Interview: David Schnapp
Stefan Heilemann, wie kam es zum Transfer Ihres gesamten Teams ins Zürcher Widder Hotel?
Nach der Schliessung des «Atlantis by Giradino» und der damit verbundenen Kündigung klingelte eines Morgens bei mir das Telefon. André Jaeger, der ehemalige Chef der «Fischerzunft» in Schaffhausen, war dran und fragte, was ich davon hielte, in den «Widder» zu wechseln.
Was haben Sie ihm geantwortet?
Zunächst habe ich gar nicht richtig begriffen, was er meint. Ich war noch im Halbschlaf und wusste nicht, ob ich das jetzt träume, oder ob es tatsächlich passiert.
Aber Sie haben sich die Sache mal angeschaut?
Ich habe mich mit General Manager Jörg Arnold im «Widder» getroffen und fühlte mich sofort willkommen. Jörg hat mir sozusagen die Tür aufgemacht, und ich bin direkt durchgegangen.
Was gab letztlich den Ausschlag?
Auf jeden Fall war es der menschliche Faktor. Ein Gourmetrestaurant muss ein Hotel wirklich wollen. Und wenn man es macht, sollte man es kompromisslos machen oder bleiben lassen. Im «Widder» ist das der Fall.
Woran können Sie das festmachen?
Ich habe meine neuen Chefs gefragt, was das Ziel sei: Soll das Restaurant hochstehende Küche bieten und damit gute Bewertungen erhalten, oder will man damit möglichst viel Geld verdienen? Die Antwort war, wir sollen Vollgas geben. Damit war alles klar. Für mich ist das wie ein Sechser im Lotto – mit Zusatzzahl!
Sie mussten aber noch den Verwaltungsrat mit Präsident Jürg Schmid und den Besitzer der Living-Circle-Gruppe, Lidia und Gratian Anda, überzeugen.
Es gab ein Probeessen, und ich habe am Tisch jeden Gang und unser Konzept erklärt. Das kam gut an. Die Mischung aus klassischer und moderner Küche, aus Menü und Grosses Pièces passt perfekt zum «Widder», das sehen offensichtlich auch die Besitzer so.
Das heisst auch, Sie kochen da weiter, wo Sie im «Ecco» aufgehört haben?
Ich habe in den letzten Jahren meinen eigenen Stil entwickelt, den möchte ich beibehalten. Meine Küche ist ja letztlich unkompliziert und orientiert sich am Gast und seinen Wünschen. Wenn jemand einen gemischten Salat essen will, dann ist es mein Ehrgeiz, ihm den besten Salat zu machen, den er je gegessen hat. Da fällt mir als Koch auch kein Zacken aus der Krone. Letztlich macht uns die Mischung aus Menü und ganzen Fischen oder grossen Fleischstücken aus. So haben die Gäste einen Grund, mehrmals zu kommen. Viele wollen nicht jedes mal ein ganzes Menü essen, und ich will den Leuten auch nicht diktieren, was sie bestellen sollen.
Was treibt Sie eigentlich als Koch an?
Das Wichtigste für mich, ist der Wille, Perfektion zu erreichen. Wenn man etwas nicht will, findet man immer Ausreden, es nicht zu machen. Ich denke immer an das fertige Gericht und erst dann daran, wie ich dahinkomme. Einfacher oder schneller ist nicht mein Weg.
Machen Sie sich gerne selber das Leben schwer?
Für mich ist es kein Problem, ganze Hühner oder Fische zuzubereiten und à la Minute am Tisch zu tranchieren. Es braucht vielleicht etwas Mut und muss gut organisiert werden. Aber das sind keine Gründe, es nicht zu machen. Ich habe fünf Jahre bei Harald Wohlfahrt in der «Schwarzwaldstube» gearbeitet, da waren zwei Menüs und je zehn Fisch- und Fleischgänge auf der Karte ganz normal.
Inwiefern hat Sie diese Zeit geprägt?
Die Wohlfahrt-Schule ist für mich heute wie ein Lexikon, aus dem ich jede Zubereitungsart und Gartechnik abrufen kann. Wir haben damals allerdings auch mit viel Butter und Rahm gekocht, heute arbeiten wir mit leichteren Saucen oder Vinaigrettes.
Was hat Wohlfahrt als Koch ausgezeichnet?
