Castello del Sole

Los geht’s gegen 18 Uhr, Stunden bevor die ersten Gäste in der «Locanda Barbarossa» eintreffen. Chef Mattias Roock schickt seine Commis und auch seinen Patissier raus in den riesigen Garten des «Castello del Sole». Sie zupfen, ernten, pflücken, was der Maestro für sein Menü «Sapori del nostro orto» so braucht. Das Angebot im Park ist enorm: vier Yuzu-Bäume. Zwanzig Beerenarten. Zweiundzwanzig verschiedene Tomatensorten. Eigener Pfeffer. Eigener Safran. «Farm to table» ist hier kein Marketingspruch, sondern ein Versprechen, das die Brigade mit enormem Einsatz, Präzision und Raffinesse Abend für Abend einlöst. So gut wie dieses Jahr waren Roock und seine Jungs noch nie. Wichtigster Mann an der Front: Sergio Bassi. Er ist GaultMillaus «Gastgeber des Jahres».
Der Reihe nach. Zum Start ein Klassiker, den der Chef zur Perfektion weiterentwickelt hat: «Lucioperca del lago». Roock serviert den Zander aus dem Lago Maggiore mit Brunnenkresse, Pepquiño, Kräuter-Sauerrahm; selbst die kleinen Pepquiño-Gurken, sonst in Mexiko zu Hause, wachsen im eigenen Garten. Wunderschön wie ein Gemälde angerichtet, eine Symphonie in Grün und Schwarz. Schwarz? Eine grosszügige Nocke Oona-Kaviar kommt dazu, denn für das Signature Dish ist kein Aufwand zu gross. Auch die zweite Vorspeise verbreitet aufregende Frische: ein elegantes Involtino vom Tessiner Kalb, Filet (mariniert) und Tatar; für Pep sorgen Trevisana-Blätter, Orangen und der hauseigene Szechuan-Pfeffer.
Mattias Roock und sein hochbegabter Souschef Leopold Ott setzen dieses Jahr auf Perlhühner aus der Magadino-Ebene. Brust und Keule gibt es im Hauptgang, mit Zucchini, Peperoni und Polenta in zwei Konsistenzen; der Polenta-Espuma war eine kleine Sensation. Aber im «Castello» verwertet man den ganzen Vogel. Was zu einem verblüffenden Zwischengang führt: «Uova di faraona Onsen» – ein Perlhuhnei, wachsweich gekocht, auf einem Parfait von Perlhuhnleber! Albula-Kartoffeln (Espuma, Crunch) und Quinoa aus dem Garten runden den Gang ab. Da geraten selbst routinierte Esser ins Staunen und Schwärmen.
Die Kreation des Abends? Ticino meets Asia. Ein mächtiger, gedämpfter Raviolo, der an ein grandioses Dim-Sum erinnert, weil der Teig aus Reismehl zubereitet wird. Die verblüffende Füllung: Schinken von der Alpe Piora, Bierschwein (gefüttert mit Reisbier vom eigenen Gutsbetrieb). Dazugegossen wird ein unglaublicher Sud auf Kalbsfond-Basis: Schinken und Bergheu (!) setzen einen atemberaubend guten Akzent. Sergio Bassi entkorkt einen Amabuki-Sake dazu; passt perfekt. Auch seine Wein-Empfehlung ist ein Volltreffer: Ascona Riserva 2016 von den Terreni alla Maggia, 100 Prozent Merlot, 24 Monate im Barrique. Dann ist der junge Elsässer Patissier Charles Piatti dran: Zitrone, Grapefruit und Basilikum als erfrischendes Pré-Dessert, dann Aprikose und Mandeln mit Joghurtparfait und Pedro Ximénes. Oder einfach nur frisch gepflückte Beeren, die keine Sekunde im Kühlschrank waren.
Im noblen «Castello del Sole» ist der Küchenchef zwar ein Star – aber der Gast noch immer König. Also liegt auch noch ein beeindruckendes A-la-carte-Angebot auf mit den Klassikern des Hauses: Loto-Risotto mit Safran, frischen Erbsen und wildem Fenchel. Ravioli al brasato mit Nussbutter. Atlantik-Seezunge mit Zitronenfilet, am Tisch flink von der Gräte gelöst. Schweizer Kalbskotelett für zwei mit Bergkartoffelespuma. Sonderwünsche werden klaglos erfüllt. Ganz grosses Kino. «Castello»-Style eben.