Fotos: Roy Matter
Wurstauswahl, die staunen lässt. Bratwurst vom Grill, kühles Bier und Brot – an heissen Sommertagen brauche ich wenig, um glücklich zu sein! Was aber nicht heissen soll, dass es mir egal ist, was in die besagte Wurst kommt. Und darum bin ich jüngst auf Metzger Martin Stettler und seine Manufaktur gestossen: Beeindruckende 62 Bratwurstsorten führt er im Sortiment. Und obwohl sie alle auch online erhältlich, stehe ich bald schon im ländlichen Schüpfen, gut eine halbe Stunde von Bern entfernt, vor der Vitrine und bestaune die Auslage. Ist das Angebot bei anderen Metzgermeistern meist ziemlich überschaubar, braucht man hier drei, vier Minuten, bis man alles gesehen hat. Wurst um Wurst, sauber in Doppelpacks verschweisst.
Sweet Bacon & Aare-Brötler. Soll ich mich für den Pizzagriller mit Mozzarella und getrockneten Tomaten entscheiden? Für den Kräutergriller mit Petersilie, Majoran, Estragon und Thymian? Den Merguezgriller mit Paprika, Knoblauch und Zwiebeln? «Unser absoluter Renner ist der Alpengriller», kommt mir Martin Stettler zu Hilfe. «Weil die Wurst Raclettekäse, Röstzwiebeln und Schinken enthält, erinnert das Aroma ein wenig an Älplermagronen.» Neu im Sortiment und darum heiss begehrt sei in diesen Sommer die Variante «Sweet Bacon»; sie enthält getrocknete Pflaumen und Speck. Und was um Himmels willen ist ein Aare-Böötler? «Das ist eine Alleskönner-Wurst, die man zum Bootfahren auf der Aare mitnimmt!» Ich verstehe nicht ganz? «Kentert man bei der Uttingerschwelle zwischen Thun und Bern, schwimmt diese Bratwurst. Und notfalls kann sie sogar roh verzehrt werden.» Aha, der Metzger, der auf Schweizer Fleisch setzt, hat ganz schön viel Humor!
Qual der Wahl: Wurst neben Wurst neben Wurst in der Vitrine.
Gabriela & Martin Stettler zeigen die Bratwurstregeln.
Martin Stettler begutachtet das Brät für die nächste Wurstcharge.
Von Fleisch zu Brät - blitzschnell. Während sich der 47-jährige Stettler um die Kunden im Laden kümmert, sind zwei seiner Mitarbeiter im Keller in der Wursterei zugange: Die Luft hier ist feucht. Es riecht dezent nach Fleisch und Rauch – ein Aroma, das durchaus Appetit macht! Doch schon wird es laut: Weil Patrick Brunner grad Speck, Fett, Kalbfleisch, Salz und Gewürze in den sogenannten «Blitz» gefüllt und diesen in Betrieb gesetzt hat. Der Name des Geräts rührt wohl daher, dass es nur wenige Sekunden dauert, bis die Zutaten mit scharfen Messern in ein homogenes Brät verwandelt worden sind. Bei so viel Power entsteht Wärme, und darum kommt auch immer ein wenig Eiswasser in die Mischung, damit die Proteine nicht frühzeitig gerinnen.
Ich darf wursten! Der zweite Mann in der Wursterei ist Kurt Guggisberg. Er «stösst» die Würste, füllt also das Brät in die Naturdärme, was ziemlich einfach aussieht. «Darf ich auch mal probieren?», wage ich mich vor. Und ich darf! Sogleich bekomme ich eine Schürze und ein Haarnetz ausgehändigt, wasche meine Hände. Kurt erklärt mir die sogenannte «Spritze»: Mit der linken Hand wird die gestossene Wurst gehalten. Mit der rechten wird Darm nachgeschoben. Mit dem Knie wird die Maschine, die bei der Portionierung hilft, in Bewegung gesetzt. Langsamste Stufe, das sollte eigentlich kein Problem sein – Achtung, fertig, los!
Etwas Eis sorgt dafür, dass das Brät im Blitz nicht zu heiss wird.
Wurstmasse quillt durch die Finger. Schon nach der dritten Wurst zerplatzt der Darm, und die Wurstmasse quillt mir durch die Finger. Dasselbe auch bei meinem zweiten Versuch: Wieder ist nach zweieinhalb Stück Schluss! «Das ist ein schwieriger Darm», versucht mir Kurt Guggisberg gut zuzureden. Als er mir kurz nicht mehr über die Schulter blickt, probiere ich es ein weiteres Mal - und schaffe ganze fünf Würste in Serie, ohne dass die Haut platzt. Leider ist der Schweinedarm dann schon aufgebraucht. Ich beobachte noch einen Moment, wie nun Lammsaitling aufgespannt wird, der für die kleinkalibrigen Chipolata verwendet wird. Kurt wurstet weiter – und schafft pro Sekunde gut zwei solche Würstchen!
Ultrascharfer Psychogriller. Als ich wieder in den Laden komme, bedient Martin Stettler grad ein älteres Ehepaar. Es kauft gut zwei Dutzend verschiedene Bratwürste. Der Monatsvorrat? «Es ist für den Geburtstag meines Mannes am Freitag!», erklärt die Frau. Und der Metzger lässt sich nicht bitten und packt gleich noch zwei Flaschen des hauseigenen, gemeinsam mit der Brauerei «Mein Emmental» entwickelten Mais-Bier «3054» dazu. «Für den Grilleur!» Auch ich mache meinen Einkauf – lasse aber den «Psychogriller» in der Vitrine liegen. Schliesslich gehöre ich nicht (mehr) zum Zielpublikum dieser etwas kleineren, ultrascharfen Bratwurst, für deren Verzehr Schutzbrille und Plastikhandschuhe empfohlen werden: «Sie kommt gut an bei Männern zwischen 16- und 30-jährig», sagt Stettler mit Augenzwinkern.
Hat Würste und offenbar unternehmerische Weitsicht: Metzger Martin Stettler.
Drei Viertel der Würste werden in Schüpfen BE verkauft, ein Viertel online.
Schmeckt der Beat-Schlatter-Griller? Am gleichen Abend heize ich den Grill ein. Öffne ein «3054». Und probiere mich durchs Sortiment. Um die einzelnen Sorten nicht zu verwechseln, verwende ich die «Wursterkennungs-Anleitung» der Bratwurstmanufaktur Stettler: Gemäss dieser wird eine Wurst kreuzweise eingeschnitten; eine bekommt drei Querschnitte; eine einen Längsschnitt, usw. So verwechselt man sie nicht, wenn sie alle goldbraun grilliert sind. Wunderbar gefällt mir der Quebecgriller mit Äpfeln, Speck und Ahornsirup, den ich mir gut als Frühstückswurst zum Rührei vorstellen könnte. Für Liebhaber von Blauschimmelkäse dürfte der Gorgonzolagriller mit getrockneten Äpfeln eine gute und würzige Option sein. Und der Beat-Schlatter-Griller? Er wurde anlässlich des 60. Geburtstags des gleichnamigen Schauspielers kreiert und blieb danach (mit Erlaubnis des Namensgebers) im Sortiment. Diese Bratwurst enthält Chili, Mango und Limette, schmeckt leicht süss, leicht scharf. Kurzum: Ein wenig wie ein fleischgewordenes Hawaiihemd! Bewiesen wäre damit: Stettler hat für jeden eine Wurst – nur finden muss man sie halt selbst.
>> Weitere Infos über die rund 60 Wurstsorten: www.stettler-wurst.ch