Harald Wohlfahrt war erst zufrieden, wenn es perfekt war. Er hat jede Sauce probiert, oft musste man dann noch einen weiteren Ansatz kochen. Das war mühsam, aber am Ende hatte er immer recht. Heute frage ich meine Köche jeweils: «Ist das gut oder geil?» Dazwischen liegen Welten.
Wie haben Sie Ihre Liebe zur Thaiküche entdeckt?
Auch das fing während meiner Wohlfahrt-Jahre an. Wir hatten ein thailändisches Team im Haus, so habe ich Renu Homsombat kennengelernt, die ich dann später als Gastköchin eingeladen habe. 2007 konnte ich zum ersten Mal in Bangkok kochen. Die extremen Aromen von Süsse, Säure und Schärfe waren für mich eine Offenbarung. Mir war klar, dass sich in Verbindung mit der perfekten Gartechnik damit ganz neue Möglichkeiten ergeben.
Widerspricht ein extremes Aromenprofil wie jenes der Thai-Küche nicht den Ansprüchen der Haute Cuisine?
Um ein rundes Bild von geschmacklicher Harmonie zu erreichen, muss man die Aromen halt in alle Richtungen ausweiten. Dann braucht es vielleicht mehr Zucker, mehr Fett oder mehr Salz. Aber ich bin ehrlich gesagt auch nicht der Meinung, dass man jedes Produkt immer in seiner ganzen Natürlichkeit schmecken muss. Eine Jakobsmuschel kann auch mal bloss als Texturgeber eingesetzt werden.
Die einzige Kritik, die ich an Ihrer Küche schon gehört habe, war Ihr ausgesprochen grosszügiger Umgang mit Luxusprodukten. Braucht es wirklich in jedem Menü Austern, Foie Gras, Kaviar und Kobe-Beef?
Diese Produkte bleiben einem wahrscheinlich eher in Erinnerung, aber in meinen Menüs kommt auch Schweinebauch vor oder weisser Spargel. Der ist für mich gleich viel Wert wie japanisches Rindfleisch. Aber Luxusprodukte sind ja auch einzigartig. Ein Stück A5-Kagoshima oder ein Scampo der höchsten Qualitätsstufe 3/6 ist für mich pures Glück – kein Alltagsprodukt, sondern etwas ganz Besonderes.
Ist es nicht zu simpel, einfach ein Stück teures Fleisch mit Kaviar zu servieren?
Im Gegenteil, es bräuchte eigentlich eine Art Führerschein, um solche Produkte zubereiten zu dürfen. Man muss damit umgehen können. Ich kaufe Wagyu zum Beispiel nie tiefgefroren, das macht keinen Sinn. Auch da muss man für die Perfektion kämpfen. Wenn ich einen Skrej aus Island bestellt habe, muss jemand halt morgens um 6 Uhr morgens an den Flughafen, um den Fisch abzuholen. Und ein Koch steht dann um 7 Uhr in der Küche, um ihn zu verarbeiten, und um aus der höchsten Qualitätsstufe das Maximum herauszuholen.
Von den Tieren zurück zu den Menschen: Wie ist heute das Verhältnis zu Ihrem ehemaligen Chef Rolf Fliegauf, mit dem Sie einige Jahre im «Giardino» Ascona zusammengearbeitet haben?
Wir haben längst alle Differenzen geklärt. Wir waren immer gut befreundet, aber zwischendurch gab es Spannungen, die ich aber auch provoziert hatte. Es ging darum, welchen Küchenstil wir im «Ecco» in Zürich verfolgen. Ich war auf einem Egotrip unterwegs, und irgendwann hat Rolf gesagt: «Mach was du willst!»
Am 10. Juni empfangen Sie im «Widder» die ersten Gäste. Was dürfen die erwarten?
Wir starten mit Gerichten, die funktionieren, und welche die Gäste mögen. Ich habe schon zwanzig Miréal-Perlhühner bestellt, australischer Trüffel hat jetzt Saison, und es wird Thunfischbauch mit Blumenkohl und Thai-Salsa geben. André Siedl arbeitet an einem Dessert mit Felchlin-Ziegenmilchschokolade und Weizengras. Das Schöne ist, dass mein ganzes Team samt Spüler dabei ist. Ich muss niemand irgendetwas erklären, wir können einfach loslegen.
>> Fotos: Thomas Buchwalder, Olivia Pulver, HO