Was war Ihr erster Gedanke, als Sie heute Morgen aufgewacht sind?
Dass es eine Menge zu tun gibt, um an diesem besonderen Tag alle Gäste glücklich zu machen und den guten Ruf unseres Hauses zu untermauern. Natürlich habe ich aber auch grosse Vorfreude empfunden. «Koch des Jahres» wird man schliesslich nicht alle Tage.
Und wie würden Sie Ihren Gemütszustand direkt vor der Ehrung beschreiben?
Konzentriert, glücklich und voller Tatendrang.
Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung als «Koch des Jahres»?
Sie ist eine Belohnung für die Arbeit, die wir alle hier seit 2019 leisten. Als ich die Liste der bisherigen Trägerinnen und Träger des Titels durchging, stiess ich auf so viele grosse Namen. Auch meine früheren Chefs Gérard Rabaey, Philippe Rochat, Benoît Violier und Franck Giovannini gehören zum Club. Das macht mich natürlich sehr stolz.
Gestern Abend haben Sie für die 19-Punkte-Chefs gekocht. Wie nervös ist man als Koch bei solchen Gästen?
Ganz ehrlich: Ich war überhaupt nicht nervös. Wir müssen für berühmte Kolleginnen und Kollegen ja nicht anders kochen als für alle anderen Gäste. Ich habe ein exzellentes Team, die Abläufe sind perfekt einstudiert. Meine beiden härtesten Kritikerinnen sind ohnehin meine Frau Anaëlle Roze und meine Tochter. Lenya ist mit ihren sechs Jahren wie alle Kinder sehr direkt. Wenn ihr etwas nicht schmeckt, sagt sie es ganz ungefiltert. Meine Saucen verschmäht sie zum Beispiel komplett, nur Mayonnaise ist okay. Sie hat mir aber immerhin gesagt, dass sie lieber bei mir isst als in der Kinderkrippe.
Familiensache: Jérémy Desbraux' Bruder Florian (l.) ist Patissier in der «Maison Wenger» und hilft seinem Bruder auch beim Brotbacken.
War es schwierig für Sie, im Vorfeld der Preisverleihung mit praktisch niemandem über die Auszeichnung zu sprechen?
Ich habe zunächst einmal einige Zeit gebraucht, um zu realisieren, dass ich «Koch des Jahres 2026» bin. So etwas muss man erst einmal sacken lassen. Ausserdem lief unser Restaurant ja genau gleich weiter wie vorher. Es gab und gibt sehr viel zu tun. So hatte ich eigentlich gar keine Zeit, etwas auszuplaudern.
Auch heute sind einige ganz besondere Gäste hier in Le Noirmont.
Ja, neben Franck Giovannini, der in Crissier mein Chef war, sind auch Etienne Krebs und Georges Wenger hier. Gérard Rabaey, für den ich im «Le Pont de Brent» arbeitete, musste leider krankheitshalber absagen, er hat mir aber eine Glückwunschkarte geschrieben, die nun einen Ehrenplatz in der Küche hat. Die Begegnungen mit Monsieur Krebs, dessen Restaurant meine erste Station in der Schweiz war, ist natürlich ebenso bewegend wie das Wiedersehen mit Monsieur Wenger, dessen Erbe wir hier antreten durften.
Herbst in Le Noirmont: Überraschungsei mit Pilzen und Mädesüss.
Ein Leuchtturm der Schweizer Gastronomie: Die «Maison Wenger», Wirkungsstätte von Jérémy Desbraux.
Zu den Amuses-Bouches in der «Maison Wenger» gehört auch der legendäre Käsekuchen.
Welches ist die schönste Gratulation, die Sie bekommen haben?
Ganz klar: das Strahlen im Gesicht meiner Frau. Sie braucht keine Worte, um mir zu zeigen, wie stolz sie ist. Meine Tochter freut sich auch sehr für mich, sie spürt, dass mir der Titel sehr viel bedeutet.
Welche Opfer mussten Sie bringen, um einer der besten Köche im Land zu werden?
Mein Beruf ist meine Passion. Also hatte ich eigentlich nie das Gefühl, ich müsste dafür etwas opfern. Natürlich würde ich gern mehr Zeit mit unserer Tochter Lenya verbringen. Sie ist aber trotz aller Arbeit viel um uns herum, das Abendessen im Kreis der Familie ist ebenso heilig wie die gemeinsame Zeit an den freien Tagen.
Sind Sie ein strenger Vater?
Ich bin als Vater sicher weniger strikt als in meiner Funktion als Küchenchef. Ein Gast sagte einmal sehr treffend, man könne nicht bei der Arbeit und zu Hause der Chef sein. Ich lege aber Wert darauf, dass die Kleine genügend Schlaf bekommt und dass sie auf ihre Tischmanieren achtet. Meine Frau und ich achten auch darauf, dass Lenya alles zumindest einmal probiert. Ginge es nach meiner Tochter, würden wir nur Pasta essen – und ich das fantastische Couscous meiner Frau verpassen.
Nicht ohne meine Toque: Jérémy Desbraux nimmt die hohe weisse Kochmütze beim Arbeiten niemals ab.
Als Sie 2011 im zweiten Versuch einen Job in Crissier ergattern konnten, erfüllte sich für Sie ein Traum. Was bedeutet das «Hôtel de Ville» heute für Sie?
Es ist die Lokomotive der Schweizer Gastronomie, ein Orientierungspunkte für alle, die etwas Grosses erreichen möchten. Ohne Crissier stünde ich nicht dort, wo ich heute bin. Die technische Ausbildung ist von unschätzbarem Wert.
Wie definieren Sie kulinarisches Glück?
Als Kombination von drei Faktoren. Es braucht nicht nur gutes Essen, sondern auch eine schöne Umgebung und vor allem die richtigen Menschen um einen herum. Ein Raclette mit der Familie oder guten Freunden macht mich glücklich.
Welches sind die wichtigsten Zutaten für Sie?
Eier und Butter. Eier, weil sie unheimlich vielseitig einsetzbar sind. Butter, weil sie der perfekte Geschmacksträger ist. Ich könnte eher auf Fleisch als auf Butter verzichten. Es gibt hier in der «Maison Wenger» praktisch kein Gericht, in dem keine Butter steckt. Ausserdem liebe ich Brot – und zu Brot gehört immer Butter.
Zum Schluss eine etwas andere Frage: Welche Epoche würden Sie mit einer Zeitmaschine ansteuern?
Das Mittelalter oder die frühe Neuzeit. Mich faszinieren die riesigen Bankette, die es damals gab. Die Tafeln an den Höfen waren von einzigartigem Prunk. Die Köche liessen sogar Bären und Schwäne auftragen.
Fotos: Julie de Tribolet, Adrian Bretscher
Video: Digitale Massarbeit