Marco Campanella, bis Oktober 2025 waren Sie «Koch des Jahres». Wie schauen Sie auf diese Zeit zurück?
Das war eine sehr intensive und schöne Zeit mit 42 Prozent mehr Umsatz. Wir hatten fast immer ein volles Restaurant mit vielen neugierigen Gästen, die deswegen nach Arosa und Ascona gekommen sind. Die Auszeichnung war für das ganze Team eine Anerkennung und eine Bestätigung, die bis heute noch ein Gänsehautgefühl verursacht. 


Hat Sie dieser Titel und die Aufwertung auf 19 Punkte verändert?
Nein, ich bin immer noch der gleiche Marco. Ich helfe immer noch, nach dem Service die Küche zu putzen und schrubbe auch auf den Knien den Boden. Ich finde übrigens, es hätte andere Köche gegeben, die diesen Titel ebenso verdient hätten wie ich.

Koch des Jahres Guide GaultMillau 2025 - 19er Bild -

«Heute noch Gänsehautgefühl»: Das Team von Marco Campanella feiert den «Koch des Jahres» im Herbst 2025 in Ascona.

Jetzt sind Sie fast zu bescheiden…
Man darf sich im Erfolg nicht verändern, das habe ich von meinen Eltern gelernt. Als sie damals ihr Restaurant aufgemacht hatten, ging es lange, bis sich der Erfolg eingestellt hat. Niemand hatte in einem kleinen Dorf am Bodensee auf ein italienisches Lokal gewartet, sie standen zwischendurch kurz vor dem Aufgeben. Zu sehen, wie viel sie geopfert haben, hat mich geprägt. Es geht darum, wertzuschätzen, was man hat. Und Arroganz kommt auch nicht gut an, kein Gast mag einen überheblichen Koch.


Die Euphorie nach einem solchen Ereignis ist gross, das Team ist hoch motiviert. Wie halten Sie das Energielevel hoch, wenn die ganze Aufregung vorbei ist?
Die Gäste haben immer hohe Erwartungen, daran ändert sich nichts. Ich habe in diesem Jahr das Menü fünf-, sechsmal neu geschrieben, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Und ich bin überzeugt, dass es motivierend ist, wenn der Chef überall mitarbeitet und nicht nur am Handy ist oder im Büro am Computer sitzt. Meine Strategie ist Führung durch Vorbild. Und kleine Aufmerksamkeiten sind wichtig: Ich lade mein Team zum Essen oder auf ein Glas Champagner ein, jeder hat von mir ein schönes Messer als Dankeschön für das Jahr bekommen.

Marco Campanella Küche

«Führen durch Vorbild»: Marco Campanella beim Saucen-Kochen.

  La Brezza Ascona

«Die Gäste haben immer hohe Erwartungen»: Restaurant La Brezza in Ascona.

Sie waren kürzlich in China, auch Japan und Südkorea stand auf Ihrer Reise-Bucketlist. Wie verändert das Ihren Kochstil?
Ich nehme auf Reisen schon viele Einflüsse, Techniken und Tricks mit. In Südkorea haben mich eingelegte Sachen sehr beeindruckt, die verschiedenen Pfefferarten in China waren interessant oder die verschiedenen Soja-Saucen in Japan. Man muss reisen, um sich weiterzuentwickeln. Zander bereiten wir jetzt beispielsweise zu, indem wir den Fisch für 4 Minuten in 100 Grad heisses Öl geben, das mit Kombu-Algen, Zitronenabrieb, Zitronen-Thymian und Szechuan-Pfeffer aromatisiert ist. Diese Technik habe ich bei einem Koch in China gesehen, sie macht den Zander extrem zart. 


Lassen Sie sich leicht beeinflussen von exotischen Aromen?
Ich kombiniere gern europäische Produkte mit asiatischen Aromen. Zur Abwechslung bin ich dann ganz traditionell: Schweinehals von Luma bereite ich mit Senf und Sauerkraut auf sehr deutsche Art zu. Es ist eine Mischung: In der Lehre habe ich zum Beispiel gelernt, Backerbsen selbst zu machen. Die serviere ich jetzt mit einer Ochsenschwanz-Consommé. Aber wir servieren sie zusätzlich mit einem Raviolo im Shabu-Shabu-Stil, wie man das in Japan oder China macht.

