Interview: Urs Heller I Fotos: Nik Hunger, Lorena Widmer

Soll der Gast bei Ihnen im Zürcher «Widder» eine Flasche aus der Weinkarte wählen oder sich für das vorgeschlagene Winepairing entscheiden?

«Wir Sommeliers freuen uns immer, wenn wir Empfehlungen ausserhalb des Winepairings abgeben dürfen. Wir können so intensiver auf den Gast eingeben, auch mal auf eine freakige Position hinweisen. Ich bin beispielsweise stolz, wenn ich einem Tignanello-Trinker überraschende, preiswertere und dennoch hervorragend Alternative anbieten kann.»
 

Winepairings sind also eher etwas langweilig.

«Das nicht gerade. Pairing kann Sinn machen, weil wir die Weine natürlich gut auf die einzelnen Gerichte abstimmen können. Im «Widder» achten wir darauf, dass ein, zwei Weine aus der Begleitung für den Gast immer greifbar sind, und ein Schweizer Winzer ist immer vertreten. Wir wissen auch, was nicht geht in einer Weinbegleitung, Weine etwa aus Slowenien oder aus den USA.»
 

Sie haben alle Weine von Jacques Tatasciore aus Neuenburg auf der Karte. Das ist ungewöhnlich, er ist ein sehr eigenwilliger Winzer. Wie haben Sie denn das hingekriegt?

«Ich war 2007 Sommelier im «Schweizerhof» Bern und habe in einem Karton eine Musterflasche entdeckt: Tatasciore, damals völlig unbekannt. Ich habe die Musterflasche entkorkt, probiert und war hin und weg: Ein Wein aus einem anderen Universum! Seither habe ich «Tati»-Weine immer auf der Karte, und ich kriege via Händler Carl Studer glücklicherweise eine erfreuliche Zuteilung. Jacques Tatasciore hat uns vor ein paar Monaten im «Widder» besucht. Da habe ich ihn erstmals live gesehen.»
 

Ist Schweizer Wein auch in einem Fünfsterne-Hotel und einem 18-Punkterestaurant gut akzeptiert?

«Die Akzeptanz ist gross. Auch Gäste, die früher die Nase gerümpft haben, gestehen mittlerweile ein: Die besten Schweizer Winzer können was! Wir haben sehr viele Gäste aus den USA. Die wollen unbedingt Schweizer Weine und finden ihn megacool. Wir empfehlen Weine aus der Bündner Herrschaft, aber auch aus dem Wallis, Neuenburg und aus Genf.»
 

Was gibt der Gast in einem Spitzenrestaurant wie den «Widder» für eine gute Flasche Wein aus?

«100 bis 180 Franken pro Person sind in etwa die Regel. Dann gibt’s eine Hemmschwelle. Viele Weinfreaks lassen sich von dieser Schwelle nicht abhalten.»
 

Was geben Sie privat aus für eine gute Flasche Wein?

«200 bis 250 Franken dürfen es locker sein, vorausgesetzt, die Flasche ist korrekt kalkuliert. Gastgeber dürfen nicht mit einem Faktor arbeiten, sie müssen von einem Deckungsbeitrag ausgehen.»
 

Saftbegleitungen sind nicht so Ihr Ding.

Die bieten wir nur auf besonderen Wunsch an. Wir empfehlen dann meistens Fruchtsäfte von Jörg Geiger. Die sind kurlig und originell; wir servieren sie ganz normal in einem Weinglas. Bei besonderen Wünschen kriegen wir Unterstützung aus der «Widder»-Bar: Unsere Mixologists lassen sich dann etwas einfallen.
 

Stefano Petta und Stefan Heilemann

Dreamteam! Stefan Heilemann (l.) kocht, Stefano Petta ist der Mann an der Front im Zürcher «Widder».

Darf Küchenchef Stefan Heilemann beim Winepairing mitreden?

«Er kriegt ein Glas zum Probieren! Wir diskutieren gerne miteinander, aber eigentlich sind die Aufgaben klar verteilt: Er schreibt sein Menü, ich das Pairing.»
 

Gibt’s ein Pairing, auf das Sie echt stolz sind?

«Stefan macht eine Entenleber im Salzteig mit Thaibufera-Sauce. Ich öffnete zu diesem thailändisch inspirierten Gericht einen Gamay Sauvage des Genfer Winzers Jean-Pierre Pellegrin. Eine Granaten-Kombo!» 
 

Was empfehlen Sie dem Weinfreund privat: Dem Keller vertrauen oder einen Weinschrank kaufen…?

«Die Regel ist klar: Erreicht der Keller permanent eine Temperatur nie mehr als 15 oder 16 Grad und sinkt sie nie tiefer als elf Grad, ist alles gut. Sonst sollte man handeln: Will man Weine über einen längeren Zeitraum reifen lassen will, empfiehlt sich eine Klimatisierung oder der Kauf eines Weinkühlschranks. Temperaturschwankungen schaden dem Wein; das sollte man nicht unterschätzen.»
 

GaultMillau zeichnete Sie als «Sommelier des Jahres 2024» aus. Wie waren die Reaktionen?

«Überwältigend! Unglaublich, wie viele Gratulationen eingegangen sind. Auch die Gäste sprechen mich immer wieder darauf an, einige schenken mir sogar eine ihrer Flaschen. Die gelbe Plaquette hängt jetzt im «Widder» am Eingang, und ich bin immer sehr stolz, wenn ich sie sehe.»
 

Ein «Sommelier des Jahres» hat für uns bestimmt einen Weintipp auf Lager.

«Chenin Blanc Domaine Guiberteau aus der Loire! Eine echte Alternative zu den berühmten weissen Burgundern, die ja unerschwinglich geworden sind.»