Grand Resort Bad Ragaz
Angekommen! Sven Wassmer hat nach etwas verhaltenem Start seine kulinarische Reiseflughöhe erreicht. Seine Küche ist klarer und auch wohltuend schneller geworden. Die hochmotivierte Brigade, in der offenen Küche ziemlich exponiert, arbeitet sehr konzentriert, aber dennoch mit einer gewissen souveränen Leichtigkeit – auf diesem Level eine zwingende Voraussetzung. Natürlich ist der Druck hoch: Im gleichen Resort kocht mit Silvio Germann («Igniv by Caminada») noch ein zweiter junger Chef neu in der 18-Punkte-Klasse. Zweimal 18 Punkte im gleichen Haus? Das macht ein Hotel zu GaultMillaus «Hotel des Jahres 2021». Das «Grand Resort Bad Ragaz» kriegt diesen Titel zum dritten Mal. Das ist ungewohnt. Aber angesichts der kulinarischen Dynamik hochverdient.
Sven Wassmer bringt die vier Starters gleich selbst an den Tisch, stellt dabei seine Freunde vor: Marcel Foffa aus Pratval GR hat Rüebli und Kohlrabi geliefert, Marcel Heinrich aus Filisur die Corne-de-Gatte-Kartoffeln («Vintage, aus dem Vorjahr»), Martin «Floh» Bienerth aus Andeer den Sauerrahm. Daraus entstehen kleine Kunstwerke: eine herrliche, wachsweiche Kartoffel, in Bienenwachs konfiert und auf einer Bienenwabe präsentiert. Ein Windbeutel mit Tatar vom Rätischen Grauvieh. Ein Fingerrüebli, im eigenen Saft gegart, mit Bergsanddorn und Hanfsamen. Ein frisch geernteter Kohlrabi mit Püree aus schwarzem und deshalb mildem Knoblauch. Starters auf diesem Niveau sind mehr als die handelsüblichen Amuse-bouches: Sie sind die Visitenkarte einer motivierten Truppe, der keine Arbeit zu viel ist; Benedikt Gerster ist in der Brigade Svens wichtigster Mann.
«Frisch geerntet» – dieses Prädikat zieht sich eigentlich durchs ganze Menü. Deshalb ist auch ein vermeintlich simpler Salat eine kleine Sensation: Jedes Blatt stand am Morgen noch auf dem Feld. Ein paar kleine Überraschungen gab’s auch dazu: einen Erbsenflan beispielsweise, der dem Gericht eine wohlig warme Note vermittelt, frisch gepulte Erbsli, Sanddorn, Peperoncini. Auch die beiden anderen Gemüsegänge waren aufregend gut. Erst von der Morgensonne verwöhnte Spargeln aus Reichenau von Gian-Battista von Tscharner, dem eigenwilligen Bündner Winzer mit dem grünen Daumen. Sie werden in Molke fermentiert, dazu gab’s süss-sauer gepickelte Spargelspitzen, Bohnenkraut sorgt für Power. Später im Menü: «Knollensellerie mit Ribelmais-Poulet». Mehr Sellerie als Güggel! Die neun Monate gelagerte Knolle wurde in einer feinen Hühnerbrühe geduldig gegart, die Hühnerhaut gab’s als Crumble dazu, ebenso Bündner Arvennadeln!
Sven Wassmers Königsdisziplin? Wohl seine Fischküche. Den Paradegang kennen wir seit Jahren, aber wir möchten ihn bei jedem Besuch wieder haben: Saibling aus dem Val Lumnezia, drei Minuten mit der schützenden Haut im Räucherofen, zehn Minuten unter der Wärmelampe, dazu gebrannter Sennenrahm und Tanne. Avis an den übrigens sehr guten Service: Da muss zwingend ein Löffel eingedeckt werden! Der zweite Fischgang hat uns echt verblüfft: Felchen! Felchen? Das ist eigentlich eher ein braver Fisch aus der Abteilung «Isch es rächt gsi?». Erst Wassmer hievt ihn in den Fine-Dining-Himmel: vier Minuten in Essig pochiert, die silberne Haut eingeschnitten und abgeflämmt, dazu Sauerampfer (wuchtiger Auftritt!) und Meerrettich. Eine Art Joint Venture unter Fischern: Arthur und Theo Zimmermann, entdeckt von Luca Bianchi, hieven die Felchen aus dem Zugersee, Kollege Nils Hofer aus Meggen steuert aus dem Vierwaldstättersee den raren Albelikaviar bei.
Die Fleischgerichte imponieren natürlich auch: Die zarten Milken gibt es mit Domleschger Blumenkohl, Liebstöckel und Joghurt. Das Bündner Reh hat Roger Zogg, der Waidmann vom Walensee, erlegt. Und der eigentliche Hauptgang ist verblüffend gut: Rücken von einer 13-jährigen «alten Kuh», dünn aufgeschnitten. «Mady» hiess die Dame. Sie stand 365 Tage lang im Val Lumnezia auf der Alpweide, frass nur Heu und Gras. Die «Memories»-Jungs grillieren sie auf Holzkohle perfekt, sorgen für einen ausgezeichneten Rinderjus und verpassen dem Angus Beef noch eine Prise Umami: eine raffinierte Gemüsepaste. Überraschung beim Dessert: Chefpatissier (und Sauerteigbrot-Spezialist) Andy Vorbusch kann auch mal ohne Gemüse. Sorbet von weissen Johannisbeeren (mit fassgereiftem Negroni!), Mürbeteig mit Heu-Nougat und den ersten Aprikosen – zweimal ein Volltreffer!
Auch beim Wein ist ein Wassmer der Boss. Svens Frau Amanda weiss genau, was zu den vielschichtigen Kompositionen ihres Mannes passt. Weil sie auch halbe Gläser ausschenkt, sind einige spannende Entdeckungen möglich: ein Müller-Thurgau vom Schaffhauser Shootingstar Markus Ruch. Ein Chardonnay aus Schinznach (Tom Litwan), ein Pinot gris (Georg Fromm) und ein wuchtiger Completer (Giani Boner) aus der Bündner Herrschaft, ein weisser Bordeaux («Aile d’Argent», Château Mouton Rothschild). Zum Reh kriegt dann Carina Lipp-Kunz aus Maienfeld den grossen Auftritt: Pinot noir Selection, aus der Magnum. Man sollte sich auf Amandas Weinreise einlassen.