Widder Hotel
Die Schockstarre war von kurzer Dauer: Stefan Heilemann blieb nur kurz arbeitslos, heuerte nur wenige Wochen nach der Schliessung des «Atlantis by Giardino» im «Widder» an. Mitbringsel: 18 GaultMillau-Punkte, zwei Michelin-Sterne und zehn Mitarbeiter, Spüler inklusive. Ein Glücksfall für Heilemann. Ein Glücksfall für den «Widder». Ein Glücksfall für Zürich: Das Supertalent bleibt in der Stadt. Wir steuern auch noch ein paar Glückshormone bei: Stefan Heilemann ist GaultMillaus «Koch des Jahres».
Wie kocht man sich so schnell so weit nach oben? Die Spurensuche beginnt im Schwarzwald, in der «Traube Tonbach», Baiersbronn. Heilemann ging durch die stahlharte Schule von Harald Wohlfahrt. Wer bei diesem Chef besteht, hat die klassisch französische Küche im Blut, die Neugier für neue Trends geweckt und die ersten Sterne und Punkte in Griffnähe. Die zweite Spur führt nach Asien: Heilemann kennt sich vor allem in der thailändischen Küche sehr gut aus, in den Fünfsterne-Hotels genauso wie in den Garküchen Bangkoks. Das alles führt zum «Heilemann-Style»: mutig, eigenständig, mit einem Touch of Asia, aber alles aufgebaut auf einer sehr klassischen Basis. Und noch etwas ist nicht zu übersehen: Verwendet werden nur die besten Produkte – wer für Gratian Anda in «The Living Circle» kocht («Widder», «Storchen», «Castello del Sole», «Alex»), muss nicht jedes Preisschild dreimal umdrehen. Die besten Produkte werden für Heilemann zweimal wöchentlich aus Lissabon eingeflogen; Balfegó-Tuna, Gamba Blanca, Gamba Carabinero. «Ich habe Portugal als Seafood-Land entdeckt. So gute und so frische Ware kriege ich nirgendwo sonst.» Stammgäste wissen: Immer am Mittwoch und am Freitag landet der Jet in Zürich-Kloten, wird Seafood fangfrisch angeliefert.
Rein ins Vergnügen, bei Heilemann meist mit einem Bao Bun. Koriander und Curry stecken immer drin, der Hauptdarsteller wechselt: meist Entenfleisch, neuerdings auch Wasserbüffelschulter. Der erste Gang ist gleich der beste: Ceviche von der Lachsforelle und roh marinierte Gamba Blanca. Limette und Passionsfrucht im klassischen Sud, eine raffinierte Vinaigrette aus Passionsfrucht und Buttermilch dazu, ebenso Kopfsalat und Pomelo. Mittendrin? Eine gehörige Portion Imperial-Kaviar. Der erste Krebs gehört übrigens dem Chef: «Kopf ab, dann roh geniessen, mitsamt der Schale», sagt Heilemann. Qualitätskontrolle der besonderen Art.
Importeur Dubno liefert noch zwei weitere Seafood-Kisten an den Zürcher Rennweg: eine Kiste Rotbarbe. Eine Kiste Carabinero. Den heiklen Rouget gibt es mit Artischocken, Bottarga und vor allem mit einer sehr modernen Interpretation der klassischen Escabèche-Sauce (Sherry!). Die Gamba Carabinero gibt es portugiesisch-puristisch: mit dem Sägemesser längsseitig aufgeschnitten, auf der «plancha» kurz grilliert, mit den Innereien in der unglaublich intensiven Sauce. So reduziert und dennoch so perfekt gehen nur besonders begabte Köche mit Meergetier um. Natürlich musste auch noch ein Steinbutt her. Im «Widder» kriegt man ihn im gelben Thai-Curry gegart, gefüllt mit Jakobsmuscheln, reichlich Rüebli und Fried Rice. Gut oder des Guten zu viel?
Fleisch spielt bei Heilemann die zweite Geige. Aber was es ins Menü schafft, hat Klasse: die Wagyu Short Ribs, die man nach 48 Stunden schmoren bei 62 Grad mit dem Löffel vom Knochen pulen kann. Kalbskotelett und Kalbsmilke vom Bürgenberg. Alfred von Eschers Bresse-Poularde mit australischem Wintertrüffel. Für Hardcore-Karnivoren hat der Chef noch eine kleine Überraschung auf Lager: Schweinsohren, im Thai-Sud gegart, flach gepresst, knusprig ausgebacken, mit Limettensaft für die Säure und Chili für die Schärfe. Street Food im «Swiss Deluxe Hotel»!
Fürs Finale übernimmt André Siedl, Zürichs bester Patissier. Er sucht bei seinen beiden Desserts nicht Spektakel, sondern puren Genuss. Beispiel Aprikose: eine Komposition aus Kokos, Pandan, weisser Schokolade, Aprikosencoulis, Aprikosensorbet, Ingwer-Sablé und -crumble. Ein perfekter Dreiklang aus Süsse, Säure und fein dosierter Schärfe. Der Dritte im Heilemann-Bund ist freundlicher Gastgeber und versierter Sommelier zugleich: Stefano Petta.