Fotos: Fabian Häfeli

Vor zehn Jahren haben Sie die Medien durch das erste «Più» an der Europaallee geführt. Wie blicken Sie darauf zurück?
Die Entstehung des «Più» war ein Sammelsurium von Glücksfällen. Wir wollten eigentlich eine Spaghetti Factory aufmachen, aber die SBB war dagegen. Mein Bruder führte zu dieser Zeit ein Restaurant in Tel Aviv, und ich habe seine Innenarchitekten aus Israel kennengelernt. Deren Architektur war allerdings zu modern für ein Santa Lucia, was unsere nächste Wahl gewesen wäre. Deshalb brauchten wir ein neues Konzept und so entstand die Idee des «Più», welche ursprünglich aus einem bedienten Teil und einem Take Away bestand. Wir mussten leider feststellen, dass wir das nicht können.


Warum nicht?
Unsere Kommunikation war nicht gut genug. Die Gäste haben nicht verstanden, dass man im gleichen Restaurant Pizza für einen höheren Preis am Tisch und gleichzeitig zum Mitnehmen haben kann. Take Away ist nicht unsere Kernkompetenz. Das war meine wichtigste Lehre aus dieser Zeit, deshalb konzentrieren wir uns auf unsere Stärken. 

Holzofen Pizzeria Piz

Der Holzofen brennt sieben Tage die Woche: Pizzaiolo im Ristorante Più an der Europaallee in Zürich.

Sie haben für das «Più» auch den Pizza-Stil geändert, wie kam das?
Unsere damalige Patissière aus Neapel hat uns auf die Idee gebracht, neapolitanische Pizza zu machen. Wir haben uns dann das Napulé in Meilen angeschaut und sind nach Neapel gereist. Wir mussten einen neuen Teig entwickeln, anderen Mozzarella und andere Tomaten einkaufen. Damit haben wir eine ganz neue Richtung eingeschlagen als im «Santa Lucia», das wir seit 60 Jahren betreiben, und wo wir eine Art Schweizer Pizza-Version servieren.

Ist das «Più» eine Erfolgsgeschichte?
Ja, auch wenn es nicht so geplant war. Das «Più» hat unsere Zielgruppe erweitert. Es braucht allerdings viel Glück für einen solchen Erfolg.


Dieses Restaurant war Ihr erstes grosses Konzept und hat einen neuen Stil in das Bindella-Portfolio gebracht. Braucht es aus Ihrer Sicht mehr davon?
Wir haben jetzt zwei «Più»-Filialen in Zürich, eine in Bern und eine in Zug. Ich sehe weiteres Potenzial in grösseren Städten wie Basel, Lausanne, Genf oder Luzern. Dieses Konzept braucht eine gewisse Raumgrösse, und die ist nicht so leicht zu finden.

Pizza Piu

Anderer Teig, Mozzarella Fior di Latte, Mutti-Tomaten: die Pizza Più.

Piu Küchenchef Marco Malagnino

«Entscheidender Unterschied»: Federico Pinelli, Executive Chef im «Più».

Wie sieht es mit anderen jüngeren Konzepten aus?
Die Trattoria Sempre, die ich zusammen mit Sami Khouri realisiert habe, richtet sich mit dem ausgefallenen Dekorations-Stil an ein noch jüngeres und sehr viel weiblicheres Zielpublikum. Wir müssen bloss aufpassen, dass unsere Konzepte nicht zu schnelllebig und oberflächlich werden. Wir stehen für einen gewissen Tiefgang und klassische gastronomische Tugenden.

Sie sind Ökonom: Was braucht ein funktionierendes Gastrokonzept: zuerst einen guten Businessplan oder eher eine ausgefallene Idee?
Es ist immer ein Zusammenspiel von allem. Das Allerwichtigste sind Wohnlichkeit und Herzlichkeit, und das hängt stark mit dem Geschäftsführer zusammen. Ein guter Chef an der Front macht unglaublich viel aus, das lässt sich direkt am Umsatz ablesen. Es braucht ausserdem eine gute Küche. Ein guter Küchenchef kann einen entscheidenden Unterschied machen. Businesspläne stimmen übrigens fast nie. Entweder sind sie viel zu hoch oder zu tief budgetiert. 

Trattoria Sempre, Restaurant Portrait Bindella, 23. Januar 2025, Trattoria Siempre, Bern, Copyright Roy Matter

Für ein jüngeres und weiblicheres Publikum: Trattoria Sempre in Bern.

Luca Carratta und Rudi Bindella

«Wohnlichkeit und Herzlichkeit sind das Allerwichtigste»: Rudi Bindella Jr. mit «Più»-Geschäftsführer Luca Carratta.

Wenn ein Konzept nicht funktioniert, passt man es der Realität an. Wie war das beim «Più»?
Wir haben drei Jahre geschaut, ob wir das Take Away zum Laufen bringen. So lange sollte man warten, um zu sehen, ob es funktioniert. Dann haben wir entschieden, dass wir damit aufhören.


