Text: Elsbeth Hobmeier 

Gilles Besse, Sie sind seit Januar dieses Jahres Vorsitzender der Fachgruppe Wein Bio Suisse. Was lockt Sie an dieser Aufgabe?

Nach meinem langjährigen Engagement als Präsident von Swiss Wine Promotion und Mitarbeit in verschiedenen Fachverbänden machte ich erst mal eine Pause. Diese Zeit nutzte ich, um mich in unserem Unternehmen, der Domaine Jean-René Germanier, mit dem Thema Bio-Wein zu beschäftigen und eine neue Weinlinie aufzubauen. Daraus entstand die Überzeugung, dass ich mich für den biologischen Weinbau in der Schweiz einsetzen will, denn ihm gehört die Zukunft. Ich finde es wichtig, dass Fachleute sich hier engagieren, die das Métier von Grund auf kennen, Leute, die offen denken und verschiedene Meinungen akzeptieren können. 

Welches sind Ihre Ziele?

Die Regeln und Anforderungen für den biologischen Weinbau sollen so gestaltet sein, dass sie für alle Winzerinnen und Winzer möglich, umsetzbar und auch finanziell tragbar sind. Es braucht eine breite Promotion für den Bio-Wein. Er ist nicht mehr länger eine Nische, er hat das Zeug für Spitzenresultate. Viele Schweizer Top-Weine sind bio! 

Weingut Domaine Balavaud in Vétroz VS - Jean-René Germanier (r.) und Gilles Besse. Grosses Chasselas-Tasting SoBli Mai 2021.

Bio im Keller! Gilles Besse (l., mit Jean-René Germanier) ist der Präsident der Bio Suisse-Winzer.

Sie sind Mitinhaber der Domaine Jean-René Germanier in Balavaud VS. Setzen Sie selbst voll auf Bio?

2011 entschieden wir uns für erste Schritte in diese Richtung, 2013 brachten wir unseren ersten Amigne Grand Cru Vétroz Bio auf den Markt. Inzwischen werden aus meinen 30 biologisch bearbeiteten Hektaren acht Weine produziert, alle aus Einzellagen. Sie sind teilweise auch bei Coop im Sortiment. 

Stimmt die Annahme, dass ein Grossteil der Schweizer Winzer immer mehr in die biologische Richtung arbeitet und immer weniger «böse Chemie» im Rebberg verwendet?

Die Philosophie, im Rebberg nicht zu viel einzugreifen, hat sich mit der Integrierten Produktion seit vierzig Jahren etabliert. Noch in den 70er Jahren wurde jede zweite Woche Chemie gespritzt. Dann fing man an, mit Begrünung und Insektenverwirrung zu arbeiten. Das waren die ersten Schritte in Richtung Bio. Sie sind heute weitgehend Allgemeingut im Rebberg.

Auch viele bekannte Top-Winzer bekennen sich heute zu Bio und Biodynamie. 

Es ist der Ausdruck von hohem Qualitätsbewusstsein. Die Walliser Domaine Beudon war eine Bio-Pionierin, die grosse Winzerin Marie-Thérèse Chappaz eine Vorreiterin. Sie und viele weitere bekannte Weingüter sorgten für einen Stimmungsumschwung beim breiten Publikum: Seit rund zehn Jahren hat Bio-Wein, der vorher belächelt wurde, ein gutes Renommée. Viele junge Winzerinnen und Winzern haben umgestellt. Jetzt wünsche ich mir, dass auch die Weinbauschulen mehr in diese Richtung lehren und damit up to date werden.

Welche Weinregionen der Schweiz sind Vorreiter in Sachen Bio?

Als Pioniere wirkten wie erwähnt einige Walliser wie Beudon und Chappaz. Heute steht der Kanton Neuchâtel mit über 50 Prozent Bioweinen an der Spitze, gefolgt vom Lavaux und der La Côte. Das Terroir spielt eine wichtige Rolle: bio-freundlich sind nicht zu steile Rebberge, die maschinell bearbeitet werden können, sowie grössere Parzellen. Denn wenn in kleinräumigen Parzellen der Nachbar Gift spritzt, können die eigenen Reben nicht davor bewahrt werden.

Jean-René Germanier, Weingut in Vétroz, VS

Die sonnigen Rebberge der Domaine Jean-René Germanier: Vignoble Clos de la Couta.

Wie sieht es im Ausland aus?

Da kann ich nur für Europa sprechen. Hier gibt es ein eigenes Bio-Label, ähnlich aber etwas weniger weitgehend wie die Schweizer Bio-Knospe. Vorreiter sind der Süden Italiens, die Toskana und Südfrankreich. Spanien ist weniger weit.

