Welches ist für Sie jeweils das schönste Bier der Woche? 

Das Feierabendbier! Das gönne ich mir zwar nicht jeden Tag, aber bis am Freitag warte ich meist auch nicht. Oft trinke ich es so gegen 19 Uhr daheim, vor unserem Abendessen mit der Familie. Oder auswärts, wenn ich zu Kunden essen gehe. 

An welches Bier genau haben Sie gerade gedacht? 

An ein Quöllfrisch naturtrüb – das passt immer und ist mein Liebling im Sortiment. Es ist emotionsgeladen, für mich der Inbegriff des Brauerhandwerks – nicht zuletzt wegen der Bügelflasche. Sobald es plopp macht, beginnt der Feierabend. 

Sie vertreiben inzwischen zig Sorten – warum diese Produktvielfalt? 

Dass wir erfindungsreich sind, gehört zu unserer DNA. Als das Bierkartell in der Schweiz noch tonangebend war, setzten die Brauereien meist nur auf zwei, drei Bierstile: Lager, «Spezli» und vielleicht noch ein dunkles oder ein Weizenbier. Die Brauerei Locher hatte damals bloss zehn Mitarbeiter, sechs davon aus der Familie, und lieferte nur in Appenzell Innerrhoden aus. Dann begannen wir Produkte wie das Vollmondbier oder die Hanfblüte zu brauen – sie sorgten dafür, dass die Brauerei ins Gespräch kam. Ein grosses Marketingbudget hatten wir ja nicht. Auch das natürtrübe Quöllfrisch gehört zu diesen Spezialbieren. Anfangs gab es ja Gastronomen, die meinten, da sei etwas schief gegangen, weil das Bier trüb war. 

Und wieso haben die Craftbiere aus der Linie «Locher Craft» eine eigene Homepage? Sie passen doch perfekt ins Programm. 

Wir haben uns bewusst so entschieden. Diese Biere sollten eine Welt für sich bekommen – es sind ja Small-Batch-Biere, die hauptsächlich in der Gastronomie verkauft werden, wie beispielsweise das «Grenagürk» mit Granatapfel und Gurke. 

Schmecken Ihnen alle Ihre Biere oder gibt es «Stiefkinder»? 

Ich bin nicht unbedingt ein grosser Liebhaber von «Panaché-Geschichten». Und für einen Schwarzen Kristall muss meiner Meinung nach das ganze Setting stimmmen. Es braucht ein Kaminfeuer oder ein gutes Essen. 

Wurmt es Sie, dass in der gehobenen Gastronomie Wein noch immer weit vor Bier kommt? 

Tatsächlich muss die Branche weiterhin am Bewusstsein dafür arbeiten, dass Bier mehr ist als bloss ein Durstlöscher. Dafür braucht es nicht nur hohe Qualität, sondern man muss auch zeigen, wie man solche Biere zelebriert. Darum kommen wir immer gerne an die GaultMillau Garden Party! Dass es vermehrt Biersommeliers gibt, ist beispielsweise ein Schritt in die richtige Richtung. 

Glauben Sie daran, dass man in zehn Jahren Bier zum Fünfgänger bestellen wird? 

Ich gehe davon aus, dass in Zukunft die Getränkeauswahl zu den fünf Gängen vielfältiger wird. Zum einen Gang gibt es Wein, zu einem anderen ein Bier, vielleicht kommt auch fermentiertes Getränk auf den Tisch. Ich wage diese Prognose auch wegen des rückläufigen Alkoholkonsums. 

Sie sehen den sinkenden Alkoholkonsum als eine Chance fürs Bier? 

Absolut. Natürlich sind die Brauereien von der Situation gefordert – aber für alkoholfreie Biere zum Beispiel steigt die Nachfrage. Und es gibt andere fermentierte Getränke wie unser neues «Hoi». Das Getränk kombiniert eine Hefegärung, bei der allerdings kein Alkohol entsteht, mit einer Milchsäuregärung, so dass wir keine künstliche Säure und keine Süssungsmittel zugeben müssen. 

Da interpretieren Sie das Brauereihandwerk sehr offen. 

Entweder man jammert und merkt dann in zehn Jahren, dass ein grosser Teil des Umsatzes weggebrochen ist. Oder man nimmt die Situation als Chance, um neue Wege zu gehen. 

Wie gross ist der Umsatzeinbruch wegen der neuen Trinkgewohnheiten überhaupt? 

Schwierig zu schätzen. Unsere Umsätze sind immer auch wetterabhängig. Doch der Trend zeigt auf jeden Fall nach unten, und es wird auch mit alkoholfreiem Bier nicht möglich sein, die verlorenen Einnahmen wettzumachen. 

Haben Sie darum auch «Tschipps» und andere Produkte aus Biertreber ins Sortiment genommen?  

Wir dürfen das Kerngeschäft selbstverständlich nicht aus den Augen verlieren – aber tatsächlich machen die Chips oder unsere Fleischalternativen wirtschaftlich sehr wohl Sinn. Gerade letztere werden von Kantinen oder vom Militär auch gerne gekauft. Und das Gasthaus Äscher im Appenzell macht damit Ghackets mit Hörnli, weil es ein regionales Produkt ist. Es ist dort oben das bestverkaufte Gericht!  

Sie sagen, das mache Sinn. Inwiefern?  

Biertreber ist ein hochwertiger Rohstoff – zu schade, um ihn den Tieren zu verfüttern. Daraus lassen sich neue Produkte kreieren, so steigern wird die Wertschöpfung und die Nachhaltigkeit. Vom Korn, dem während des Brauvorgangs Zucker und Stärke entzogen wurde, verwenden wir beispielsweise auch noch die Eiweisse. Wir produzieren somit täglich die gleiche Menge Protein, wie sieben Fussballfelder, auf denen Soja wächst! 

