Erst einkaufen, dann eintauchen. Marco Campanellas Reise nach Japan begann eher westlich und hektisch: Sein Koffer war auf dem Flug verloren gegangen! Und so hiess es in Tokio erstmal Socken, Unterwäsche, T-Shirts kaufen, bevor eine kulinarische Rundreise begann, von welcher der «Koch des Jahres 2025» bis jetzt nicht sagen kann, welches Erlebnis ihn am meisten beeindruckt hat: Das Treffen mit den Kochlehrlingen? Das epische Abendessen bei Starchef Seiji Yamamoto? Oder der Besuch bei Messerschmied Toshiki Nanbu? «Ich bin froh, dass ich Japan nicht zum ersten Mal bereist habe», sagt Campanella. «So hatte ich keine Angst, etwas zu verpassen. Und konnte richtig eintauchen.» Organisiert hatte den fünftägigen Trip Issho Taberu, ein kleines Unternehmen in Brunnen SZ, das traditionelle japanische Messer importiert und verkauft. Als Guides fungierten Tom und Ruri Kuroiwa, das ortskundige Team des besagten Messerhändlers. Grosses Bild oben: Marco Campanella und Messerschmied Toshiki Nanbu.

Marco Campanella in Tokio, Japan, Reisebericht Besuch der Musashino Culinary School, einer der renommiertesten Kochschulen Japans. Direktor Aizumi Yoshitaka führt die Gruppe persönlich durch die Klassenzimmer und Schulräume.

Gruppenbild an der Musashino Culinary School mit Direktor Aizumi Yoshitaka (mit Schürze).

Japanische Zwiebel-Brunoise. Beeindruckt hat 19-Punkte-Chef Campanella die Intensität, die all den Zubereitungen der japanischen Küche innezuwohnen scheint: Klar sei eine Brühe für Ramen auf den ersten Blick ähnlich wie eine Consommé aus der französischen Küche, formuliert er es. Auch Tempura mit Fisch erinnere womöglich in den Grundzügen an unsere Fischknusperli – doch die japanische Küche sei stets einen Tick präziser: «Es ist, als steckt in den japanischen Speisen oft mehr Bewusstsein, Produktverständnis und eine tausende Jahre alte Tradition», so der Koch. Beobachten konnte er dies etwa an der renommierten Musashino Culinary School, an der er zusehen konnte, wie vor jedem Service erstmal die Messer eine halbe Stunde lang sorgfältig geschliffen würden. Oder danach, als die Lektion «Zwiebel-Brunoises» anstand. Anlässlich seines Besuchs hielt Marco Campanella auch ein Referat. Thematik? «Ein guter Koch macht Gäste glücklich – das geht aber nur, wenn das Team glücklich ist.» Die Schüler zeigten sich interessiert, hatten unzählige Fragen. Es sei ein Austausch auf Augenhöhe gewesen. «Die angehenden Köche sind erst neunzehn-, zwanzigjährig, aber topmotiviert, wie ich es selten gesehen habe.» 

Marco Campanella in Tokio, Japan Am Donnerstagmorgen, noch vor Sonnenaufgang, macht sich das Team auf den Weg zum Fischmarkt in Fukui. Um 3:30 Uhr beginnt hier der Arbeitstag. Dank persönlicher Einladung durch Marktleiter Kosei Yosui darf Marco die gesamte Fischauktion miterleben, ein Privileg, das heute kaum noch jemandem gewährt wird.

Fischmarkt in Fukui: Um 3:30 Uhr beginnt hier der Arbeitstag, wenige Stunden später ist alles verkauft.

Flammenfarbe zeigt Temperatur an. Am dritten Tag fuhr man bereits um 3:30 Uhr noch vor Sonnenaufgang los, um einer lokalen Fischauktion beizuwohnen. «Ein kontrolliertes Chaos», beschreibt es Marco Campanella. Ihn hat es besonders beeindruckt, wie in kürzester Zeit viele Tonnen Fisch versteigert waren: «Einige Restaurants suchten speziell nach Black Cod, andere hatten Garnelen auf dem Menü und suchten danach – am Ende war auch der letzte Rest verkauft.»  Am späteren Vormittag stand ein Besuch beim 85-jährigen Messerschmied Toshiki Nanbu in Echizen auf dem Programm. Er gehört zu den Produzenten, die regelmässig für Issho Taberu Messer herstellt. Faszinierend, so Marco Campanella, wie der rüstige Mann allein anhand der Farbe des Feuers dessen Temperatur erkennen könne. «Der hat keine aufs Grad genaue Messgeräte wie bei uns in der Küche!» Damit ist auch erklärt, weshalb die Schmiede abgedunkelt sei. «Und jeder Hammerschhlag sitzt!», so der Schweizer Starchef. Er wünsche sich, dass er in seinen Achtzigern noch am Herd stehen könne. Und fügt an, dass sein Respekt vor dem japanischen Schmiedehandwerk beim Besuch dieses Ateliers noch mehr gestiegen sei. Er könne es sich nicht vorstellen, je wieder ein Messer achtlos im Spülbecken liegen zu lassen: «Es gehört nach getaner Arbeit mit Respekt gereinigt.» 

Marco Campanella in Tokio, Japan Am Donnerstag Vormittag folgt der Besuch bei Schmiedemeister Toshiki Nanbu in Echizen. In seiner Werkstatt entsteht jedes Messer von Hand. Der 85-Jährige zeigt ruhig und konzentriert, wie aus glühendem Stahl ein feines Küchenmesser wird.

85-jährig und noch immer täglich am Arbeiten: Messerschmied Toshiki Nanbu.

