Tätowiert bis zum Hals. Als Eric Vildgaard im vorletzten Winter mit dem Team des Restaurants Jordnaer im «Badrutt’s Palace» in St. Moritz gastierte, rannten ihm auch die besten Chefs der Schweiz die Bude ein. Das unterstreicht: Der bis zum Hals tätowierte Däne war schon eine Kulinarik-Ikone, ehe der «Guide Michelin» dem «Jordnær» im Mai 2024 den dritten Stern verlieh. Das liegt vor allem an seinem virtuosen Umgang mit Seafood, wohl aber auch an der hollywoodreifen Lebensgeschichte des 41-Jährigen und seiner speziellen Ausstrahlung. Vildgaards Geständnis: «Früher war ich voller Hass, heute bin ich voller Liebe.» Bild oben: Torsten (l.) und Eric Vildgaard.
Ein «Jordnær»-Klassiker: Dry aged Steinbutt, Black-Label-Kaviar, gebratene Morchel und Vin-jaune-Sauce.
Erleuchtung im «Noma». Bereits mit 13 landete Vildgaard im Jugendgefängnis, und als er 15 war, prüften die Behörden, ob sie ihn in eine geschlossene Haftanstalt für Erwachsene stecken könnten. Der Rebell, der Drogenprobleme hatte und sich keiner Autorität fügen wollte, hatte Glück und landete stattdessen auf einem Segelschiff für ausser Kontrolle geratene Jugendliche. Dort fand er Gefallen daran, anderen mit Essen Freude zu bereiten. Ein Wendepunkt in seinem Leben, aber noch längst nicht das Happyend. Seine Lehre im Sternerestaurant «Søllerød Kro» schmiss er wieder und fiel zurück ins kriminelle Milieu. Doch dann vermittelte ihm sein Bruder Torsten, der viele Jahre lang René Redzepis rechte Hand war, einen Job im «Noma». Erst in der Bankettabteilung, dann in der Hauptküche. «René hat eine enorme Ausstrahlung. Er ist ein Mensch, den man glücklich sehen will – und auf keinen Fall wütend», sagt Eric.
Perfektion à la Vildgaard: Grillierte Langustine aus Nordnorwegen mit Yuzu-Kosho und Sanddorn.
Im März 2025 teilte Eric Vildgaard bei einem Dinner des dänischen Königshauses den Tisch mit Königin Mary.
Nordische Eleganz mit asiatischem Twist: Hummer-Croustade mit Yuzu-Ponzu, Sansho-Pfeffer und Forellenrogen.
Ein ungleiches Traumpaar. Die wichtigste Person in Eric Vildgaards Leben ist aber seine Frau und Geschäftspartnerin Tina Kragh Vildgaard, mit der er fünf Kinder hat. Dabei verlief das erste Zusammentreffen der beiden zunächst sehr irritierend für ihn. «Es war bei einem Vorstellungsgespräch, das mir ein Freund vermittelt hatte. Sie wirkte eiskalt, wie ein Kühlschrank», erinnert sich Eric. Doch der «Kühlschrank» taute bald auf. Vildgaard bekam den Job und eroberte schliesslich das Herz der grazilen Dame mit den roten Haaren. Heute sagt er: «Tina hat mich immer so akzeptiert, wie ich bin. Wenn ich morgens neben ihr aufwache, schaue ich sie an und nehme mir vor, für sie jeden Tag ein besserer Mann und Vater zu werden.»
Schlichte Eleganz statt Prunk: Der Speisesaal des «Jordnær» in Gentofte.
Hauptkomponente, Sauce, fertig! Das «Jordnær» – untergebracht in einem eher einfachen Hotel im dänischen Gentofte – ist der unverkrampfte, sinnliche Gegenentwurf zum ebenfalls mit drei Sternen ausgezeichneten «Geranium» im Kopenhagener Parken-Stadion. Während die zahlreichen Praktikantinnen und Praktikanten beim zweimaligen Bocuse-d’Or-Sieger Rasmus Kofoed stundenlang Kräuter zupfen und Gemüse mit winzigen Förmchen ausstechen müssen, funktioniert Eric Vildgaards Anrichteweise nach einem simplen Prinzip: Hauptkomponente, Sauce, fertig. Häufig kommt noch Kaviar hinzu. Nicht als Dekoration, wohlgemerkt, sondern als integraler Bestandteil des Gerichts – und in überaus grosszügiger Portionierung. Auf rotes Fleisch verzichtet Eric dagegen seit sieben Jahren. «Weil es kaum in der Qualität zu finden ist, die ich mir wünsche.»
Eric und Tina Vildgaard – hier während ihrer Zeit im «Badrutt's Palace» – haben zusammen fünf Kinder und ein weltberühmtes Restaurant.
