Die grosse Überraschung beim Interviewtermin mit Dirk van der Niepoort: Der bekannte Winemaker schlägt gleich zu Beginn vor, das Gespräch doch auf Schweizerdeutsch zu führen! Er war mit einer Schweizerin verheiratet, hat mit ihr zwei Söhne, ja, er hat sogar drei Jahre hier gelebt. «Und ich finde es, anders als Holländisch, eine schöne Sprache!» Und so wechselt man vom Englisch in den Dialekt. 

Dirk van der Niepoort, machen wir ein Spiel! Ich nenne Ihnen drei Situationen – und Sie sagen mir, welchen Wein Sie dazu entkorken würden.  

Das dürfte nicht allzu schwer werden. 

Beginnen wir mit einem gut besuchten Stehapéro auf einer sommerlichen Terrasse… 

Ich würde zu «Espumante Água Viva» greifen. Dieser Schaumwein aus unserem Haus hat eine knackige Säure, alle mögen ihn. Aber ich würde daneben eben auch einen sperrigen Vinho Verde ohne Etikett ausschenken, am besten gemacht von einem alten Mann, im ganz alten Stil. So gibt es auch gleich genügend Gesprächsstoff. 

Die zweite Situation: Fünf Personen, ein später Abend am Kaminfeuer. Was servieren Sie? 

Riesling Kabinett aus der Mosel, am besten aus der Magnumflasche – der weckt die müden Geister. Und alle sind danach wieder parat für einen nächsten Wein.. 

Drittens: Sie sitzen im Restaurant – alle am Tisch haben einen anderen Hauptgang bestellt. Was entkorken Sie? 

Ich würde zu unserem «Charme» aus dem Duoro-Gebiet greifen – ein leichter, ernsthafter und grossartiger Wein, der zu fast allem passt! Eigentlich mache ich es daheim bei meinen Einladungen ja anders: Ich lasse die Gäste den Wein aussuchen und bereite dann aus meinen Vorräten zu, was passend sein könnte. 

Sie kommen dieses Jahr an den «Casa del Vino»-Stand an der GaultMillau Garden Party. Auch da muss man sich überlegen, was man mitnimmt, oder? 

Meine Mitarbeiter sind wohl dafür, dass wir Weine mitnehmen, die wir auch verkaufen möchten. Allerdings bin ich eben ein eigenwilliger Typ – mir geht es darum, die Marke Niepoort Vinhos zu präsentieren. Auch für Nischenprodukte gilt es, Kundschaft zu finden. Das führt ganz automatisch dazu, dass auch andere Konsumenten diese speziellen Weine möchten. 

Dirk van der Niepoort

«Plötzlich werden fehlerhafte Weine als Naturweine angepriesen», sagt Dirk van der Niepoort.

Im September sind Sie nochmals für eine Master Class mit der «Casa del Vino» in der Schweiz – ist der persönliche Kontakt so wichtig? 

Weine verkaufen sich leider nicht von selbst. Und auch wenn sich in der Coronakrise Videokonferenzen durchgesetzt haben, sie ersetzen den persönlichen Kontakt nicht. Mit Niepoort Vinhos stehen wir dort, wo wir stehen, weil wir zur Kundschaft gereist sind. 

Aber Sie haben ja jeweils nur Kontakt zu wenigen Leuten – macht das so viel aus? 

Ein Freund von mir in Portugal ist Mathematikprofessor, er arbeitet an einer Theorie, die man auch auf meine tägliche Arbeit anwenden kann. Er sagt, dass man mit einer Weinprobe vielleicht nur zwanzig Menschen erreicht, die wiederum sprechen aber auch mit vielen  anderen Menschen darüber. Das Resultat ist eine exponentielle Kurve. 

Weltweit sinkt der Weinkonsum. Ein Problem für Ihr Unternehmen? 

Das hat sich ja schon länger abgezeichnet. Es hat aber weniger mit dem Wein an sich zu tun als mit dem herrschenden Zeitgeist. Die Leute wollen gesünder leben. Gleichzeitig hat die Alkoholindustrie sehr aggressiv auf sehr junge Menschen fokussiert – da musste eine Gegenbewegung entstehen. Unser Pech ist, dass Wein nun in den gleichen Topf geworfen wird wie etwa Wodka. 

