Text: David Schnapp | Fotos: Salvatore Vinci

Arno Sgier, Sie feiern 2023 das 30-jährige Jubiläum Ihrer «Traube» in Trimbach. Ganz direkt gefragt: Wie lange wollen Sie das hier noch machen?
Das weiss ich auch nicht so genau (lacht). Ich kann mir vorstellen, in einigen Jahren auf ein einfaches Konzept umzustellen. Oder ich mache es noch so weiter, bis ich 65 Jahre alt bin. Ich hätte schon Lust auf ein paar einfache, geile Gerichte wie meine Kalbshaxe – ohne grosses Drumherum. Die Frage, wie es weiter geht, beschäftigt mich.


Worüber denken Sie nach?
12 bis 15 Stunden in der Küche stecke ich nicht mehr so locker weg, auch wenn ich körperlich topfit bin. Aber ich will ja dem Gast gleichzeitig immer etwas Neues bieten. Jetzt haben wir gerade ein Ingwerbier in Arbeit, das unten im Keller gärt. Mein Sohn und ich haben auch eine «sgierierte» Kaffeemischung aus vier verschiedenen Arabica- und Robusta-Sorten entwickelt. An Ideen mangelt es nicht.


Ihr Sohn studiert «Food Science» an der ETH und bringt sich mittlerweile auch in den Kreativprozess Ihrer Küche ein. Ist die Zukunft des Restaurants damit gesichert?
Mein Sohn Silvan wird das Restaurant wahrscheinlich nicht übernehmen. Aber er ist sehr kreativ, und ich frage ihn gerne nach Ideen. Das jugendliche Denken braucht es in einem Menü, und ich bin offen für Neues. Nur vegan kann ich nicht kochen, dafür ist der Aufwand einfach zu gross, und ich bin schon zu alt, um damit noch anzufangen. Ich will nicht mehr wissen, womit ich Butter ersetzen kann.

Arno Sgier, Silvan Sgier

«Es braucht jugendliches Denken in einem Menü»: Arno Sgier mit Sohn Silvan.

Haben Sie in 30 Jahren jemals ans Aufgeben gedacht?
Nein, dafür bin ich zu sehr Bauernsohn. Nach der Trennung von meiner ersten Frau habe ich meine Arbeit schon in Frage gestellt. Gastronomie ist keine leichte Branche, und es war einfach nicht ihr Leben.


Und heute?
Meine jetzige Frau arbeitet zwar ab und zu mit, ist aber nicht immer im Restaurant. 


Sie sind der Sohn eines Bauern aus dem Val Lumnezia. Haben Sie hier im Mittelland nie Heimweh bekommen?
Meine Heimat war mir schon früh zu weit weg von allem. Ich habe mehrere Betriebe angeschaut, bevor ich mich für die «Traube» entschieden habe. Hier wusste ich, was ich habe. Das ist nicht der Nabel der Welt, aber trotzdem nicht weit weg von Zürich oder Basel.

Arno Sgier, Traube Trimbach, AG JahresgesprächGericht: Entenleber Variation mit Pastinake und Sanddorn, BriocheFotografiert in Trimbach (bei Olten) am 08.12.2023

Immer neue Ideen: Entenleber-Variation mit Pastinake und Sanddorn.

Arno Sgier, Traube Trimbach, AG JahresgesprächInnenaufnahmen, AtmosphereFotografiert in Trimbach (bei Olten) am 08.12.2023

Steine statt Blumen: Tisch in der «Traube».

Winznauer violette Karotte mit Chiasamen, Mascarpone und ChorizosudFotografiert in Trimbach (bei Olten) am 08.12.2023

Selbst geerntet: Volette Karotte mit Chiasamen, Mascarpone und Chorizosud.

Das Geschäft ist schwieriger geworden. Wie ist das, wenn man ausserhalb der grossen Zentren kocht?
Im Sommer haben wir schon gemerkt, dass sehr viele Leute verreist waren. Auch der Zusammenbruch der Credit Suisse war erstaunlicherweise deutlich spürbar und hat sich auf die Gästezahlen ausgewirkt. 


Was hat sich in drei Jahrzehnten Spitzengastronomie für Sie am dramatischsten verändert?
Der Umgang mit den Reservationen wird immer schwieriger. Vor 30 Jahren hat man einfach angerufen. Heute kriegt man Mails, WhatsApp, man hat ein digitales Reservationssystem. Dann müssen wir jeden Gast anrufen, um eine Rückbestätigung zu erhalten. Dieser Aufwand ist wirklich anstrengend. Die Konsumfreudigkeit und Dankbarkeit der Gäste hingegen ist immer noch da. Zugenommen haben für uns die Schwierigkeiten, gute Produkte zu bekommen


Woran denken Sie da?
Vor allem an Fisch und Fleisch. Für das Gemüse habe ich einen Bauern in der Nähe. Dort kann ich auch selbst mal aufs Feld, um die Karotten rauszureissen, wenn er keine Zeit hat. Mittlerweile bin ich mit Bianchi sehr zufrieden, was die Fischqualität angeht. Ich habe in Fabian Bühlmann einen ausgezeichneten persönlichen Betreuer, der sich um mich kümmert. Ich will morgens frische Topware, sonst macht mein ganzer Tag keinen Spass mehr.
 

Arno Sgier, Traube Trimbach, AG JahresgesprächAussenaufnahmenFotografiert in Trimbach (bei Olten) am 08.12.2023

Nahe genug an Zürich und Basel: Restaurant Traube in Trimbach bei Olten.