Ein kometenhafter Aufstieg. Eric Vildgaards Perfektionismus bei der Beschaffung und Zubereitung von Fisch und Seafood liess ihn in weniger als sieben Jahren in den kulinarischen Olymp klettern. Im Frühjahr 2018 – zehn Monate nach der Eröffnung – erhielt das «Jordnær» vom Guide Michelin den ersten Stern, ein Jahr später folgte der zweite und 2024 schliesslich der dritte. «Gratulation an den coolsten kleinen Bruder der Welt», schrieb Torsten Vildgaard auf Instagram. Der stille und weniger bekannte der beiden talentierten Vildgaard-Brüder stand zu diesem Zeitpunkt schon im Dienst von Schwedens Super-Koch Björn Frantzén und bereitete für diesen die Eröffnung des «FZN» im Hotel Atlantis The Palm in Dubai vor. Zuvor hatte er rund 14 Jahre in führender Position im «Noma» gearbeitet und zwischenzeitlich sein eigenes Sternerestaurant, das «Enspire» in Kopenhagen, geführt.
Die stolzeste Stunde: Am 22. Mai 2025 steht Torsten Vildgaard zusammen mit Restaurant-Managerin Karin Ågren, Björn Frantzén und Guide-Michelin-Direktor Gwendal Poullenec (v.l.) in Dubai als Drei-Sterne-Koch auf der Bühne.
Drei Sterne auf Anhieb. Frantzéns Erwartung an Torsten Vildgaard war von Anfang an klar: drei Sterne. Vielleicht nicht gerade auf Anhieb, aber zumindest im zweiten Jahr. Das liess sich schon am Menüpreis von umgerechnet 500 Franken (ohne Getränke) ablesen, der selbst in Dubai für Aufsehen sorgte. Die kolportierte Investitionssumme ins «FZN» von 22 Millionen erhöhte den Druck zusätzlich. Torsten aber lieferte in Rekordzeit. Als der Guide Michelin am 22. Mai dieses Jahres die neuen Bewertungen für die Glamour-Metropole in der Wüste präsentierte, durfte er zusammen mit seinem Chef auf die Bühne und eine mit drei Sternen verzierte Kochjacke in Empfang nehmen. Sechs Monate und 14 Tage nach der Eröffnung. «Die Emotionen, die über mich hereingebrochen sind, waren unglaublich», sagt der 46-Jährige.
Das Tüfteln an der Brühe für das Chawanmushi-Gericht dauerte mehrere Monate.
«Das Beste aus zwei Welten»: Torsten Vildgaard ist fasziniert von Dubai.
Die Langustinen kommen lebend ins FZN und werden für genau acht Sekunden frittiert.
Stiller Star. Obwohl Torsten Vildgaard und Björn Frantzén noch keine zwei Jahre ein Team bilden, gibt es zwischen den beiden schon lange eine Verbindung. «Mein erstes Essen in Björns Stockholmer Restaurant, damals noch am alten Standort, hat mich schon schwer beeindruckt. Die Kombination von französischer, nordischer und asiatischer Küche ist wegweisend. Am neuen Ort hatte ich das beste Essen meines Lebens und wünschte mir, einmal mit diesem Mann zusammenzuarbeiten», sagt Torsten, der wie Marcel Skibba («Schloss Schauenstein», Fürstenau GR) oder Marco Böhler («Stucki», Basel) kein Problem damit hat, in der öffentlichen Wahrnehmung in der zweiten Reihe zu stehen. Sein erstes Jahr als Executive Chef der Frantzén Group verbrachte Torsten damit, den Zugang zu den besten Produkten für das «FZN» aufzugleisen und die Rezepturen an die besonderen Bedürfnisse in Dubai anzupassen. Die gereifte Schweinebrühe, die zusammen mit Chawanmushi und Kaviar eines der ikonischsten Frantzén-Gerichte ergibt, musste er zum Beispiel mit Rind als Basis nachbauen. Eine Herausforderung, die bis zum perfekten Ergebnis mehrere Monate in Anspruch nahm.
Umgerechnet 22 Millionen Franken soll der Bau des «FZN» im Hotel Atlantis The Palm in Dubai gekostet haben.
Tahina zum Steinbutt. Torsten Vildgaard ist es wichtig, dass das «FZN» nicht einfach eine Kopie des «Frantzén» in Stockholm ist, sondern trotz der gemeinsamen kulinarischen DNA und Klassikern, die an beiden Orten auf dem Menü stehen, ein eigene Identität besitzt. Das erreicht er auch durch den Einsatz von Produkten, die typisch sind für den Mittleren Osten. Steinbutt und Kaviar etwa kombiniert er mit Baumnüssen und Tahina, einer Paste aus geröstetem Sesam. Dubai sei zwar keine klassische, sondern erst eine junge Fine-Dining-Destination, befinde sich aber an einem sehr spannenden Ort, so Vildgaard. «Ziemlich genau in der Mitte zwischen Skandinavien und Japan nämlich. Wir bekommen hier das Beste aus zwei Welten.» Nach der Zeit im strikt nordischen «Noma» freue er sich sehr, mit Produkten wie den speziellen Zitrusfrüchten Japans zu arbeiten.
Fotos: Jesper Rais, Martin Høien/Aller/MEGA, HO