Text: Alex Kühn | Fotos: Ciril Jazbec
Burek und Kräuterschnaps. Wir treffen Ana Roš nachmittags um halb drei an ihrem bevorzugten Street-Food-Stand in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana, «Burek Olimpija». Die Drei-Sterne-Köchin, «The World’s Best Female Chef» von 2017, bestellt einmal quer durch die Karte und erzählt: «Ich liebe diesen Ort. Das ‹Olimpija›-Team hat sogar an meiner Hochzeit die Gäste mit Bureks versorgt. Alle waren begeistert.» Kein Wunder, das mit Käse, Spinat oder Hackfleisch gefüllte Blätterteiggebäck ist wunderbar fluffig und schmeckt fantastisch. Dazu trinken wir dunkelbraunen Kräuterschnaps aus Pappbechern. Der Mann am Burek-Stand lässt es sich nicht nehmen, ein Selfie mit Ana zu machen. Die 52-Jährige ist in Slowenien fast so berühmt wie Roger Federer in der Schweiz! Bild oben: Ana Roš und ihre Kreation «Trout the Queen».
Die Hiša Franko ist ein charmantes Ensemble aus Restaurant und Hotel in frischen Farben.
Unweit von Ana Roš' Restaurant fliesst die türkisblaue Soča.
Blüten und Kräuter spielen in der Küche der Slowenin eine wichtige Rolle.
Weltklasse im Nirgendwo. Das Herz von Ana Roš’ kulinarischem Königreich schlägt im zwei Autostunden entfernten Kobarid, einem 1000-Einwohner-Örtchen in der wilden Landschaft des Soča-Tals. Dessen DNA und die Jahreszeiten auf dem Teller abzubilden, ist der Anspruch der Köchin, die in jungen Jahren eine überaus ambitionierte Skirennfahrerin war. Und so essen wir in der «Hiša Franko» zum Auftakt unter anderem ein in marinierten Sellerie eingerolltes Sträusschen aus Kräutern und Blüten mit Flusskrebsen, das so natürlich und unverfälscht daherkommt wie die Hausherrin selbst. Ana ist anders – und hat keine Angst, anders zu sein!
«Summer Harvest» (sommerliche Ernte) heisst diese Kreation mit Gemüse, Früchten und allerlei aromatischen Blättchen.
Königin Forelle. Im Gegensatz zu vielen Chefs auf absolutem Top-Niveau strebt die selbstbewusste, humorvolle Frau mit den platinblonden Locken keine perfekten geschmacklichen Harmonien an. Sie mag Gerichte mit Ecken und Kanten und greift gerne zu getrockneten Chilischoten aus dem Garten ihres Hauses an der istrischen Küste. Ein beträchtlicher Teil ihrer Kreationen besitzt deshalb eine Schärfe, die zunächst irritiert, am Ende aber immer Sinn macht. So auch bei der Forelle aus dem nahen Bohinj-See an einer kräftigen Sauce mit Hühnerfond, fermentierten Kürbiskernen und besagten Chilis. Der während mehrerer Tage trocken gereifte und über japanischer Holzkohle grillierte Fisch schmilzt im Mund nur so dahin! Der Name des Gerichts, «Trout the Queen», passt perfekt!
Ana Roš unternimmt gerne Exkursionen in die wilde Natur rund um Kobarid – und sammelt Kräuter für ihr Restaurant.
Signature Dish? Kartoffel! Die berühmteste Kreation in der «Hiša Franko» heisst «Potato & Hay», Kartoffel und Heu also. Spezielle Kartoffeln, die Ana für einen Euro pro Stück bei einem Bauern in der Region einkauft, werden in einer tüchtig gesalzenen Heukruste gebacken und zusammen mit Honigbutter serviert. Der stark der klassischen Luxus-Küche zugeneigte Blogger Julien Walther («Trois Etoiles») spottete, die Kruste schmecke sehr salzig und rieche nach Hamster. Sie ist allerdings auch nicht für den Konsum in grösseren Mengen gedacht, sondern zum Zerbröseln, damit man sie wie ein Kräutersalz verwenden kann. Einmal zwischen den Fingern zu Pulver zerrieben, tut die gescholtene Kruste der Kartoffel sehr gut!
Die Tagliolini schmiegen sich an eine leuchtend gelbe Sauce auf Basis von vollreifen Melonen.
Good Vibes: Blick in einen der beiden Speisesäle der «Hiša Franko».
Der grosse «Hiša Franko»-Klassiker: Kartoffel in Heukruste.
