Fotos: Remy Steiner
Kochjacke XL. Als erstes schickt mich Peter Knogl hinunter in die Wäscherei im Keller, um eine passende weisse Kochjacke und eine Schürze zu fassen, vom Tragen einer Mütze hingegen bin ich befreit. «Grösse XL», sagt die Frau bei der Ausgabe mit prüfend-kundigem Blick. Ich streife die grau-braune Schütze mit dem grünen Pferdekopf und dem «Cheval Blanc»-Schriftzug über und spüre tatsächlich ein gewisses Gefühl von Stolz aufkommen. Und auch wenn es zwei Fenster gibt, durch die neugierige Gäste gerne dem Treiben am und um den Herdblock zusehen – in seine Küche lasse er eigentlich niemanden, sagt Knogl zu unserem Fotografen etwas später. Ein Tag am Herd in der kleinen Küche des Gourmetrestaurants im Swiss Deluxe Hotels Les Trois Rois in Basel verbringen zu können, ist gerade deshalb eine ebenso exklusive wie aussergewöhnliche Erfahrung.
Seit 18 Jahren Chef im «Cheval Blanc»: Peter Knogl (56).
Von Bayern nach Basel. Seit 18 Jahren führt der 56-jährige Peter Knogl, aufgewachsen auf einem Bauernhof in Bayern, das «Cheval Blanc». Gemäss der französischen «La Liste» gehört es zu den zehn besten Restaurants der Welt, es ist mit 19 GaultMillau-Punkten und drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Knogl gehört auf diesem Niveau zu den Köchen, die nicht bloss zu Repräsentationszwecken in der Küche stehen, sondern aktiv zwischen Fisch- und Fleischposten mitarbeiten. Der eher wortkarge, aber durchaus mit Sinn für Humor ausgestattete Koch ist ausserdem stolz darauf, in all der Zeit keinen Tag krank gewesen zu sein und wegen wichtiger externer Termine nicht mehr als zwei, drei Services verpasst zu haben.
Eines der zehn besten Restaurants der Welt: «Cheval Blanc» im Hotel Les Trois Rois.
Die Saucen kocht der Chef jeden Tag selbst: Peter Knogl auf seinem Posten.
Faszinierende Mechanik. Meine aktive Mitarbeit, das sollte der Ehrlichkeit halber erwähnt sein, beschränkt sich an dem Tag auf ein paar helfende Handgriffe und besteht vielmehr in einer Rolle als aufmerksamer Beobachter. Von allen 19-Punkte-Restaurants der Schweiz hat Peter Knogl die räumlich kleinste Küche, und mit neun Mitarbeitern ist das Team für dieses Niveau an Kochkunst fast schon bescheiden ausgestattet. Aber die Abläufe, diese faszinierende Mechanik im Zusammenspiel menschlicher Hände, wirken so nahtlos routiniert, dass jeder Eingriff von aussen diese geradezu artistische Höchstleistung stören würde.
«Signature Dish» zum Start ins Menü: Jalapeño-Espuma mit Carabinero.
Schnell und präzise: Dimitriy Zabasin (Garde Manger) mariniert Avocado-Scheiben.
Bei Garde Manger Dimitriy. Zunächst schickt mich Peter Knogl auf den Posten von Dimitriy Zabasin, der aus der Ukraine stammt und deshalb den Spitznamen «Selensky» trägt. Dimitriy arbeitet mit höchster Geschwindigkeit und gleichzeitiger Genauigkeit, das ich etwas Zeit brauche, um folgen zu können. Als Garde Manger ist er für kalte Vorspeisen zuständig, darunter die knallig-grüne Jalapeño-Espuma, einer der «Signature Dishes», oder die gebeizte Königsmakrele mit Radieschen-Vinaigrette und Avocado. Für die Espuma, erklärt mir Dimitriy, braucht es Eiweiss, entkernte und blanchierte Jalapeños, ein wenig des Verdickungsmittels Xanthan, Traubenkernöl und als «Geheimzutat» etwas reduzierter Noilly Prat. «Eine Flasche konzentriert auf 200 Milliliter», erklärt Peter Knogl. Das sei ein gutes Mittel, um Bitternoten etwas auszugleichen.
Woran erkennt man Qualität? Chef Knogl zeigt Praktikant Schnapp besonders schönen Steinbutt.
Einer der Hauptgänge: Roastbeef vom japanischen Wagyu-Rind, Okraschoten und Aubergine.
Neurotische Strenge. Während Dimitriy Radieschen in feinste Brunoise schneidet und Avocado-Scheiben mit Öl mariniert, kommt mit seinem Chef eine Diskussion über die Qualität der fettigen grünen Früchte auf. Eines der Geheimnisse der Knogl-Küche, so viel ist bald zu erkennen, ist eine fast schon neurotisch anmutende Strenge bei der Auswahl der Produkte. Die beiden Köche diskutieren minutenlang über Avocados, die nicht zu reif, nicht zu hart sein dürfen, aber Geschmack haben müssen – und all dies in zufriedenstellender Art zu bekommen, sei schwierig. Am Ende einigt man sich darauf, dass Dimitriy am Nachmittag im Türken-«Lädeli» vorbeischaut, wo oft ausgezeichnetes Gemüse und schöne Früchte zu finden sind. «Gute Produkte zu bekommen, ist etwas vom Schwierigsten geworden», sagt Peter Knogl. Kürzlich habe er Lammrücken im Wert von mehreren Tausend Franken wegen ungenügender Qualität an den Absender retournieren müssen. Dafür freut er sich über ein dickes Steinbutt-Filet, das Fischhändler Bianchi geliefert hat. Knogl zeigt mir regenbogenfarbig schimmernde Stellen als Zeichen für die besondere Güte des Fisches.