Wer sich aufs richtige Publikum konzentriert, hat also nichts zu fürchten? 

Man darf sich vor dieser Entwicklung sowieso nicht fürchten! Aber wir haben Respekt vor der Situation 

Die Familie van der Niepoort hat sich mit Portwein einen Namen gemacht – das ist, entschuldigen Sie, auch nicht der Wein der Stunde. Woran liegt’s? 

Es hat mit der Süsse zu tun, die zu diesem Weinstil gehört. Ich finde das Verhalten der Konsumenten allerdings ein wenig pervers. Da essen wir immer süsser, verwenden immer mehr Zucker – weichen aber dem Portwein aus. Wenn Sie mich fragen, ist das blödsinnig. Ärzte nehmen ein einzelnes Getränk ins Visier, anstatt Tiefkühlprodukte und industrielle Desserts zu ächten. Ein Glas Port ist für Körper und Seele sicher nicht verkehrt. 

Weinmesse Festival Italiano / Casa del Vino Kaufleuten, 02.09.2024 IMPRESSIONEN

Dieses Jahr dann mit Dirk van der Niepoort: das «Casa del Vino»-Festival im Kaufleuten, Zürich.

Wir sprechen über Portwein und Sie landen bei einer heftigen Gesellschaftskritik. 

Es läuft doch tatsächlich einiges verkehrt. Es werden ja plötzlich auch fehlerhafte Weine als Naturweine angepriesen. Es ist der gleiche Automatismus, der hier spielt: Wir wollen eine bessere Welt schaffen, mit weniger Chemie  – aber wir setzen den Hebel ausgerechnet beim Wein an. Besser wäre es doch, im Winter auf Tomaten zu verzichten. 

Welche Zukunft sehen Sie für Portwein? 

Der Konsum wird weiterhin zurückgehen. Aber schon mein Vater hat mir beigebracht, dass es solche Auf-und-Ab-Bewegungen gibt. Die Welt verändert sich schnell, mal in die eine, mal in die andere Richtung. 

Wenigstens verwenden Köche gerne Portwein für ihre Saucen. Tut das Ihnen als Produzent manchmal weh, wenn Ihre Weine im Topf landen? 

(Lacht.) Müsste es eigentlich. Da ich aber selber gerne koche, weiss ich, dass es für gute Gerichte halt auch gute Weine als Zutat braucht. Man muss ja nicht gleich einen Romanée-Conti reinschütten. Man kann ja auch einen Tropfen nehmen, der schon drei, vier Tage offen und leicht oxidiert ist. 

Viele denken beim Namen Niepoort an den Verkaufsschlager «Fabelhaft» – warum ging dieser Rotwein ab wie eine Rakete? 

Ich bin sehr stolz auf den «Fabelhaft». Das Spezielle daran ist, dass wir in einer Portwein-Region erstmals einen gewöhnlichen Rotwein produzierten. Und von Vorteil war es auch, dass es kein schwerer, holzbetonter Wein ist, sondern ein leichter, frischer Wein, von dem man auch zwei Gläser trinken kann. Und natürlich hat auch das Etikett mit den Wilhelm-Busch-Motiven geholfen - weil es sympathisch und nicht protzig und golden war. Das ist «Fabelhaft» halt auch: ein fair kalkulierter Wein, an dem auch die Weinhändler noch etwas verdienen. 

>> Winemaker Dirk van der Niepoort führt das Unternehmen Niepoort Vinhos in der fünften Generation. Er gilt als eine wichtige önologische Stimme Portugals. Seit seinem Eintritt ins Geschäft 1987 verfolgt Dirk neben den Portweinen eine zweite Linie: die Tischweine. Der Starwinzer wird dieses Jahr gleich zweimal in die Schweiz kommen: Anlässlich der GaultMillau Garden Party am 10. August und für eine Masterclass von «Casa del Vino» am 1. September (nur B2B-Kunden). Erhältlich sind seine Weine bei www.casadelvino.ch.

 

Fotos: HO, Salvatore Vinci