Text: Urs Heller Fotos: Tina Sturzenegger

Die 40-Kilometer-Regel. Executive Chef Stefan Beer war der Zeit etwas voraus. Er setzte für das «La Terrasse» im Swiss Deluxe Hotel «Victoria-Jungfrau» früh und konsequent auf eine eiserne Regel: Auf den Tisch kommt nur, was im Umkreis von 40 Kilometern wächst und gedeiht. Das ist mittlerweile allerhand: Gemüse, Kräuter, Güggel, Schwein, Lachsforellen, Sesam, Quinoa, Amaranth, Yacon-Wurzeln. Daraus baut Beer «Z’Menü vo Hie». Seit Corona vor allem für Gäste «vo Hie»; Schweizer Gäste haben Interlaken und das Flaggschiff «Victoria-Jungfrau» zurückerobert. Bilanz am Wochenende, auch dank smarten Übernachtungspackages: Volles Haus, Restaurants überbucht, Kundschaft glücklich.

 

Vitello Tonnato? Forelle tonnato! Wie man «vo Hie» anrichtet, zeigt der weitgereiste Chef bereits beim Amuse-bouche. Was aussieht wie ein klassisches Vitello tonnato, ist gar keines. Tuna kommt dem Chef nicht in die Küche, also wird der Thunfisch durch eine Forelle aus Sigriswil ersetzt; perfekt im Geschmack und vom Original kaum zu unterscheiden. Regional total auch bei den beiden besten Gerichten des Abends. Erst ein «Pork Rib» aus Bönigen, 24 Stunden weich gegart, mit Sesam aus Steffisburg (!), Frühlingszwiebeln-Espuma und einem Hühnerfond zum Weglöffeln; Umami nach Berner Oberländer Art! Dann ein Schwarzfuss-Hähnchen aus Einigen bei Thun: Die Brust artig gebraten und klassisch angerichtet, die Schenkel geschmort und mit Ingwer und Zitronengras in eine Praline verpackt. Der Ingwer ist noch nicht «vo Hie», aber das soll sich schnell ändern. Beim Gericht «Treffen sich zwei Bauern mit dem Tropenhaus Frutigen» (zwei Eier, mehrschichtig gefüllt) bewundern wir die technische Leistung und mögen natürlich auch den Oscietra Kaviar aus Frutigen; der Stör, selbst zu einer Mousse verarbeitet, ist nur knapp ein Gourmet-Fisch.

Food and Drinks

Geräuchert: Pork Ribs & Frühlingszwiebel-Espuma, Hühnerfond.

Sommeliere

Sommelière Daniela Wüthrich: Sie scoutet Winzer in der Region. 

Lockdown-Projekt: «Vegan vo Hie»! Stefan Beer und sein Vize Michael Althaus standen auch während des Lockdowns regelmässig in der Küche. Ihr Projekt: Ein 100% veganer Sechsgänger, «Vo Hie» natürlich, wie es die Hausordnung vorgibt. Beer: «Ich musste mir selbstkritisch eingestehen, dass ich bisher vegan nicht auf dem gleichen Level gekocht habe wie bei unseren üblichen Menüs. Wir haben die zweimonatige Pause genutzt, um uns mit der veganen Küche intensiv auseinanderzusetzen und spannende Lösungen zu finden.» Bester Gang im ersten Menü «Vegan vo Hie»: Stange und Knolle von Kirchdorfer Sellerie in verschiedenen Konsistenzen, Steffisburger Sesam – und dazu die Frische eines rohen Bödeli-Apfels. Mag man, auch wenn man nicht der veganen Fraktion angehört. An die «Culurgiones» (Liebstöckel, Tomaten, Spinat und Kartoffeln, verpackt in einen Getreideteig vom Wyssarerhubel in Bönigen) wagen wir uns mutig beim nächsten Besuch.

 

«D’Wy vo Hie». By Daniela Wüthrich. Natürlich kriegt man im «Victoria-Jungfrau» auch Weine aus der Region, allerdings wird die Einkaufsmeile dafür auf 80 Kilometer ausgeweitet; der Bielersee muss schon noch drin sein im Revier von Sommelière Daniela Wüthrich, die mit grosser Leidenschaft auch in den kleinen Kellern unterwegs ist. Ihre neuesten Entdeckungen: Ein Chasselas von «Keller am See» (Bielersee). Ein Blauburgunder vom Thunersee (Rebbau-Genossenschaft Spiez) – und tatsächlich auch ein Orange-Wine: Martin Hubacher stellt ihn in Kleinstmengen her. «Oräntsch» nennt er ihn, und zum Pork Rib passt er gut. Schmunzeln müssen wir trotzdem. Das «Victoria-Jungfrau» gehört Cos d’Estournel-Besitzer Michel Reybier. Und wir trinken «Oräntsch».

 

Der GaultMillau meint. Da wächst was heran! Direktor Peter Kämpfer sorgt für Schwung im alten «Laden», 40 weitere Zimmer sind glanzvoll renoviert – und die Küche fährt konsequent ihren regionalen Kurs; Châteaubriand (auch «Vo Hie») und Crêpes Suzette sind die letzten Konzessionen an die alten Grandhotel-Zeiten. Upgrade auch in der Pâtisserie: Der Franzose Pierre Cardona (zuvor bei Dreisterne-Koch Guy Savoy in Paris) ist der neue Chef, kombiniert fasziniert von den regionalen Produkten rote Früchte, Schafmilch, Holunderblüten und Rüegsbacher Müesli. «La Terrasse» ist eine kulinarische Reise wert.

 

 

Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa

La Terrasse

16 Punkte

Höheweg 41

3800 Interlaken

www.victoria-jungfrau.ch

 

>> Lesen Sie hier: Noch mehr aktuelle Empfehlungen des GaultMillau-Teams.