Marco Campanella 2025: Lostallo Lachs

Nose to Tail: Lostallo-Lachs mit Stangensellerie, Apfel, Dill und Koriander.

Marco Campanella 2025: Kaisergranat

Inspiration aus China Kaisergranat mit Zitronen-Schaum und «Bisque di Gochujang».

Was ist der Kern Ihrer Küche?
Meine Küche ist in den letzten Jahren weltoffener und reduzierter geworden. Man soll die Produkte erkennen – Rettich, Sauerkraut oder Blumenkohl beispielsweise. Der Geschmack meiner Gerichte hat sich intensiviert, ich habe etwas Schärfe hinzugefügt, mehr Umami, teilweise auch mehr Hitze oder Raucharomen.

Ihre Arbeitgeber, die Besitzer der Hotels Eden Roc in Ascona und Tschuggen in Arosa, machen Vorgaben: Es muss ein veganes Menü geben, Foie Gras ist verboten. Stören Sie solche Einschränkungen?
Ohne diese Vorgaben wäre ich heute nicht der Koch, der ich bin. Das vegane Menü ist sehr anspruchsvoll und wird auch immer schwieriger, hat mich aber vorangebracht. Deshalb bin ich für diese Einschränkungen dankbar. Auch wenn es nicht immer einfach ist, wenn die Gäste beispielsweise die beiden Menüs mischen, und das Timing beim Anrichten zur Herausforderung wird.

Eden Roc Ascona

Ein Koch, zwei Restaurants: Swiss Deluxe Hotel Eden Roc in Ascona.

Ascona 2024: Marco Campanella: Shortrib, Wagyu

«Ich koche so, dass es den Gästen schmeckt»: Campanella-Klassiker Short Rib mit Wagyu Beef.

Wie sind die Reaktionen der Gäste, welche Gerichte kommen besonders gut an, und wofür werden Sie sogar kritisiert?
Den Ravioli-Gang mögen die Gäste sehr, weil sie das in Fine-Dining-Restaurants nicht mehr so oft bekommen. Die Short Ribs, die wir jetzt zwei Jahre lang serviert haben, werden sofort verlangt, wenn sie nicht mehr auf dem Menü sind. Aber wir wollen gerade Stammgästen eine gewisse Abwechslung bieten. Ich bin grundsätzlich kein Küchenchef, der den Gästen etwas aufzwingen will. Ich koche so, dass es den Leuten schmeckt. Dass ich mehr Schärfe in die Gerichte eingebaut habe, ist vielen aufgefallen, darauf werde ich oft angesprochen. Kritik wird meistens sehr freundlich formuliert mit dem Hinweis, das sei halt Geschmackssache.


Haben Sie sich für 2026 etwas vorgenommen, wohin möchten Sie beispielsweise unbedingt essen gehen?
Ich möchte unbedingt mit Silvio Germann zusammen das Drei-Sterne-Restaurant «Es:senz» am Chiemsee besuchen. Und bei Franck Giovannini habe ich mich auch schon angekündigt. Im Februar gehen wir mit einigen Kollegen und unseren Frauen ausserdem zu Frantzén in Stockholm, da möchte ich schon seit Jahren hin. Und im März plane ich eine Foodtour durch die Algarve und Portugal, der Heimat meiner Frau Sara.

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Unterstützung von Tochter Enola: Für die Serie «Semplicemento Marco» in Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz kocht Marco Campanella zu Hause.

>> Marco Campanella (33) ist der jüngste 19-Punkte-Koch der Schweiz und seit 2018 verantwortlich für die beiden Restaurants La Brezza: im Winter im Tschuggen Hotel in Arosa, im Sommer im Eden Roc in Ascona. Ausserdem ist er Mitglied von Les Grandes Tables de Suisse, Markenbotschafter von Mercedes-Benz Schweiz und von V-ZUG. Campanella wuchs als Sohn italienischer Einwanderer am Bodensee in Deutschland auf und arbeitete nach seiner Lehre in einem Gasthof und dem Umzug inn die Schweiz unter anderem für Martin Dalsass, Rolf Fliegauf und Andreas Caminada. 

Fotos: Thomas Buchwalder, Adrian Bretscher, Digitale Massarbeit, Handout