Fotos: Remy Steiner

Team-Besprechung um 9 Uhr. Beat Stofer ist jetzt 51 Jahre alt und in diesem Alter wechselt man bei der Vereinigung Jeunes Restaurateurs (JRE) vom aktiven zum Ehrenmitglied. Das ist für den Chef des Hotels und Restaurants Balm in Meggen LU kein Grund, sich auf ruhige Bürotätigkeiten zurückzuziehen – im Gegenteil. Stofer macht zwar alles selbst, auch die Buchhaltung, aber in der Küche ist er das, was man im zeitgemässen Sprachgebrauch als «Hands-on-Chef» bezeichnet. Am Morgen begrüsst mich der grossgewachsene Luzerner um 9 Uhr zur Team-Besprechung, auf dem Tisch liegt der «Blick» und die Menüs vom Vortag. Sie werden täglich überarbeitet und neu geschrieben. Tomaten mit Burrata bleibt auf der Karte, der Ora King Lachs ist aus und wird mit Hummerschwanz ersetzt. Die Idee ist ausserdem, neu etwas mit Wassermelone, Feta und Estragon zu machen. Nach rund 15 Minuten wissen alle – drei Lehrlinge, vier Köche, ein Abwascher und der Chef natürlich –, was zu tun ist. 

15.08.2025, Meggen LU, Restaurant Balm, Sandra und Beat Stofer (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Gastgeber mit Herz und Verstand: Sandra und Beat Stofer führen das «Balm» seit 22 Jahren.

«Ein Gemischtwarenladen.» Abends ist ein Bankett angekündigt – ein 80. Geburtstag, den acht Erwachsene und drei Kinder feiern. Dazu kommt das unberechenbare Mittagsgeschäft, Halbpensions-Menü für Hotelgäste sowie natürlich der Dinner-Service. «Ich führe einen Gemischtwarenladen», sagt mit Augenzwinkern Beat Stofer über sein vielseitiges Haus mit Hotelzimmern und einem vielfältigen gastronomischen Angebot, das Gäste, die im Rolls-Royce anreisen, ebenso anspricht wie solche, die bloss ein (schön souffliertes) Wiener Schnitzel vom Schweizer Kräuter-«Säuli» mit Pommes und Salat essen möchten. Wer anreist, sehe ich von meinem Entremetier-Posten aus ziemlich gut, der Blick geht direkt auf den Parkplatz. Das hat ausserdem den Vorteil, dass man hier bei Tageslicht arbeiten kann, was in professionellen Küchen als besonderes Qualitätsmerkmal gilt.

15.08.2025, Meggen LU, Restaurant Balm, Gericht; Wienerschnitzel vom Kräuterschwein, Pommes Frites (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

«Gemischtwarenladen»: das Angebot reicht vom Gourmet-Gericht bis zum Wiener Schnitzel vom Schweizer Kräuterschwein.

15.08.2025, Meggen LU, Restaurant Balm, Gericht; Swiss Black Angus Siedfleischterrine, Apfel, Senf, Meerrettich (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Start auf dem Entremetier-Posten: Praktikant Schnapp mit Koch Hendrik Höft.

Vom Problem zum «Signature Dish». Mein Kollege Hendrik Höft weist mich geduldig in die Montage eines von der Karte nicht mehr wegzudenkenden «Signature Dish» ein: Die Siedfleisch-Terrine von Beat Stofer ist eines jener Gerichte, die in Küchen entstehen, weil dringend eine Lösung für ein Problem gesucht wird: In diesem Fall blieb nach einem Bankett vor 15 Jahren eine grössere Menge Siedfleisch übrig. Es wird seither auf der Aufschnittmaschine dünn aufgeschnitten, in eine Form geschichtet, darauf kommt abwechslungsweise etwas Brunoise von Wurzelgemüse und eine mit Gelatine versetzte Consommé. Sie wird in zwei Ansätzen hergestellt und geklärt, was ihr eine wunderbare Karamellfarbe gibt. Etwas mehr als eine Stunde beschäftige ich mich dieser angenehm meditativen Tätigkeit, Lage um Lage entsteht das fleischige «Mille Feuille». Es wird mit Chutney, Senfsaat, Radieschen, Kräuteröl, Mayonnaise und Meerrettich aufwendig angerichtet.

Jus für Konstanz. Nach dieser Geduldsprobe ist die morgens angedachte Wassermelonen-Vorspeise meines Kollegen Hendrik bereit für den ersten Test. Er hat die Frucht mit Vermouth und Kräutern mariniert. Beat Stofer verlangt noch etwas mehr Salz und Säure, aber weniger Feta. «Ich mag es so zu kochen – morgens haben wir eine Idee, mittags wird sie schon serviert», sagt er. Der gut gelaunte Chef mag Abwechslung und Spontaneität, wochenlang das gleiche Menü zu servieren, «würde mich langweilen». Für geschmackliche Konstanz sorgen die Saucen und der Jus, der immer mit Kalbsschwanz und Hühnerflügeln angesetzt wird, um mehr Tiefe und Komplexität hineinzukochen. Ein weiteres, wichtiges Prinzip in Stofers Küche ist auch, dass Ideen von jedem gefragt sind: «Ich möchte, dass sich alle, auch die Lehrlinge, einbringen», sagt er. Das Prinzip scheint zu funktionieren, einer seiner früheren jungen Mitarbeiter arbeitet jetzt bei Clare Smyth in London, der andere bei Stefan Heilemann in Zürich.