Um welche Innovation in der Küche sind Sie froh?
Ich war einer der ersten, der angefangen hat, sous-vide zu kochen. Meine Haxe oder den Schweinebauch gare ich sous-vide vor. Aber man darf es natürlich nicht aus dem Beutel nehmen und sofort servieren. Das ist nur eine Vorgarmethode. Die Haxe wird im Ofen knusprig gebraten, und auch der Schweinebauch muss eine knusprige Schwarte haben.


Und worauf könnten Sie gut verzichten?
Stickstoff ist ein guter Gag, aber das ist mir zu viel Show. Glace am Tisch im Stickstoff zu frieren, ist einmal lustig. Bei uns gibt es fast nichts, was jemand anders schon gemacht hat. Das finde ich langweilig. Deshalb stehen hier nicht einmal mehr Blumen auf dem Tisch, sondern stattdessen Steine, die alle aus verschiedenen Rebberg stammen.


Was ist aus Ihrer Sicht das Schwierigste am Beruf des selbstständigen Kochs: Konstanz, Kreativität oder die Kalkulation?
Es kann alles schwierig sein, je nach Typ. Kreativität fällt mir zum Beispiel eher leicht, auch wenn ich mich manchmal auch plagen muss. Der Durchhaltewille ist wichtig: Meine Gäste heute interessiert nicht, dass ich gestern einen langen Abend hatte. Und schliesslich muss man auch rechnen können. Ich mache meine Buchhaltung seit 30 Jahren selber. Kochen ist schon schön, aber nur zu kochen wäre langweilig. Deshalb kümmere ich mich um alles, was meinen Betrieb betrifft, selbst.

 Bouillabaisse Ravioli, Safran Sauce,  Bunito Dashi LuftFotografiert in Trimbach (bei Olten) am 08.12.2023

Sinn für Kreativität: Bouillabaisse-Ravioli mit Safran-Sauce und Dashi-Luft.

Arno Sgier, Traube Trimbach, AG JahresgesprächInnenaufnahmen, AtmosphereFotografiert in Trimbach (bei Olten) am 08.12.2023

Kühle, schlichte Eleganz: Atmosphäre in der «Traube»-

Ist es ein Klischee, dass Köche nicht rechnen können?
Das gibt es sicher. Man muss sich bewusst sein, dass alles, was man wegwirft, Kapital ist. Bei mir wird ausser Zwiebel- und Rüeblischalen nichts entsorgt, sondern konsequent verwendet. Ich verstehe auch nicht, warum man ein Filet rechteckig zuschneiden muss.


Gibt es ein Gericht, auf das Sie besonders stolz sind, oder sind Gerichte ohnehin eine flüchtige Erscheinung?
Meine Heu- und Grassuppe, die ich vor 20 Jahren gemacht habe, oder meine Knödel könnte ich immer noch servieren. Alles andere habe ich verdrängt. Meine eigenen Menüs langweilen mich nach drei Monaten, deshalb schaue ich nicht gross zurück. Und Rahmsaucen sind vorbei. Meine Saucen sind heute leicht, weil Säure das Wichtigste für ein Gericht ist. 


Sie gehören zu den dienstältesten Mitgliedern der Jeunes Restaurateurs (JRE): welches Thema beschäftigt Sie und Ihre Kollegen zurzeit besonders?
Ich bin ja mittlerweile nur noch Ehrenmitglied, habe aber immer noch Spass daran, mit Kollegen wie Ivo Adam über Trends zu diskutieren. Über billiges Fleisch und ähnliche Dinge sprechen wir oft. Nur eine Zwischenbemerkung: Billigfleisch müsste man viel eher verbieten als Foie Gras! Die Themen wechseln beim Kochen, weil auch die gesellschaftlichen Trends wechseln. Grundsätzlich finde ich aber, die Gastronomie hat sich zum Positiven verändert. 

Arno Sgier, Traube Trimbach, AG JahresgesprächGericht: Karamellisierter Braeburn-Apfel mit TonkabohnenglaceFotografiert in Trimbach (bei Olten) am 08.12.2023

«Immer etwas Neues bieten»: karamellisierter Braeburn-Apfel mit Tonkabohnen-Glace.

Und was läuft nicht gut in Ihrer Branche?
Was viele Mitarbeiter und mich selbst ärgert, ist dass die Gäste manchmal machen, was Sie wollen. Der Gast darf etwas von uns erwarten, wir dürfen aber auch etwas von den Gästen erwarten. Dass man um 19 Uhr reserviert und erst um 19.30 Uhr kommt ohne vorher anzurufen, oder gar nicht kommt, ist einfach nicht in Ordnung. 


Wie sieht die Zukunft der Gastronomie aus?
Vieles ist nicht so tragisch, wie immer gesagt wird. Dass es beispielsweise schwierig ist, Personal zu finden, ist gar nicht so neu. Das hat auch nichts mit Corona zu tun, wie oft gesagt wird. Viele Betriebe bilden keinen Nachwuchst aus und wundern sich dann, dass er fehlt. Was ich in diesem Zusammenhang wirklich für ein Problem halte, sind die offensichtlichen Konzentrationsschwierigkeiten der jungen Leute. Das sehe ich bei meinen Lehrlingen. Das Handy hat hier eine verheerende Wirkung. 


Wie sind Sie als Ausbildner?
Ich bin schon streng. Es ist nicht alles nur «Schoggi», wenn man bei uns arbeitet. Aber viele sind im Nachhinein dankbar für eine gewisse Strenge. Wer nur durch den Tag chillen will, ist bei mir falsch.

>> Arno Sgier (geb. 1966) führt seit 1993 die «Traube» in Trimbach SO (17 GaultMillau-Punkte, ein Michelin-Stern). Der Bauernsohn aus Surin im Val Lumnezia. Das Restaurant im Mittelland ist nicht nur für seine klassisch-kreative Küche, sondern auch für seinen aussergewöhnlichen Weinkeller mit über 1000 Positionen bekannt.