Magnolien statt Bittersalat. «Der Schlossgarten erfüllt fast alle Wünsche. Nur Magnolien haben wir leider noch keine. Darum muss ich unsere Köchinnen und Köche hin und wieder dazu anstacheln, ein paar Knospen in fremden Gärten zu stibitzen», witzelt Marcel Skibba. Magnolien, die in Japan eine lange kulinarische Tradition besitzen, erinnern geschmacklich an Bittersalate, besitzen aber auch blumige und zitronig-frische Noten. Kein Wunder also, stehen sie ganz oben auf dem Wunschzettel von Andreas Caminadas Teilhaber und Küchenchef. «Je mehr wir uns mit der Welt der Pflanzen befassen, desto faszinierter sind wir von ihr», sinniert Marcel Skibba. Bild oben: Andreas Caminada und sein Garten.
Die Früchte der Kapuzinerkresse. Mit jeder Saison machen er und die übrigen Chefs in Fürstenau neue Entdeckungen. Da sind zum Beispiel die knackigen Spaltfrüchte der Kapuzinerkresse, die mit ihrer punktuellen, stechenden Schärfe an Wasabi erinnern, oder die Blätter des Feigenbaums, die als Ersatz für Kokosnuss dienen. Überaus spannend auch: die nach Minze und Anis schmeckenden Shisoblätter. Sie werden im Schloss kandiert und wie ein Taco mit Tatar gefüllt. «Knusprige Hüllen, die nicht aus Teig und entsprechend leicht sind, kann man nicht genug haben», findet Andreas.
Sonnenblumen kann man wie Artischocken zubereiten – sie schmecken auch ähnlich.
Im Sommer gibt es stets genug Basilikum, es wächst unter den Tomatenstauden.
Broccolini-Blüten sind ebenso dekorativ wie schmackhaft.
Geliebter Malabarspinat. Der 19-Punkte-Koch fing 2012 ganz klein an als Gärtner – mit ein paar Micro Greens im alten Gewächshaus. Heute betont er: «Gemüse, Kräuter, Früchte und Blüten bergen das grösste Entwicklungspotenzial für unsere Küche. Mit ihnen können wir uns abheben, den Gästen unverwechselbare Geschmackserlebnisse bieten. Wir bauen an, was wir anderswo entweder gar nicht, nur in minderer Qualität oder zu sehr hohen Preisen beziehen könnten. Gerade Blüten sind interessant – optisch und geschmacklich.» Zu Andreas’ Lieblingen im Garten zählen der Malabarspinat, in dessen grossen, fleischigen Blättern sich sogar Fleisch- und Fischstücke einpacken lassen, und die auf den ersten Blick banalen Radieschen. Sowohl ihre Blüten als auch die wohlbekannten Wurzeln und die Schoten, die sich bilden, wenn sie ins Kraut schiessen, besitzen das typische Aroma, sind mal energisch scharf und mal ein wenig milder.
Der Malabarspinat mit den fleischigen Blättern ist einer von Andreas Caminadas Lieblingen. Er bildet violette Dolden, die man ebenfalls essen kann.
Ungewöhnliche Erntezeitpunkte. Die Fürstenauer Chefs, die jede Woche ein paar Stunden im Garten verbringen, schätzen es sehr, dass sie die Pflanzen nicht nur zum gängigen Zeitpunkt ernten können, sondern auch wenn sie noch unreif oder wie besagte Radieschen ins Kraut geschossen sind. Das erweitert die Bandbreite der zur Verfügung stehenden Produkte erheblich.
Samen von Dan Barber. Der Mann, der im bunten Durcheinander der 800 verschiedenen Pflanzen den Überblick behält, heisst Jérôme Racine. Zusammen mit drei Gärtnern sorgt er dafür, dass Blüten, Früchte und Gemüse fast das ganze Jahr über in bester Qualität und in ausreichender Menge im Schlossgarten zu finden sind. «In manchen Bereichen des Gartens sind wir von den Prinzipien der Permakultur abgerückt und ziehen in einem Beet nur eine Pflanzensorte – Artischocken zum Beispiel oder spezielle Kürbisse, deren Samen vom amerikanischen Dreisternekoch Dan Barber stammen, zu dessen Restaurant riesige Gartenanlagen gehören.»