15.08.2025, Meggen LU, Restaurant Balm (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Geduldsprobe: Beat Stofer zeigt Autor Schnapp das Entgräten von Zanderfilets.

15.08.2025, Meggen LU, Restaurant Balm (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Der Chef arbeitet mit: Beat Stofer in seiner Küche.

Eine Kiste Zanderfilets. Damit ich die routinierten Abläufe während dem Mittag-Service nicht zu sehr störe, wird mir nun eine ziemlich grosse Kiste frische Zander-Filets vorgesetzt. Sie von den feinen Gräten zu befreien, ist eine – durchaus mühsame – Lektion in Demut, ein Charaktertest in Sachen Ausdauer und Genauigkeit. Eine Gräte zu übersehen, scheint mir sowohl als Küchenhilfe wie auch aus Gästeperspektive nicht akzeptabel zu sein. Weil der von Bianchi am Morgen gelieferte Fisch tatsächlich sehr frisch ist, lassen sich die zarten Knochen teilweise nur schwer aus dem weissen Fleisch ziehen. Auch hier hilft der Chef mit, nach einer weiteren Stunde ist die Frischfisch-Kiste abgearbeitet und der Lunch vorüber. Nach dem Service schwimme ich mit Beat Stofer kurz im nahen Vierwaldstättersee und stelle anschliessend fest, dass der Zandergeruch immer noch an den Händen haftet. Das nehme ich immerhin als eine Art ironische Erinnerung mit in den zweiten Teil dieses Praktikumstages, der traditionell nach der Zimmerstunde um 16.30 beginnt.

15.08.2025, Meggen LU, Restaurant Balm (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Langjähriger Gastgeber und Sommelier: Michael Boog bereitet das Eigenbrötler-Brot für den Service vor.

Gasthaus mit Geschichte. Beat Stofer ist einer der entspanntesten Köche, die ich während meiner Praktikums-Karriere während des letzten Jahres getroffen habe. Er lässt seinen Leuten eine «lange Leine», wie er das formuliert, macht sich kaum Gedanken über seine GaultMillau-Bewertung und hat zuallererst seine sehr unterschiedlichen Gäste und natürlich das Wohl des Betriebs im Blick. «Das gehört mir und muss deshalb funktionieren», bringt er es auf den Punkt. Im schmucklosen Büro sitzt er dann manchmal mit seiner Frau Sandra, um Abrechnungen zu kontrollieren. Diese Aufgabe einem externen Dienstleister übertragen will Stofer nicht, das ist für ihn Teil der unternehmerischen Verantwortung und ausserdem zu kostspielig. Dabei ist das «Balm», das zuvor Stofers Eltern geführt haben, ein Gasthaus mit Geschichte. Die Urkunde, mit der der «Regierungsrath des Kantons Luzerns» im Jahr 1863 dem Betrieb das Schankrecht vergab, hängt über dem Stammtisch der Beiz, wo wir vor dem Abendservice zusammen essen. Seither wurde immer wieder an- und umgebaut – vom ziemlich gut bestückten Weinkeller bis zum Pool im Garten, den nicht nur Hotelgäste, sondern auch die jungen Köche zur Abkühlung nutzen können.

15.08.2025, Meggen LU, Restaurant Balm (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Familiäre Atmosphäre: vor dem Service sitzt man zum Essen zusammen.

15.08.2025, Meggen LU, Restaurant Balm, Gericht; Marinierte Wassermelone, Estragon, Wildkräuter, Feta (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Morgens die Idee, abends das Gericht: marinierte Wassermelone mit Estragon, Wildkräutern und Feta.

Inseln des Adrenalins. Für den Abendservice richte ich mich auf dem Entremetier, dem Posten für kalte Vorspeisen, ein. Das Anrichten der Siedfleischterrine läuft mittlerweile schon recht routiniert und auch das Wassermelonen-Gericht habe ich mir eingeprägt. Um 18 Uhr herrscht für einige Minuten noch diese kribbelnde Mischung aus Spannung und Vorfreude, bis irgendwann der erste Bon ratternd aus dem Drucker kommt, der das Eintreffen der ersten Bestellung signalisiert. Profiküchen sind Inseln des Adrenalins und Beat Stofer sagt über sein System, es sei darauf ausgelegt, «dass es rumpelt». In anderen Worten, man weiss in der «Balm» zwar nie, was kommt, aber darauf ist man sehr gut vorbereitet. Das eingespielte Team erweist sich dabei als ausgesprochen leistungsstark und -willig. Am Ende kommen zu den 50 Reservationen noch acht spontane «Walk-ins» dazu, so dass «Team Stofer» am Ende dieses schönen Freitagabends schliesslich 80 Gäste bewirtet hat. Und ich habe dabei unter anderem wertvolle Dinge über Siedfleisch und Zander gelernt, was als persönlicher Erfolg zu werten ist.