Fotos: Olivia Pulver
Süsse Motivationsspritze. In der Küche des Restaurants Igniv in Andermatt steht eine grün bemalte Holzkiste. Darauf steht in orangen Lettern: «Motivationskiste. From Mammertsberg with Love». Die Kiste war mal bis zum Rand gefüllt mit Gummibärchen, sauren Zungen und guten Wünschen von Silvio Germann und Team. Der Inhalt kommt gut weg und scheint zu wirken. Küchenchef Valentin Sträuli, 28, und seine Crew sind im Dezember hochmotiviert in Andermatt gestartet, jetzt zieht er eine erste Zwischenbilanz. «Wir haben uns hier sehr gut eingelebt. Es war zwar etwas stressig und wir hatten lange Tage und kurze Nächte, aber wir haben eine Routine gefunden», sagt Sträuli. Was hilft: Valentin Sträuli leitet das «Igniv by Andreas Caminada» zusammen mit seiner Freundin und Gastgeberin Hannah van den Nieuwenhuizen, 29.
Im «Igniv» in Andermatt kommen die Gerichte zum Teilen auf den Tisch.
Freundin Hannah van den Nieuwenhuizen ist im «Igniv» verantwortlich für den Service.
Perfektes Nutellabrot. Die «Filiale» in Andermatt ist neben Bad Ragaz (schliesst Ende Januar 2026), Zürich und Bangkok das vierte «Igniv». Auch hier wird den Gästen ein Sharing-Konzept angeboten. Valentin Sträuli richtet die Snacks extrem präzise an. Das war ihm schon als Kind wichtig. «Wenn mein Nutellabrot nicht exakt bis zum Rand gestrichen war, wollte ich es nicht essen», sagt er und lacht. Valentin ist in Zürich aufgewachsen, sein Vater betrieb das mexikanische Restaurant Poco Loco beim Letzigrund. «Ich habe immer mitgeholfen und mich deshalb schon früh für Essen interessiert.» Koch wollte er deswegen aber nicht.
Für die Inneneinrichtung ist Star-Designerin Patricia Urquiola verantwortlich.
Sträuli arbeitet gerne mit ungewöhnlichen Produkten: Rochenflügel mit BBQ-Crème.
Der Zürcher wurde bereits mit 27 Jahren Küchenchef.
Von Tag 1 an begeistert. Valentin macht die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium, doch verlässt die Schule bereits in der Probezeit wieder. Es folgt eine Lehre als Hochbauzeichner. Auch das schmeisst er wieder hin. «Ich habe gemerkt, dass ich nicht am Schreibtisch sitzen möchte. Ich wusste, dass ich etwas mit den Händen machen muss.» Da kam ihm die Idee, Koch zu werden. Um sich ganz sicher zu sein, macht er ein Praktikum in der legendären Kronenhalle. «Da waren all diese Köche in ihren weissen Jacken und mit Toque, es war laut und alle schrien sich an. Bereits an Tag 1 hatte ich mich in diesen Beruf verliebt», erinnert sich Sträuli an diese Zeit. «Ein Koch flambierte Boeuff Stroganoff und hantierte mit gefühlt 13 Pfannen gleichzeitig. Das wollte ich auch können.» Die Lehre absolviert der angehende Koch im «La Salle» in Zürich. «Dort habe ich die Basics von Grund auf gelernt. Das ist wichtig, danach kannst du aufbauen.»
Strenger Job: Für das Kräuteröl muss die ganze Masse durchs Sieb passiert werden.
Frischekick: gebeizter Zander mit Avocado, Gurke und grüne Tomate.
Von Colaianni zu Caminada. Schon während der Lehre liebäugelt Sträuli mit der Spitzengastronomie – doch es ist gar nicht so einfach da reinzukommen. «Ich habe mich etwa sieben Mal bei Antonio Colaianni beworben, aber nie etwas gehört. Plötzlich meldete er sich doch noch und sagte: morgen ist das Vorstellungsgespräch, übermorgen Arbeitsbeginn!» Sträuli bleibt bis zur Schliessung des «Gustav» beim Italiner. «Er konnte mir danach keine Stelle mehr anbieten. Also hat er bei Andreas Caminada angerufen und ihm gesagt: Ich habe da einen, den musst du nehmen.»
