Text: Anita Lehmeier Fotos: Sedrik Nemeth

«Lee wasch derään». Ungeheuer, wenn einem 600 Kilo Muskelmasse entgegenprescht. Die steile Wiese runter, voran ein Schädel so gross und schwarz wie ein Winterpneu, mit mächtigen Hörnern dran. «Keine Angst, die tun uns nichts. Aggressiv sind sie nur untereinander», hatte Monsieur Gabriel gesagt, der die 23-köpfige Herde Eringer beaufsichtigt. Drei der Prachttiere, die in der Postkartenlandschaft des Val d’Anniviers grasen, gehören Didier de Courten aus Sierre. Wir begleiten den 19-Punktechef des Hotel Terminus in Sierre einen Tag lang bei dem, was er – neben Kochen und Gourmets verwöhnen – am liebsten tut: durch seine Heimat streifen, draussen bei seinen Tieren sein. Respektvoll nähert er sich Prunelle, der prächtigen Eringer-Kuh, streicht ihr über den vernarbten Hals, redet ihr ins Ohr. «Vor acht Jahren habe ich meine erste Eringer gekauft», erzählt der Gastronom, der heute drei Kühe, zwei Färsen und ein Stierkalb besitzt. «Meine Grosseltern besassen Kühe, mit meinen eigenen ging für mich ein Bubentraum in Erfüllung.» Dass es Eringer sein müssen, war für den heimatverbundenen Walliser keine Frage, die Rasse ist im Rhonetal seit 5000 Jahren daheim. Auf Französisch tönt der Name – wie eigentlich alles – viel schöner: Les vaches d’Hérens. Lee wasch derään. Da klingt schon ihr Status mit, es sind Königinnen, des reines. In den Arenen marchen alljährlich die mutigsten, stärksten Kühe gladiatorengleich die Hierarchie aus. Die Siegerinnen bekommen den Titel Königin. Sie geniessen die gleiche Hochachtung im Volk wie die Queen auf ihrer Insel.

 

De Courtens Kühe kämpfen nicht. De Courten schickt seine Kühe nicht in die Arena, so wenig wie sie in seiner Küche landen. «Aus sentimentalen Gründen», gibt er unumwunden zu. Aber natürlich findet man Eringer-Frisch- und -Trockenfleisch sowie Käse auf der «Terminus»-Karte. Ebenso feine Stücke vom Schwarznasen-Schaf, das ebenfalls zum Ortsbild des Tals gehört. De Courtens Freund Dominique Carruzzo, ein Walliser Urgestein von Mann, betreut eine Herde Nez-noir-Schafe in Les Morands. Eine Besonderheit der Rasse: Auch die Weibchen haben Hörner. Von diesen stammt auch die Schramme auf Carruzzos Stirn. «Das war Dolly. Es war aber mein Fehler», verteidigt er seine Bobine, wie die Rasse hier liebevoll genannt wird. De Courten hat für die Schafe Brot mitgebracht und verteilt die Brocken, inmitten der Herde sitzend. Die sonst so bolzengerade Haltung des Weltklasse-Kochs weicht auf, der fokussierte Blick weitet sich, er entspannt sichtlich. «Leistung gibt es nur mit Disziplin. In meinem Metier gibt man viel. In der Natur, bei meinen Tieren, bekomme ich viel zurück.» Zum Beispiel feuchte Küsse. Die holt er sich bei den Eseln, die einen Steinwurf entfernt rumalbern und dem Chef nun mit gespitzten Ohren entgegengehen. Sein Eselfohlen Princesse beäugt misstrauisch de Courtens Cowboyhut, vor der Kamera nimmt es Reissaus, lässt seiner Mutter Pervenche und Copine Caline den Vortritt. Derweil der Chef das harte Brot in mundgerechte Happen vorkaut.

Didier de Courten

Für die Eseldamen Caline und Pervenche beisst der Spitzenkoch trockenes Brot in mundgerechte Stücke.