Marco Campanella in Tokio, Japan Am Donnerstag Vormittag folgt der Besuch bei Schmiedemeister Toshiki Nanbu in Echizen. In seiner Werkstatt entsteht jedes Messer von Hand. Der 85-Jährige zeigt ruhig und konzentriert, wie aus glühendem Stahl ein feines Küchenmesser wird.

Marco Campanella behandelt seine Messer künftig mit noch mehr Respekt.

Marco Campanella in Tokio, Japan Am Donnerstag Vormittag folgt der Besuch bei Schmiedemeister Toshiki Nanbu in Echizen. In seiner Werkstatt entsteht jedes Messer von Hand. Der 85-Jährige zeigt ruhig und konzentriert, wie aus glühendem Stahl ein feines Küchenmesser wird.

Messgerät unnötig: Die Flammen verraten dem Meister die Temperatur.

Kleine Katsuobushi-Manufaktur, ganz gross. Weitere Ausflugsziele während der Reise? Auf der Halbinsel Izu besuchte Campanella die Manufaktur Kanesa. Seit fünf Generationen stellt die Familie Serizawa hier Katsuobushi her, bei uns auch als «Bonitoflocken» bezeichnet. Es handelt sich dabei um geräucherten und fermentierten Thunfisch, der als Hauptzutat für die japanische Dashis verwendet wird. «Trocknen, Salzen, Räuchern – alles wird von Hand gemacht», so Chef Marco. «Und trotzdem werden pro Monat mehr als zwei Tonnen Fisch verarbeitet.» 

Marco Campanella in Japan, Reisebericht Am Abend steht das grosse Finale bevor: ein exklusives Dinner im Restaurant Ryugin bei Yamamoto-san, selbst mit 19 Gault&Millau Punkten ausgezeichnet. Für diesen Anlass hat er ein eigenes 14-Gänge-Menü kreiert. Kein Gang stammt aus dem regulären Angebot, alles wurde für Marco und das Team entwickelt.

Posieren mit Fisch: Marco Campanella mit Yasuhisa Serizawa.

Marco Campanella in Japan, Reisebericht Am Freitag geht es früh los in die Izu-Halbinsel, zur Manufaktur Kanesa. Seit fünf Generationen stellt Familie Serizawa hier Katsuobushi her, geräucherten und fermentierten Thunfisch, der die Basis japanischer Brühen «Dashi» bildet.

Für Katsuobushi, die Basis für Dashi, wird der Fisch unter anderem geräuchert.

Marco Campanella in Japan, Reisebericht Am Freitag geht es früh los in die Izu-Halbinsel, zur Manufaktur Kanesa. Seit fünf Generationen stellt Familie Serizawa hier Katsuobushi her, geräucherten und fermentierten Thunfisch, der die Basis japanischer Brühen «Dashi» bildet.

Auch hier stimmen die Handgriffe, die Manufaktur Kanesa wird in fünfter Generation betrieben.

Walzunge, Schildkröte, Stachelseegurke. Danach dürfte der Hunger natürlich gross gewesen sein. Und es passte perfekt, dass für den letzten Abend in Japan ein 14-gängiges Essen im Tokioter Drei-Sterne-Restaurant RyuGin geplant war. Weil Küchenchef Seiji Yamamoto seinem Schweizer Kollegen die Wurzeln der japanischen Küche näherbringen wollte, hatte er ein paar aussergewöhnliche, inzwischen auch in Asien nicht mehr alltägliche Zutaten organisiert. Und kochte weniger modern als sonst üblich. «Auch bei uns gibt es Abalone, doch so frisch und pur hatte ich ihn nie», so Campanella. Doch das war längst nicht die verblüffendste Speise: Auf den Tisch kamen auch Walzunge mit Bambussprossen und Seegras! Frischwasser-Aal mit Aubergine. Getrockneter Rogen von der japanischen Stachelseegurke. Shabu Shabu von der Schildkröte sogar! «Das war mal etwas anderes als Sushi, wie wir es kennen!», schmunzelt Marco Campanella. 

Marco Campanella in Japan, Reisebericht Am Freitag geht es früh los in die Izu-Halbinsel, zur Manufaktur Kanesa. Seit fünf Generationen stellt Familie Serizawa hier Katsuobushi her, geräucherten und fermentierten Thunfisch, der die Basis japanischer Brühen «Dashi» bildet.

Was Seiji Yamamoto mit dem Tessiner Mehl kochen wird, das Campanella ihm geschenkt hat?

Marco Campanella in Japan, Reisebericht Am Freitag geht es früh los in die Izu-Halbinsel, zur Manufaktur Kanesa. Seit fünf Generationen stellt Familie Serizawa hier Katsuobushi her, geräucherten und fermentierten Thunfisch, der die Basis japanischer Brühen «Dashi» bildet.

Mit kunstvoller Kalligraphie signiert der Küchenchef sein Kochbuch.

Gegenseitige Geschenke! An diesem Abend verzichtete der Koch des Jahres übrigens darauf, sein Handy zu zücken. Was das Erlebnis, so beschreibt er, viel intensiver gemacht habe: «Es war zu vergleichen mit dem Gefühl, das man als Junge auf dem Spielplatz hatte. Wir versanken gänzlich im Moment, genossen das Essen, sprachen nochmals über unsere Reise – und in Windeseile waren fünf Stunden vergangen!» Der Schweizer und der japanische Küchenchef überreichten sich zuletzt gegenseitig Geschenke: Das Tessiner Mehl Farina Bona und Schweizer Alpkäse für Yamamoto; ein mit schöner Kalligraphie signiertes Kochbuch für Marco! War das vielleicht der beste Moment der Reise? Darüber wird sich Campanella noch lange nicht sicher sein. 

 

>> www.issho-taberu.com

 

Fotos: HO (Celso Cattaneo)