Wachsames Auge: Ahmad Sultani ist die Verbindung zwischen Küche und Restaurant.
Leer gegessene Teller. Die ersten Gäste sind eingetroffen und zum Knogl-System gehört ein ebenso gut eingespieltes Service-Team. Die Schaltstelle zwischen Küche und Restaurant ist Ahmad Sultani. Der frühere Tellerwäscher und Leiter einer Ziegelei in seiner alten Heimat Afghanistan hat einen genauen Blick auf den Gästeraum und rapportiert Chef Knogl alles, was relevant sein könnte. Ein einzelner Gast sitzt an einem der Tische. Weil das ein anonymer Tester sein könnte, zeigt Ahmad seinem Chef jeden leer gegessenen Teller: Ist bis auf einige Saucenspuren nichts mehr übrig, ist das ein gutes Zeichen.
Besondere Technik: Fischfond wird durch Kleenex passiert, um Trübstoffe zu entfernen.
Voller Geschmack: gebratene Langustine mit Madras-Curry, Zitronengras und Apfel.
Überhaupt die Saucen. Am Morgen hat Peter Knogl alle Saucen gekocht, abgeschmeckt und abgerundet. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dem leichten Fischfond, der die Grundlage für verschiedene Ableitungen der klassischen «Beurre blanc» ist. Der Fond wird durch verschiedene Lagen von Kleenex-Tüchern gefiltert, um Trübstoffe zu entfernen. Knogl, ein grossgewachsener Mann mit einem bisweilen etwas eckigen Auftreten und Händen in der Dimension von Gartenschaufeln, zeigt sich bei diesen Arbeiten von einer überraschend feinfühligen Seite. Ohne hier zu stark in buchstäbliche Küchentischpsychologie abzugleiten: Wenn man davon ausgeht, dass in den Gerichten eines hervorragenden Kochs seine Persönlichkeit zu erkennen ist, dann ist Peter Knogl jemand mit einem ausgesprochen feinen Gespür für Feinheit und Harmonie sowie enormer Liebe für sein Handwerk. Die kurz gebratene Langustine etwa, die ich kurz noch in Butter wenden darf, wird bloss mit einer Curry-Sauce und Apfel-Gel kombiniert. Aus wenigen Komponenten entsteht ein Geschmacksbild von gleichzeitig beeindruckender Fülle und erstaunlicher Subtilität. «Ich verwende zwei verschiedene Currys, damit die Mischung ausgeglichener wirkt», sagt Knogl.
Darf nicht zu süss sein: Dessert aus Gariguette-Erdbeeren, Joghurt, Limette und Meringue.
Fachmann für Schokolade und Süsses: Patissier Thomas Sporrer.
Schokolade im Keller. Nach der Zimmerstunde geht es um 17 Uhr weiter, in der Grossküche in den untergeschossigen Katakomben darf ich mit Patissier Thomas Sporrer ein paar Pralinen überziehen. Während ich mich bemühe, nicht zu viele Schokoladenstücke zu ruinieren, erklärt mir der Fachmann die vier verschiedenen Kristallisationspunkte flüssiger Schokolade, und dass er für das Dessert mit Joghurt und Erdbeeren nachmittags in der Feinkostabteilung eines nahen Warenhauses eigens die roten Früchtchen der Sorte Gariguette aus Frankreich gekauft hat, weil auch hier die Qualität der gelieferten Ware nicht ausreichend gewesen sei.
Präzision beim Anrichten: gebratener Wolfsbarsch mit Chorizo und Gurke.
Fingertest für Hummer. Oben in der Küche geht es danach mit der Schulung in Sachen Produktperfektion gleich weiter. Peter Knogl prüft jedes Stück gekochten Hummers mit einem nahezu zärtlichen Fingerdruck: So spüre man sofort, ob er gut sei oder nicht. Die Aufmerksamkeit für jedes Detail ist ohnehin beeindruckend. Die Radieschen-Vinaigrette für die Kingfish-Vorspeise beispielsweise rührt Kollege Dimitriy immer wieder neu an, «damit die Radieschen knackig bleiben». Und Knogl probiert sie jedes Mal aufs Neue, wie er auch jeden Teller kurz kritisch prüft, bevor er auf den Weg zum Gast geschickt wird. Der Küchenchef hat alles im Blick, selbst die Sauberkeit der Schneidebretter entgeht ihm nicht. Und die Kräuter, die als Garnitur gebraucht werden, wandern nach jedem angerichteten Teller zurück in einen speziell dafür vorgesehenen kleinen Kühlschrank.
Eine Lektion in Sachen Qualität: Peter Knogl, Autor David Schnapp.
Jeder Tisch ein Zettel: die Übersicht am Pass.
Wenig Worte, hohe Motivation. Die warmen Gerichte werden in Sekunden mit wenigen Handgriffen von jeweils etwa vier beteiligten Köchen angerichtet, damit sie möglichst schnell und heiss serviert werden können. Dafür braucht es kaum Worte, die Motivation der Köche ist hoch. Jede und jeder hier scheint seinen Job gerne zu machen und hat diesen Drang nach Exzellenz, welcher der Chef in jeder kleinen Handlung, jedem Wort vorlebt. Es gibt in dieser Küche keine Abkürzungen, keine Nachlässigkeiten, auch deshalb ist die Intensität hoch. Um 23 Uhr nimmt das Tempo etwas ab, der letzte Hauptgang hat den Pass verlassen. Jetzt wird alles so gründlich geputzt, als müsse man die Küche morgen einem Nachmieter übergeben. Perfektion, das habe ich auf jeden Fall bei Peter Knogl an diesem Tag gelernt, hat viele Aspekte und gerade auf die scheinbaren Nebensächlichen kommt es an.