, so schnell es geht?

Ich möchte unbedingt Reisen: nach Vietnam, Kolumbien und Tel Aviv. Das hatte ich alles für 2020 geplant, und das will ich nachholen. Und ich vermisse Umarmungen, das fehlt der Gesellschaft.

 

Und bei wem wollen Sie unbedingt essen, wenn Reisen wieder möglich ist?

Bei Guy Savoy in Paris. Ich habe ihn bei der Versammlung von Les Grandes Tables de Suisse diesen Sommer in Fribourg kennen gelernt, das ist ein toller Kerl.

Guy Savoy

«Toller Kerl»: der Pariser 3-Sterne-Koch Guy Savoy. 

«La minute culture»

«Ich bin ein Kunstfreund»: Unterhaltsamer Instagram-Account von «La minute culture».

Gemüse war bei vielen Spitzenköchen in letzter Zeit ein grosses Thema. Welcher Trend kommt als nächstes?

Der Gemüsetrend bleibt, weil das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger wird. Die Gäste, aber auch meine Köche, sind in dieser Hinsicht sehr sensibel geworden. Und ich sehe eine Bewegung «back to roots» und zu Streetfood: Vor zwei Jahren habe ich beispielsweise in Thailand eine Köchin getroffen, die mir gezeigt hat, wie man die Frühlingsrollen Nem mit Reisblättern zubereitet. Sie mir sogar extra ein Sambal Oelek gemacht, und das Gericht hatte ich eine Zeit lang auch auf der Karte. In der Küche ist es wie in der Mode, alles kommt irgendwann zurück, und ich glaube es ist Zeit für eine einfachere, klassische Küche.

 

Womit verbringen Sie Ihre Freizeit?

Ich bin ein Kunstliebhaber und Mitglied im Kunsthaus Zürich, dahin gehe ich in meiner Freizeit gerne. Manchmal spazieren meine Freundin und ich aber auch einfach im Wald oder schauen uns einen Film im Kino an.

 

Was befindet sich immer in Ihrem Kühlschrank?

Butter und Käse hat es immer. Ich liebe Butter, und manchmal brauche ich einfach ein Stück Käse.

 

Was essen Sie aus Prinzip nie?

Ich kaufe nie Sachen ausserhalb der Saison. Weisser Spargel, Erdbeeren oder Himbeeren im Winter machen mich wahnsinnig.

 

Und was essen Sie täglich?

Schokolade in jeglicher Form: als Tafel, als Chocolat chaud zu Hause oder als Lindor-Kugeln. Wenn man traurig ist, hilft Schokolade auf dem Weg zurück zur guten Laune.

 

Welches war der beste Instagram-Post, den Sie dieses Jahr gesehen haben?

Ich mag den Account «La minute culture», da werden klassische Gemälde mit überraschenden Texten versehen. Das finde ich sehr unterhaltsam.

 

>> Was war, was kommt? Der GaultMillau Channel zieht Bilanz: Mit zehn Starchefs, die in diesem speziellen Jahr mit individuellen, besonderen Herausforderungen konfrontiert waren. Tanja Grandits, Sebastian Zier, Stefan Heilemann, Nenad Mlinarevic, Ivo Adam, Tobias Funke, Laurent Eperon, Bernadette Lisibach, Marco Campanella und Markus Stöckle im sehr persönlichen Chef's Talk.

 

Fotos: Olivia Pulver, HO, Brian Leatart