Pasta, Melone, Sepia. Dass sie ein Freigeist ist, beweist Ana Roš auch mit ihrer Pasta, perfekten Tagliolini an einer leuchtend gelben Sauce auf Basis von Melone mit Sepia und altem Balsamico. Erstaunlich süss und fruchtig, darum auch wenig irritierend, insgesamt aber sehr sinnlich. Die Wärme des Sommers und der nahen Küste (an die Adria sind es von Kobarid aus nur rund 125 km) vereint in einem tiefen Teller.
Anas rechte Hand aus Kalifornien. Die wichtigste Frau in Anas Team heisst Yvonne Simon. Die Kalifornierin, fast gleich alt wie ihre Chefin und erst spät in die Gastronomie eingestiegen, kam vor sieben Jahren nach Slowenien. Eigentlich wollte sie nur ein Praktikum in der «Hiša Franko» absolvieren, doch dann verliebte sie sich so sehr in den Ort und die Philosophie des Restaurants, dass sie blieb und mit der Zeit zur Küchenchefin aufstieg. «Yvonne ist fantastisch. Sie hat Ordnung und Systematik in die Küche gebracht und es geschafft, eine besonders entspannte und freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen», schwärmt Ana.
Yvonne Simon ist die rechte Hand von Ana Roš und führt die Küchenbrigade, wenn die Chefin anderweitig beschäftigt ist.
Der Sturz in den Hüttenkäse-Bottich. Ein Essen in der «Hiša Franko» ist nicht komplett ohne Anas Version der National-Süssspeise Štruckli (gefüllte Dumplings aus Kartoffelteig). Sie verfeinert das Dessert mit «Fermentirana Skuta», einer Art fermentiertem Hüttenkäse, Kirschen und Holunderblüten. «Als Kinder haben wir immer von diesem Käse stibitzt. Einmal bin ich in den Bottich gefallen und wäre fast darin ertrunken», erzählt die mit ihrem Restaurant auf Platz 69 von «The World’s 50 Best» klassierte Köchin. Auch sonst hat sie einige bemerkenswerte Geschichten zu erzählen. Nicht zuletzt die von ihrer grossen Liebe Urban Stojan. Ana lernte den international tätigen Projektmanager am 6. Oktober 2022 kennen und heiratete ihn am 31. Dezember des gleichen Jahres. Ein klassischer Fall von Liebe auf den ersten Blick. Längst ist Urban auch ein wichtiger Mann in Anas Gastro-Imperium.
Die «Hiša Franko» besitzt ihren eigenen Käsekeller, gleich hinter der Küche.
Perfekt zu Schaumwein: Maisbeignets mit einer Füllung aus fermentiertem Hüttenkäse und Forellenrogen.
Anas Bistro in Ljubljana. Das zweite kulinarische Gesicht der Ana Roš heisst «Jaz» (slowenisch für «ich»). Im chicen Bistro, untergebracht in einem modernen Gebäude im Zentrum von Ljubljana, lässt die Starköchin Soulfood der Extraklasse auftischen. Ganz ohne die für die «Hiša Franko» typischen irritierenden Akzente. Ein wenig Extravaganz aber muss schon sein. Das Wiener Schnitzel mit absichtlich heller Panade etwa kommt nicht mit einem Zitronen-, sondern mit einem Grapefruit-Schnitz auf den Tisch. Als Beilage gibt es statt des in Wien üblichen Kartoffelsalats gebuttertes Kartoffelpüree. «Wir haben monatelang gepröbelt, um das Schnitzel so gut hinzubekommen. Was einfach erscheint, ist oft am schwierigsten», sagt Ana, deren Tochter Eva Klara im «Jaz» im Service mithilft.
Frisch und unkompliziert: Waldorf-Salat à la «Jaz».
Das «Jaz» ist Ana Roš' kulinarische Botschaft in Ljubljana.
Bald in Österreich? Weitere Signature Dishes des Hauses: eine Art Waldorf-Salat mit Apfel, Knollen- und Stangensellerie, Liebstöckel-Öl, halbgetrockneter Rande, Baumnüssen und Kefir-Dressing und natürlich Štrukli, hier mit Nüssen, Karamellsauce und Butterbröseln serviert. Mindestens so gut wie das Essen sind die Cocktails und Mocktails. Ende Jahr eröffnet Ana Roš in Poreč an der kroatischen Adriaküste das zweite «Jaz», mittelfristig will sie auch ins Nachbarland Österreich expandieren.