Text: Fotos: Andrea Furger

Seit 23 Jahren im «Palace». «Ich bin keiner, der ständig wechselt», antwortet Stefan Gerber gleich zu Beginn des Gesprächs auf die Frage, warum er seit 23 Jahren im «Badrutt’s Palace» mit Hingabe den Job des Executive Pastry Chefs ausübt. Der 48-jährige ist die grösste kulinarische Konstante in der bewegten Geschichte des ikonischen Swiss Deluxe Hotels, er hat viele Küchenchefs kommen und gehen sehen, und ist sich dabei immer treu geblieben: Gerber ist der König der Süssigkeiten im einzigen Schweizer Haus mit einem Platz auf der Liste der «World’s 50 Best Hotels».
 

Täglich 40 bis 60 verschiedene Desserts. In Gerbers Dessert-Küche sind neun Patissiers verantwortlich für Apero-Nüsse, kleine Vermicelle-Türmchen, Torten und viele Sonderwünsche. 40 bis 60 Desserts oder Komponenten müssen jeden Tag in aller Frische abrufbar sein, zwei Tonnen Schokolade verarbeitet Gerbers Abteilung pro Jahr und gefordert sind dabei Ausdauer und Durchhaltewillen. «Mein längster Arbeitstag hat von morgens um acht Uhr bis am nächsten Morgen um zehn Uhr gedauert. Eine grosse indische Hochzeitsgesellschaft hatte sich spätabends nochmals Torten gewünscht», erzählt Gerber. «Geht nicht, gibt’s nicht», lautet das einfache Credo der «Palace»-Küche.

Desserts Palace 1

Täglich frisch: neun Patissiers sind im «Palace» für die Desserts verantwortlich.

Stefan Gerber Palace

«Ich bin keiner, der ständig wechselt»: Stefan Gerber.

Maccarons Palace

Klassischer Stil: mit Himbeeren gefüllte Maccarons in der Dessert-Küche.

Party-Landschaften in der Küche. In sein Handwerk sei er gewissermassen hineingeboren worden, sagt Stefan Gerber, dessen Eltern in der Pfalz eine Bäckerei geführt hatten. Heute macht dem gelernten Konditor der «Wow-Effekt», wie er es nennt, die grösste Freude. Das Publikum mit hübschen Desserts, Torten, einer Gelateria im Sommer und anderen süssen Ideen zu überraschen, sei sein grösster Antrieb: «Wenn man den Gästen bei einer Hochzeit oder bei einer Gala einen besonderen Moment bescheren kann, gibt mir das viel zurück.» Legendär sind beispielsweise Gerbers Dessert-Landschaften, die er jeweils für die «Kitchen Party» des St. Moritz Gourmet Festivals errichtet. Zuletzt installierte er dafür eigens eine Autorennbahn in der Küche, um die herum Gläschen mit Mousse, Pralinen, Törtchen, Frucht-Gelees und vieles mehr drapiert waren.

Porsche Kitchen Party 2024

Legendär: Dessert-Landschaft mit Auto-Rennbahn an der Kitchen Party des St. Moritz Gourmet Festivals 2024.

Lieber ohne Pinzette. Dabei pflegt Stefan Gerber bewusst einen sehr klassischen Stil. Die meistbestellte Süssspeise im «Palace» sei das Mille Feuille mit Himbeeren, Himbeersorbet und Crème Chantilly. Gemüse zum Dessert und geschmackliche Experimente mit Chili oder Miso im Dessert, die der Zeitgeist hervorbringt, passen nicht zum Stil des Hauses. «Natürlich würde ich ab und zu gerne moderner arbeiten, auch wenn das Anrichten mit der Pinzette nicht mein Ding ist», sagt Gerber lachend. Aber für ein Hotel dieser Grösse mit so vielen individuellen Wünschen der Gäste, sei ein traditioneller Stil der richtige Weg. 

Dienstleistung statt Selbstdarstellung. «Am Ende zählt nur, was die Gäste wollen», fasst Gerber seine Jobbeschreibung zusammen, und es ist offensichtlich, dass der sympathische Deutsche mit dem wachen Blick seinen Beruf konsequent als Dienstleistung und nicht als Bühne für die Selbstdarstellung sieht. «Wir haben einen Gast, für den produzieren wir täglich Eis ohne Laktose und Zucker im Pacojet», nennt Gerber ein Beispiel. Auch für das traditionelle Birchermüesli müssen besondere Wünsche berücksichtig werden: Manche Gäste mögen es nur mit Honig gesüsst, andere möchten es gerne vollständig zuckerfrei. Und wenn jemand einen Kaiserschmarren zum Mitnehmen auf die Skipiste wünscht, rührt Stefan Gerber gerne selbst mit dem grossen Schwingbesen die Mehl-Milch-Eigelb-Zuckermischung glatt. 

Stefan Gerber Eischnee Kaiserschmarren

Nur auf Wunsch: Stefan Gerber zieht Eischnee unter die Kaiserschmarren-Masse.

Mise en Place Kaiserschmarren

Exaktes Arbeiten erwünscht: das Mise en Place für den Kaiserschmarren.

Kaiserschmarren braten Stefan Gerber

Zubereitung ohne Ofen: Stefan Gerber brät den Kaiserschmarren nur in der Pfanne.

Tipps vom Profi. Die ikonische Mehlspeise der kaiserlichen Wiener Küche ist der Geheimtipp aus der «Palace»-Dessertküche, die nie offiziell auf der Karte steht. Zubereitet wird der «Schmarren» (Rezept s. unten) nur auf Bestellung, immer à la Minute natürlich, und es gibt ihn traditionell mit Zwetschenröster und auf Wunsch mit frischen Früchten. Für die Zubereitung hat Stefan Gerber zwei einfache Tipps: «Der Koch wartet immer auf das Eiweiss. Das Eiweiss sollte nie auf den Koch warten müssen», sagt er. Gemeint ist, dass der Schnee erst kurz vor der Zubereitung geschlagen wird, damit er nicht ausflockt. Am einfachsten, so der Patissier, sei zudem die Zubereitung in einer Pfanne und ohne Ofen. «Es gibt verschiedene Methoden und Rezepte, aber diese scheint mir am einfachsten zu sein und dauert auch nicht so lange.»

Weniger Zucker. Während er den Karamellisierungsprozess seines Schmarrens in der Pfanne überwacht, spricht Stefan Gerber über das veränderte Verhältnis der Gäste (und des Patissiers) zum Zucker. «Unsere Arbeit ist sicher weniger klebrig als früher», sagt er. «Wir haben die Zuckeranteile in unseren Rezepten reduziert. Die Gäste essen heute bewusster, und viele bestellen gar kein Dessert mehr oder wünschen sich Früchte zum Abschluss des Essens», so Gerber. Aber für einen Gast stellt der Patissier zum Kaiserschmarren immer eine separate Schüssel Puderzucker und ein Sieb bereit: «Er möchte gerne fortwährend Zucker über den Kaiserschmarren stäuben», erklärt er.

Alles im Griff. Der erfahrene «Zuckerbäcker» Gerber hat als 25-Jähriger in St. Moritz eine neue Heimat gefunden. 23 Jahre später fühlt er sich immer noch wohl in der Natur des Oberengadins. Und wenn man in einem Hotel wie diesem erstmal alles in Griff habe, sei viel erreicht, begründet er seine bewundernswerte Ausdauer im Job. «Natürlich habe ich Träume, aber im ‹Palace› geht es vor allem um konstante Qualität und Realismus», sagt Stefan Gerber zum Schluss des Gesprächs in der imposanten «Grand Hall». 
 

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