Feigenblätter, Shiso, Kapuzinerkresse, Winterportulak, Broccoliniblüten, Dill-, Buchweizen- und Borretschblüten, Tagetes (im Uhrzeigersinn).
Der Gärtner von Fürstenau: Bei Jérôme Racine laufen alle Fäden zusammen.
Klimatisch gesegnet. Fürstenau ist klimatisch gesehen ein gesegnetes Fleckchen Erde mit viel Sonne, genügend Regen und tiefgründigen, ein wenig sandigen Böden. Das kommt auch den Spargeln zugute, die in einem der Beete ganz vorne im Garten wachsen. «Wir ernten sie grün, da wir sonst Dämme bauen müssten, um sie vor dem Sonnenlicht zu schützen. Die Ernte ist klein, die Qualität aber ausgezeichnet», erklärt Jérôme. Und was sind das da drüben für dunkelgrüne Halme? «Das ist Barba di Frate oder Mönchsbart, wie man auf Deutsch sagt. Ihn haben wir im letzten Jahr das erste Mal angebaut und dafür den Boden mit zusätzlichem Salz versorgt. Die Pflanze braucht das, um ihren vollen Geschmack auszubilden. Das Salzen hat dem Boden übrigens nicht geschadet, die Folgekultur gedieh prächtig.»
In den Folientunnels ist es im Sommer so feucht und warm wie in den Tropen – das lässt die Pflanzen wuchern.
Spontane Gartenführungen für Gäste. Lustigerweise vertragen sich einige Pflanzen, die geschmacklich hervorragend harmonieren, auch in den Beeten sehr gut. So teilen sich die Tomaten die Erde mit buschigen Basilikumsträuchern und die Gurken mit dem filigranen Dill, der leicht süsslich und nach Anis duftet. Jérôme, dessen Nachname auf Deutsch passenderweise «Wurzel» bedeutet, trifft bei seiner Arbeit im Garten immer wieder auf Gäste, die wissen möchten, woher all die Blüten kommen, mit denen die Teller im Schloss oder im vegetarischen Restaurant Oz verziert sind. «Wir bieten ihnen gern kleine Führungen an. Es ist schön, die Wertschätzung für unsere Arbeit zu spüren», erklärt er.
Auch in diesem «Schauenstein»-Gericht spielt der Garten eine grosse Rolle: Kalbsmilke mit Rande und unreif geernteten Stachelbeeren.
Der Traum von der Orangerie. Neben Setzlingen von besonderen Tomatensorten – einen Teil davon hat «Oz»-Küchenchef Simeon Nikolov aus Bulgarien mitgebracht – stehen im alten Gewächshaus, das einst die Keimzelle des Gartenprojekts war, auch zwei kleine, stachelige Bäumchen. An ihnen wachsen bald Finger-Limes, längliche Zitrusfrüchte, die mit dezidiert sauren, mal goldgelben, mal rosaroten Perlen gefüllt sind. Ursprünglich in Australien zu Hause, fühlen sich die Bäumchen am Fuss der Alpen erstaunlich wohl. «Nurden Frost vertragen sie nicht. Deshalb standen sie den Winter über auf einer Fensterbank im Schloss», erklärt Jérôme – und fängt ein wenig zu träumen an: «Eine kleine beheizte Orangerie, in der wir alle möglichen Zitrusfrüchte züchten könnten, das wärs! In so einer Orangerie könnte ja man auch kleinere Gesellschaften bewirten.»
Wie in Italien: Wassermelonen gedeihen im Schlossgarten vorzüglich.
Ein Tisch im Grünen. Hinter den Folientunnels stehen ein langer Holztisch, Gartenstühle aus Metall und eine kleine Anrichte. Kein Zufall. Künftig können Gäste des «Oz» hier Platz nehmen und ein Gläschen Schaumwein trinken, während das Küchenteam vor ihren Augen die ersten Snacks zubereitet. Das kleine Fürstenauer Gourmet-Reich ist stetig in Bewegung. Mittelfristig will Andreas Caminada den Anteil an Gemüse aus eigener Produktion in den drei Restaurants noch einmal erheblich steigern. Entsprechende Pläne liegen bereits in der Schublade.
Fotos: Nino Valpiani, Gaudenz Danuser, Digitale Massarbeit, HO