Das Wallis ins Herz gemeisselt! Liebe und Respekt hören bei Didier de Courten nicht bei den Tieren auf, sie gelten seiner gesamten Heimat. «Ich fühle mich meiner Umgebung sehr nahe, aus ihr ziehe ich meine Kraft. Die Steilheit der Berge, die Struktur der Weinberge, der Duft der Wälder … diese Landschaft hat mich geprägt, meine Art zu leben und zu denken», schreibt er im Vorwort seines Kochbuches. Und natürlich seine Art zu kochen: «Die Küche ist das Gedächtnis des Geschmacks, das Produkt das Gedächtnis des Bodens.» Während andere Gastronomen jetzt auf das Trend-Zügli dieses Terroir-Gedankens aufspringen, gab es für de Courten nie eine andere Philosophie. Klar, landen an einer Top-Adresse wie de Courtens «Terminus» auch Hummer aus der Bretagne, Forellen aus skandinavischen Fjorden und Trüffel aus dem Périgord. Was aber im Wallis an Gutem wächst und hergestellt wird, wird in seiner Küche zur kulinarischen Vollendung veredelt. Vom Familienbetrieb Les Vergers du Soleil von Maurice Arbellay in Granges bezieht er Spargeln, Erdbeeren, Kirschen, Aprikosen, Kräuter und Säfte. Die Erdbeeren, die wir kosten dürfen, sind wahre Duftbomben. De Courten, der sich nur mit dem Besten zufriedengibt, schnuppert und nickt anerkennend. «Hier wird eben jede Erdbeere von Hand gepflückt, und zwar dann, wenn sie reif ist», lobt der zweifelsfrei anspruchsvollste Kunde seinen Lieferanten.

Weinprobe im Tunnelkeller von Dominique Rouvinez: Die Hefe trübt den jungen Wein.

Die Weine von Rouvinez. Gegenseitige Wertschätzung verbindet auch de Courten und die Winzerfamilie Rouvinez in Sierre. Im Tunnelkeller verkosten Dominique Rouvinez und de Courten den jungen Chardonnay, im eleganten Showroom dann den Coeur de Domaine, eine preisgekürte Assemblage aus dem Herzen von Rouvinez’ Weinbergen. Zur Lancierung des edlen Tropfens kreierte de Courten vor zwei Jahren ein eigenes Menü. Seine drei Sommeliers sind regelmässig im Familienbetrieb anzutreffen, bei der Auswahl ist dann der Chef stets dabei. Ein Grossteil der Flaschen in seinem beeindruckenden Weinkeller stammt schliesslich aus seiner Heimat. «Didier ist ein grossartiger Botschafter fürs Wallis», lobt Dominique Rouvinez und hebt das Glas.

Didier de Courten

Im historischen Käsekeller pflegt und hütet de Courten seinen Alpkäse.

Schatzkammer auf der Alp. Bei der letzten Station unserer Tour wird deutlich, dass der Kulinarik-Alchemist nicht nur die besten Produkte einkauft, sondern auch selber Hand anlegt bei der Herstellung. In seinem Keller in einem historischen Chalet pflegt und lagert er Alpkäse diverser Jahrgänge (die ältesten im Teenage-Alter!) und Provenienzen. In dieser steinigen Schatzkammer reifen Delikatessen heran, die man nirgends kaufen kann. Das Kronjuwel dieses Tresors aber ist ein Weinfass. Im Dämmerlicht lässt sich gerade noch die Jahreszahl darauf ablesen, 1775. «Seit damals wird daraus Wein getrunken und nachgefüllt. Würde man dieses Fass leeren, ginge es kaputt», erklärt sein Besitzer. «Und der Wein wird nur hier getrunken, ihn zu transportieren wäre ein Sakrileg.» Sagts und schenkt uns einen Gobelet ein. «Sie trinken hier nicht Wein, Sie trinken Geschichte.» Auf Französisch tönt auch das viel schöner.

A propos histoire: Den Safran bezieht der ewig nach Perfektion Suchende aus Venthône, wo seine Vorfahrin Suzanne de Courten schon 1646 Safran anbaute.

 

>> Restaurant Didier de Courten im Hotel Terminus, Sierre. Geheimtipp: «Atelier Gourmand», eine begeisternde Brasserie im gleichen Haus. www.hotel-terminus.ch

 

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