Im «Igniv» harmonieren Farben, Formen und Deko perfekt miteinander.
Langustine mit Chili, Tomaten, Fenchel und Dashi-Creme.
Die ersten Snacks können auch an der Bar serviert werden.
Alle ziehen am selben Strick. So landet Valentin Sträuli in der Talentschmiede des 19-Punktechefs. 2020 eröffnet Caminada gerade ein neues «Igniv» in Zürich. Sträuli kocht an der Seite von Daniel Zeindlhofer. Vier Jahre lang. Dort lernt er auch seine Freundin Hannah kennen. Später wechselt er aufs Schloss. «Die Zeit gehört zur geilsten meines Lebens, was die Kochtechniken anbelangt. Es ist einfach das schönste Restaurant der Welt. Es läuft so viel, aber alle ziehen am selben Strick. Jeder ist wichtig und wird auch wertgeschätzt.» Wenn Valentin erzählt, merkt man sofort, wie wohl er sich im Caminada-Universum fühlt. «Es ist einfach eine grosse Familie. Man hat so einen engen Zusammenhalt, auch mit den anderen Restaurants.» Platzhirsche sucht man vergebens. Ellbögeln ist nicht nötig.
Valentin Sträuli hat Ambitionen: Er möchte gleich gut sein, wie seine Igniv-Kollegen.
Kohlrabi, Erbsen, Zuckerschoten, Estragon und grillierter Kopfsalat.
Erste Stelle als Küchenchef. Als klar wurde, dass Andreas Caminada ein neues «Igniv» in Andermatt eröffnet, geht das «Werweissen» los, wer denn der neue Küchenchef wird. «Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich es sein könnte. Ich war ja erst 27 und hatte vorher noch keine Küchenchefstelle.» Doch Andreas Caminada findet, Valentin ist ready. «Ich habe nicht lange überlegt und zugesagt. Andreas hat auch eine Chance erhalten, als er so jung war. Jetzt gibt er das anderen jungen Köchen weiter.»
Haben sich im «Igniv» in Zürich kennen und lieben gelernt: Hannah van den Nieuwenhuizen und Valentin Sträuli.
Spiel mit der Schärfe. Der Schlossherr gibt in seinen «Ignivs» die ungefähre Richtung vor, bestimmt das Innendesign und welches Geschirr verwendet wird. «Die Restaurants sollen die Iginiv-DNA haben, aber man soll jederzeit merken, ob man bei Joel Ellenberger in Bad Ragaz, Daniel Zeindlhofer in Zürich oder bei uns isst», erklärt Sträuli. Innerhalb dieser Vorgaben ist er für sein Menü relativ frei. «Natürlich braucht es eine Weile, bis man seine eigene Handschrift gefunden hat.» Was man definitiv jetzt schon als wiederkehrendes Element betrachten kann, ist das Spiel mit Schärfe. Der Hamachi-Tacco mit eingelegtem Myoga (japanischer Ingwer) hat eine leichte Schärfe und auch die Langustine mit Chili, Tomaten und Fenchel an einer Dashi-Crème hat ordentlich Power. «Durch die Küche meines Vaters habe ich scharfes Essen schon als Kind geliebt. Ich denke, heute gehe ich mit Schärfe ziemlich frech um.»
«Mache mir selber Druck» Noch wurde das «Igniv» in Andermatt weder mit Punkten noch mit Sternen ausgezeichnet. Das dürfte sich im Herbst ändern. Die anderen beiden «Ignivs» in der Schweiz spielen in der obersten Liga mit. 17 Punkte verleiht der GaultMillau, der Michelin zwei Sterne. «Natürlich löst das einen gewissen Druck aus, den ich mir aber selber mache. Denn ich will auch so gut sein wie die anderen», sagt Valentin Sträuli. Und gleichzeitig weiss er, dass auch die anderen «Igniv»-Chefs das nicht von heute auf morgen geschafft haben. «Wir wissen, was wir machen und was wir kochen. Aber es braucht auch Konstanz. Und die erlangt man nur über Zeit.»