Fotos: Samuel Müller

Modell oder Winzer? Wären da nicht diese Hände, die von viel Arbeit draussen zeugen, man könnte denken, Christian Vessaz sei Fotomodell. Mit Schalk posiert der Winzer in den Reben von «Cru de l’Hôpital». Oder mit Flasche, Korkenzieher und Gläsern im Degustationsraum. Lächelnd steht er im Keller zwischen Stahltanks, Eichenfässern und Betoneiern. Womit man schon mitten im Thema ist: Wieso all diese unterschiedlichen Ausbaumethoden? «Ich bin ein neugieriger Weinbauer und probiere regelmässig Neues aus», sagt der 49-Jährige. Seine jüngste Errungenschaft: ein durchsichtiges Glasbehältnis namens Wineglobe, mit dem die Trauben und der Saft noch schonender und «purer» vinifiziert werden können. 

Schachtelhalm & Schafe. Auch was Nachhaltigkeit angeht, schreitet der Winzer am Murtensee mit grossen Schritten voran: Schon 2013 stellte er das Weingut, gesamthaft 13 Hektar, auf biodynamische Produktion um. Mit Stolz zeigt er all die pflanzlichen Mittelchen, die im Rebberg zum Einsatz kommen. Mit natürlichen Präparaten wie Schachtelhalm wird gegen Mehltau gespritzt. Hornmist fördert die mikrobielle Struktur des Bodens. Nicht zuletzt streifen 26 Schafe durch die Reben, fressen das Gras zwischen den Stöcken und sorgen für natürliche Düngung.  

Weinkeller, Beton-Ei

Sind bei «Cru de l'Hôpital» im Einsatz: Betoneier, ...

wineglobe

... Wineglobes für besonders pure Weine ...

Weinfässer

... und klassische Barriques für die Roten.

Geringe Nachfrage. Für Vessaz der nächste logische Schritt? Die Produktion von Naturweinen, mit welcher er (in engem Austausch mit Anne-Claire Schott) 2018 begonnen hat. Sie kommen ohne Fungizide, ohne Filtrierung und nur mit geringem Schwefelzusatz bei der Abfüllung aus. Bloss: Die Nachfrage, die tendiere gegen Null, konstatiert Christian Vessaz. Weshalb er beim Jahrgang 2025 wieder komplett auf die Produktion verzichtet. Zwar hätten ein, zwei Restaurants bei ihm Naturwein angefragt. Auch Händler Smith & Smith, sein wichtigster Abnehmer in der Deutschschweiz, setzt darauf  – aber die Nachfrage blieb gesamthaft zu gering. 

Viele «Naturweine» sind fehlerhaft. Wo liegen denn gemäss Christian Vessaz die Gründe dafür, dass solche konsequent produzierten Abfüllungen nicht gefragt werden? Wer schon lange Wein trinke, so der Weinbauer, habe ein Geschmacksprofil im Kopf – und nach diesem suche er dann halt auch immer. Die Naturweine aber zeigten auch einmal unerwartete Aromanuancen. «Darum muss ein Richtungswechsel wohl von den jungen Konsumenten ausgehen.»  Ein weiteres Problem, das er feststelle, sei der nach wie vor mediokre Ruf von Naturweinen: «Wir verkaufen keine fehlerhaften Weine und nennen sie Naturwein  – doch leider kommt das oft vor.» 

Christian Vessaz

Geht Christian Vessaz' Weg hin zu Naturweinen?

Pinot Noir de Pavy 2023

Die Pinot Noirs spiegeln gekonnt die unterschiedlichen Terroirs am Murtensee.

Bümpliz statt Shanghai. Wie begegnet Önologe Vessaz dieser Situation? Er setzt auf andere Massnahmen, um die Nachhaltigkeit seiner Produktion zu vergrössern. Beispielsweise verzichtet er auf Export: «Habe ich die Wahl, meinen Wein nach Bümpliz oder nach Shanghai zu liefern, entscheide ich mich für Bümpliz.» Er verwendet zudem möglichst wenig Plastik beim Verpackungsmaterial. Und setzt auf Flaschen, deren Glas zu 20 Prozent rezykliert wurde. Solche Vorgehensweisen, ist Christian Vessaz überzeugt, dürften zukünftig bei der Kaufentscheidung wichtiger werden. «Cru de l’Hôpital» sei nicht zuletzt deshalb über 500 Jahre alt, weil solche visionären Überlegungen immer schon zum Konzept gehört hätten. Auch der nächste Schritt, den man gehen kann, ist bei Vessaz schon vorgedacht: Im Rebberg könnte man ganz auf Kupfer verzichten – wie er es schon bei einer Abfüllung namens «Wyn Nature» aus Chasselas, Traminer und Pinot Gris probiert hat: Sein Fazit des Experiments: «Dank dieses Weins weiss ich, wie es gehen würde.»  

Christian Vessaz

Christian Vessaz: «Wir verkaufen keine fehlerhaften Weine und nennen sie Naturwein.»

Zurück zu altüberlieferten Methoden. Kommt denn der Tag, an dem wir uns tatsächlich vom konventionellen Wein verabschieden werden? Bei dieser gewichtigen Frage holt Christian Vessaz aus: Wein und Brot gehörten zur jüdisch-christlichen Tradition. Sie hätten einen kulturellen Aspekt, der nicht zu vernachlässigen sei. Leider werde Brot inzwischen fast überall industriell hergestellt. Genau dies sei die Chance für Wein, weil so die uralte Kultur erhalten bleibe: «Und da könnten Naturweine schon eine Rolle spielen – sie werden ja nach altüberlieferten Methoden vinifiziert.» Was heute im Weinbau üblich sei, ist in der Regel nicht älter als 50 Jahre. Als Beispiel nennt er die Mazeration, die heute beim Chasselas in der Schweiz eigentlich nicht mehr üblich sei. Als Winzer noch in Dorfgemeinschaften gemeinsam dieselbe Presse benutzten, war sie  – aufgrund der entstehenden Wartezeiten – überall verbreitet. 

Weiterer Schlüssel am Schlüsselbund. Nach einer kleinen Verkostung der Weine von «Cru de l’Hôpital»  – die Pinot Noirs und Chasselas überzeugen mit Gradlinigkeit und Ausdruck des Terroirs – wird nochmals das Thema Naturwein gestreift. Ist Christian Vessaz nicht frustriert, dass er keine Abnehmer dafür findet? «Nein, ich habe genug zu tun mit den anderen Weinen.» Wirklich keine Spur von Traurigkeit? Nein. Und erst allmählich beginnt man zu begreifen, dass er tief im Inneren eben doch davon überzeugt ist, dass die Zeit für Naturweine irgendwann schon kommen wird. Oder wie es in den Worten des Önologen heisst: «Ich habe inzwischen für gelungenen Wein noch einen weiteren Schlüssel am Schlüsselbund.» Wenn die Zeit dafür reif ist, dann wird er ihn zücken. 

 

Mehr Bio im Glas! 

Ein lebendiger Rebberg mit kräftigen, widerstandsfähigen Reben und einem gesunden Boden ist die Grundlage für feine Knospe-Weine. Bereits über 580 Winzerinnen und Winzer produzieren in der Schweiz Bioweine. Sie verzichten auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger. Auch viele Top-Winzer bekennen sich zu Bio und Biodynamie.

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