Brauerei Locher Firmenportrait, Verwaltungsrat Karl Locher Besitzer ,Aurele Meyer VR, Hans Sonderegger VR, Aline Holderegger Leiterin Besuchszentrum, Appenzell 2024 Fotos: Geri Born

Hier trifft Tradition und Klische auf Kreativität und Innovation: die Brauerei Locher in Appenzell.

Wie steht es um den Appenzeller Whisky? 

Wir merken hier den sinkenden Alkoholkonsum deutlich weniger, weil Whisky kein Everyday-Drink ist. Wir sehen hier sogar noch Wachstumschancen – und füllen jedes Jahr mehr Fässer. Es dauert halt immer erst zehn, zwanzig Jahre, bis das Produkt verkauft werden kann. 

Kommen wir zu ein, zwei Schlagzeilen der letzten Wochen: Sie haben kürzlich die Rechte fürs Bündner Bier gekauft – auf was dürfen sich die Bündner freuen? 

Es ist kein neues Produkt geplant. Vielmehr geht es ums Tschliner Bier, das im Bündnerland gebraut, bei uns in Winterthur bei «Chopfab» abgefüllt und dann über unsere Kanäle vertrieben wird. Künftig hätten wir so die Möglichkeit, es mit der Low Line «Bündner Bier» zu bewerben.

Jüngst wurde bekannt, dass sie eine Kollaboration mit dem Hard-Seltzer-Startup Sparklys eingegangen sind. Warum? Diese Getränke sind doch wenig natürlich... 

Das sehe ich etwas anders. Für mich sind diese Hard-Seltzer-Getränke technologisch gesehen ein Bier ohne Farbe und Geruch.  

Können Sie das erklären? 

Es gibt drei Varianten, um alkoholfreies Bier herzustellen. Vakuumdestillation, Hefe-Kontaktverfahren oder die sehr schonende Osmose. Bei letzterem hat man am Ende sozusagen alkoholfreies Bier und alkoholhaltiges Wasser – welches wir nicht wegkippen möchten. Es soll nach Möglichkeit die Basis für die besagten Produkte von Sparklys werden.

Wer soll das trinken? 

Es soll ein urbanes, junges Publikum angesprochen werden, das eine Alternative zu Bier wünscht.

Keine Angst ums Image der Brauerei Locher? 

Nein, ich bin überzeugt, dass hier Tradition und Innovation Hand in Hand gehen. Sparklys ist ein hochwertiger Brand, der zu uns passt.

Brauerei Locher (Appenzeller Bier) Aurèle Meyer mit Coop CEO Philipp Wyss und Dirk Niepoort

Gespräch an der Garden Party 2025: Aurèle Meyer, Coop-Chef Philipp Wyss und Kultwinzer Dirk Niepoort (v.l.).

Apropos, wie viel Prozent Ihres Erfolgs ist Image, wie viel Prozent Qualität? 

Eine Brauerei kann es sich heute nicht mehr leisten, bei der Qualität Abstriche zu machen. Danach ist tatsächlich das Image wichtig – es hilft, auf nachhaltige Produktion oder Schweizer Rohstoffe zu setzen. Was aber auch noch stimmen muss: die Dienstleistungsqualität bei unseren Kunden. Darum haben wir langjährige Ansprechpersonen. Oder leisten uns den Anachronismus, dass man bei uns noch mit Fax bestellen kann. Da ist die Gastronomie zum Teil halt schon noch bodenständig unterwegs. 

Da hilft es vielleicht, dass es in der Schweiz einen Appenzeller Bonus gibt, oder?  

Klar, findet man das idyllische Appenzellerland in unserer Bildsprache wieder. Für andere ist es ein Sehnsuchtsort, für uns aber täglich gelebte Realität. Wir sind stolz auf unsere traditionellen Alpabzüge, bei denen die Bauern mit Stolz die schönsten Trachten tragen. Auch die Landsgemeinde wird von den Einheimischen hoch gewichtet, dazu wird Sorge getragen. Ich möchte angesichts dieser Extraportion «heile Welt» allerdings schon anmerken, dass wir im Appenzellerland innovativer sind, als viele vielleicht annehmen. Gerade im kulturellen Bereich! Dafür spricht der Bücherladen mit seiner Veranstaltung «Der kleine Frühling» oder die Kunsthalle Appenzell, um nur zwei Beispiele zu nennen. 

Noch eine indiskrete Frage: An der Garden Party sah man Sie mit Coop-Chef Philipp Wyss und Starwinzer Dirk Niepoort diskutieren. Was war das Thema in dieser hoch dotierten Runde? 

Dirk Niepoort ist für uns natürlich interessant – denn wer Whisky herstellt, braucht schliesslich auch Portweinfässer, um ihn reifen zu lassen. Und mit Philipp Wyss habe ich übers «Hoi» gesprochen, da möchten wir natürlich weiterhin auf unseren bewährten Partner setzen. 

 

>> Aurèle Meyer ist seit Januar 2019 Geschäftsführer der Brauerei Locher. Seit über zwölf Jahren ist der gebürtige Appenzeller beim drittgrössten Brauerei-Unternehmen der Schweiz angestellt, zuvor war er u.a. beim Zürcher Frauenverein ZFV tätig. Studiert hat er, nach Abschluss der Hotelfachschule Luzern, Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. 

 

www.appenzellerbier.ch 

 

Fotos: David Birri, Olivia Pulver, HO, Geri Born