Fotos: Remy Steiner

Mit Girardet in Gstaad. Manche Lebenswege führen über verschlungene Pfade, es geht auf und ab und nicht immer ist klar, wohin alles am Ende führen wird. Im Falle von Jürg Kappeler, heute 55 Jahre alt, war der Weg zwar durchaus kurvig, aber er führt irgendwie immer wieder am selben Ort vorbei: Denn angefangen hat alles in der Küche. Kappeler hat seine Lehre zum Koch im Hotel Eden au Lac in Zürich gemacht und mit Anfang zwanzig im Grand Chalet in Gstaad für die ganz grossen jener Zeit wie Frédy Girardet und Joël Robouchon gekocht hat. Aus jener Phase seines Lebens gibt es schöne Anekdoten wie den Auftritt des legendären Crissier-Chefs Girardet, der mit einem Soufflé wutentbrannt in die Küche stürmt und zu einem seiner früheren Köche sagt, «das hast du so nicht bei mir gelernt!». Grosses Bild oben: Jürg Kappeler in seinem Warenlager.

30.07.2025, Cham, Sense of Delight, Jürg Kappeler (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Am Anfang war der Kaviar: Jürg Kappeler und Kaviari.

Koch, Bank, IT. Die Küchengeschichten sind nicht bloss Erinnerungen, die Jürg Kappeler heute zur allgemeinen Heiterkeit erzählt. Sie sind gewissermassen das Fundament seiner – je nach Zählart – dritten Karriere. Die ersten beiden führten ihn als Koch in eine Bank, von dort in die neu zu entdeckende Welt der Computertechnologie: Mit Anfang Zwanzig liess sich der grossgewachsene Zürcher Koch umschulen, um danach zwölf Jahre bei einer weltweit tätigen IT-Firma zu arbeiten. Schicksalsschläge im persönlichen Umfeld und andere unerwartete Ereignisse, die auf jedem Lebensweg auftauchen, führten zum nächsten grossen Umbruch. «Mir hatte die Küche gefehlt», sagt Kappeler rückblickend auf den Start seiner dritten Karriere. 

30.07.2025, Cham, Sense of Delight, Jürg Kappeler (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Luxus vom Stör: Kaviari Cristal-Kaviar.

30.07.2025, Cham, Sense of Delight, Jürg Kappeler (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Luxus auf vegetarische Art: «Kaviar des Feldes».

Hohes Risiko mit Kaviar. Zusammen mit seiner heutigen Frau Ursula fing Kappeler an, in Gstaad Kaviar, Wodka und Champagner zu verkaufen und zu liefern. «Als Koch wusste ich, was wichtig ist: Man muss kurzfristig für die Kunden da sein, der Service macht es aus», sagt er über einen der Grundsätze, nach denen er seine 2012, damals noch unter anderem Namen, gegründete Firma Sense of Delight bis heute führt. Kappeler lernte die Pariser Kaviar-Affineure von Kaviari kennen, schaffte es mit Chuzpe und der notwendigen Unverfrorenheit ins Büro des Generaldirektors im elften Arrondissement und übernahm per Handschlag den exklusiven Vertrieb des «schwarzen Goldes» für die Schweiz. 28 Kilogramm verkaufte er in den ersten drei Monaten, bis zu 1,2 Tonnen wurden es danach in sehr guten Jahren. Der Kaviarmarkt ist mittlerweile stark umkämpft, viele Anbieter drängen mit Tiefpreisen und so genannten «Cashbacks» (Rückvergütungen) auf den Schweizer Markt, weil das Land als Mekka für den edlen Rogen des Störs gilt. «Natürlich haben wir gute Margen», gibt Kappeler zu. Aber man trage auch ein hohes Risiko: Liegt der Kaviar einmal in seinem Grosskühlschrank, muss er innerhalb von vier Wochen verkauft werden, bevor er an Frische und Wert verliert.

30.07.2025, Cham, Sense of Delight, Jürg Kappeler (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

«Der Service macht es aus»: Geschmackshändler Kappeler in seinem Lager.

Schatzkammer fernöstlicher Aromen. Aber der vielseitige Jürg Kappeler ist ohnehin schon ein, zwei Schritte weiter. Auf Kaviar folgten Trüffel und durch einen Zufall die Samen der Pflanze Kochia Scoparia. Ein gewisser Nenad Mlinarevic fragte Kappeler, ob er den so genannten «Kaviar des Feldes», der in Japan als Tonburi fester Bestandteil der buddhistischen vegetarischen Küche ist, für sein frisch eröffnetes Restaurant Neue Taverne beschaffen könne. Kappeler reiste wieder nach Paris, diesmal zum Besitzer von Nikishidōri, der mit japanischen Lebens- und Würzmitteln handelt. «Wir wurden schnell zum Geheimtipp für diese Produkte», sagt er. Vom «Kaviar des Feldes» kauft Kappeler alles, was er kriegen kann. Darüber hinaus ist sein Lager in einem nüchternen Industriegebäude in Cham eine Art Schatzkammer fernöstlicher Aromen: japanische Vinaigrettes, Sojasaucen verschiedenen Alters – auch geräuchert oder getrüffelt –, mit Yuzu aromatisierte Misopaste, mit Kimchi gewürzte Sesamkörner, Kombu-Algen, Sushi-Reis («schwierig zu bekommen», sagt Kappeler). Dies und vieles mehr, was mit wenig Aufwand den so beliebten runden Umami-Effekt erzeugt, wird von hier aus in die ganze Schweiz verschickt. Selbst die verbreiteten Keramikgrills samt exorbitant teurer Binchotan-Kohle oder die zunehmend beliebter werdende Kakigōri-Maschine, um geschabtes Granité herzustellen, steht hier versandbereit im Regal.

30.07.2025, Cham, Sense of Delight, Jürg Kappeler (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Gefragt: Kakigōri-Maschine für geschabtes Eis.

30.07.2025, Cham, Sense of Delight, Jürg Kappeler (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Yuzu, Soja, Miso & Co: alles für den schnellen Umami-Effekt.

Konstante Qualität als Basis. Jürg Kappeler ist, so gesehen, der grösste Dealer des guten Geschmacks in der Schweiz. Es ist eine Rolle, die ihm allerdings gar nicht so behagt. «Ich möchte Spezialist sein und nicht Grossist», sagt er. Ihm gehe es nicht bloss darum, Geschmacksverstärker und Luxuszutaten im grossen Stil zu verkaufen. Er möchte seine Kunden vielmehr schulen und informieren im Umgang mit Trüffel, Kaviar, Ponzu, Shiso, Miso und Co. Kappeler ist überzeugt: «Auch wenn heute oft ein kurzer Moment im Rampenlicht mehr zählt als eine über Jahre gefestigte geschäftliche Partnerschaft, wissen Spitzenköche, worauf es wirklich ankommt. Neben dem Talent des Kochs ist die konstante Produktqualität das entscheidende Fundament einer guten Küche.» Der gelernte Koch zitiert gern den legendären britischen Starchef Marco Pierre White, der mal sagte: «The product is the most important thing.» Sein nächstes Projekt soll deshalb eine Sense of Delight Academy sein. Und die Gourmet-Szene wird interessiert zusehen, wohin die nächste Abzweigung auf dem ereignisreichen Lebensweg von Jürg Kappeler führt.