Seit Mai 2023 tragen Sie die Gesamtverantwortung für die Bindella-Unternehmungen in der vierten Generation. Was überwiegt zurzeit: Last oder Lust an der Aufgabe?
Ganz klar die Lust. Ich hätte nie gedacht, dass es so gut und so schön kommt, als ich vor 15 Jahren quasi als Praktikant in das Unternehmen eingetreten bin. Ich bin heute zuallererst leidenschaftlicher Gastronom und dann Unternehmer und Weinhändler. Mittlerweile bin ich auch grosser Fan unserer Handwerksbetriebe. Im heutigen Digitalisierungswahnsinn wird unser handwerkliches Geschäft immer wichtiger. Das Zusammensein ist schliesslich das wichtigste menschliche Bedürfnis. 

Es wird gerade viel über Umwälzungen in der Gastronomie gesprochen, das Verhalten der Gäste verändert sich, der Weinkonsum geht zurück. Wie sieht Ihre Bestandesaufnahme aus?
Die Gastronomie an sich macht mir nicht so Sorgen. Es gibt keinen besseren Essensbegleiter als Wein. Und wenn manche Gäste jetzt weniger trinken, kann sich das bald wieder ändern. Ich sehe einen Verdrängungskampf, bei dem nur die fittesten überleben werden. Wir haben das Glück einer Wertschöpfungskette, die auf einem soliden Fundament steht. Im Weinhandel habe ich zuletzt einige Umstrukturierungen vorgenommen und einen Verjüngungs- und Dynamisierungsprozess angestossen.

Bindella Piu Konrhaus Bern

«Dieses Konzept braucht grosse Räume»: «Più Kornhaus» in Bern.

Die Personalfrage gehört zu den drängendsten in Ihrer Branche. Müssen wir uns einfach daran gewöhnen, dass Leute im Service zusehends weniger die Sprache der Eingeborenen sprechen oder kaum über Fachkenntnis verfügen?

Zurzeit ist unsere Situation sehr viel besser als nach den Corona-Lockdowns, als wir wegen des Personalmangels kurz davorstanden, ganze Betriebe schliessen zu müssen. Wir haben sehr starke Leute in Kaderpositionen, die in den nächsten Jahren pensioniert werden. Viele von ihnen verfügen über wertvolles Know-how und eine grosse Verbundenheit mit unserem Betrieb. Deshalb überlegen wir, wie wir erfahrenen Mitarbeitenden attraktive und flexible Möglichkeiten bieten können, auch über die Pensionierung hinaus aktiv zu bleiben – ein klarer gegenseitiger Mehrwert: Unsere Teams profitieren von ihrer Erfahrung, und die Mitarbeitenden bleiben in einem Umfeld aktiv, das sie schätzen. Wir achten im Unternehmen auch sehr auf das Talent-Scouting und die -Förderung, und wir rekrutieren weiterhin Personal in Italien. Vielleicht müssen wir künftig auch andere Länder berücksichtigen. Schweizer sind kaum bereit, in der Gastronomie zu arbeiten.

Haben Sie heute einen schwierigeren Job als, sagen wir, Ihr Vater vor 20 Jahren?
Der Job ist anders. Ich habe sicher keinen Grund, mich zu beklagen. Mein Vater findet jedoch tatsächlich, er habe es einfacher gehabt als ich heute. Ich bin eine andere Generation, setze andere Prioritäten und ticke anders. Für mich macht es Sinn, wie es heute ist. 

Rudi Bindella Jr im Gespräch

«Ich bin eine andere Generation und ticke anders»: Rudi Bindella Jr. im Gespräch

Piu Klassiker Thunfisch Pistazien

Seit dem ersten Tag auf der Karte: «Più»-Klassiker Thunfisch mit Pistazien.

Empfinden Sie es bisweilen als Last, der Sohn Ihres Vaters zu sein?
Das ist manchmal schwierig, ja. Zum Glück habe ich einige Projekte realisiert, die ein Erfolg sind. Und durch den langjährigen Austausch können wir gut miteinander umgehen. In den 15 Jahren ist viel passiert, und ich konnte persönlich wachsen dank Leuten in unserem Management und im Verwaltungsrat, die mich begleitet haben. 


Und wenn Sie im «Più» noch ein letztes Mal essen könnten, was würden Sie bestellen?
Den Klassiker Paccheri al Pomodoro, das ist zwar der einfachste und günstigste Teller Pasta auf der Karte. Dennoch, das Gericht habe ich so gern, dass ich es fast jedes Mal bestelle, wenn ich hier bin.

>> Rudi Bindella (49) trägt seit dem 24. April 2023, dem 75. Geburtstag seines Vaters Rudi, die Gesamtverantwortung für das Familienunternehmen in vierter Generation. Gegründet als Weinhandlung 1909 im Tessin, ist Bindella heute der grösste, familiengeführte Gastronomieanbieter der Schweiz. Dazu kommen Weinhandel, Handwerksbetriebe und Immobilien. Rudi Jr. hat Ökonomie an der Universität Zürich studiert (lic. oec. publ.) und arbeitet seit 2010 in der Firma.