Im biologischen Weinbau sind die sogenannten Piwi-(pilzwiderstandsfähigen)-Sorten ein grosses Thema. Werden Solaris, Cabernet Jura & Co. irgendwann Chasselas und Pinot noir aus unseren Rebbergen verdrängen?

Die Forschung arbeitet seit langem an diesen neuen Rebsorten, welche mit weniger Spritzmittel gedeihen. Das Problem ist, dass sie den Weinkonsumierenden nicht so geläufig sind wie die vertrauten Sorten, auch wenn sie zum Teil hervorragende Weine ergeben. Es dauert erfahrungsgemäss zwei Generationen, bis neue Traubensorten auf eine breitere Akzeptanz stossen. Die Bestrebungen, Piwi-Lösungen auch für klassische Rebsorten wie Pinot noir und Chasselas zu finden, sind besonders interessant.

Bio ist, wie auch beim Gemüse und beim Fleisch, immer etwas teurer. Muss das sein?

Die Produktion von Bio-Wein ist deutlich aufwendiger und daher etwas kostspieliger. Das Thema beschäftigt auch Bio Suisse. In unserer letzten Sitzung wurde festgelegt, dass ein Winzer beim Verkauf für Bio-Trauben mindestens 40 Rappen pro Kilo mehr erhalten soll. Diese Regelung gilt neu ab der kommenden Ernte 2023.

Wie hoch ist der Stellenwert der Bioknospe innerhalb der Organisation Swiss Wine? Müssen Sie als Präsident heftig dafür kämpfen?

Ich habe bereits zu meiner Zeit bei Swiss Wine viel erreicht in diese Richtung. Wir ziehen am selben Strick und haben gemeinsame Projekte lanciert, vor allem im Bereich der Kommunikation. Swiss Wine ist sehr interessiert daran, denn die Biofläche der Schweiz wird immer grösser, die Weinszene immer grüner.

Bio, biodynamisch, Knospe, Demeter - da sieht man nicht mehr richtig durch. Erklären Sie uns kurz die Unterschiede?

Ich kann dies in der Form einer Pyramide aufzeigen. Die Grundlage bildet der Ökologische Weinbau (Bio fédéral), der auch eine nur teilweise Umstellung eines Landwirtschaftsbetriebs erlaubt. Etwas strengere Regeln gelten bei Bio Suisse (Knospe). Und am striktesten ist Demeter mit der Forderung nach ausschliesslich biodynamischer Produktion.

Zurzeit liegen Naturweine im Trend. Sind diese immer biologisch produziert?

Heute besteht in diesem Bereich keine Kontrolle. Die Gleichung Naturwein = Bio ist nicht zutreffend. Hinter einem Naturwein steht die Idee, dass nichts zugefügt wird. Ein jeder Winzer kann dies auf seine Art machen. Das könnte sich ändern. Die Waadtländer Winzerin Catherine Cruchon ist im Begriff, ein Pflichtenheft, sprich ein Reglement für Naturwein zu erstellen.

Apropos Naturwein: Viele sind oft enttäuschend bis sogar fehlerhaft. Woran liegt das?

Die Überzeugung, dass die Natur alles von selbst richtig mache, stimmt halt nicht. Das Ganze steckt noch in den Kinderschuhen, die Produktion ist schwieriger, weil die Möglichkeiten der Beeinflussung des Weins eingeschränkt sind. Der Wein muss täglich beobachtet werden. Und wenn bei der Abfüllung zu wenig Schwefel zugefügt wird, kann er in der Flasche wieder zu gären beginnen. Daher werden öfter mal Fehler gemacht. Aber immerhin gibt es auch bereits einige Naturweine auf Top-Niveau.

Vétroz, le 20 février 2016, Caveau JeanRené Germanier © sedrik nemeth

Cayas! Der berühmteste Wein im wunderschönen Keller von Gilles Besse & Jean-René Germanier. Ein Syrah der Spitzenklasse.

Wie steht es mit dem Bio-Wein? Sind sie alle von guter Qualität? Oder gibt es noch Luft nach oben?

Man hat nie ausgelernt! Aber heute bewegt sich der Bio-Wein auf einem sehr guten Level, es gibt einige wunderschöne Spitzenweine und es kommen immer mehr dazu. Der schonende Umgang mit Boden und Pflanzen wirkt sich auch auf die Kelterung aus. Dank der genau richtigen Menge an Hefen und Bakterien können sich die Aromen besser entfalten, der Wein wird aromatischer und dichter.

Die Ernte 2023 steht vor der Tür. Wie wird der Jahrgang?

Wir wollen Mitte September mit der Traubenlese beginnen. Wir freuen uns darauf, denn es steht eine schöne Ernte in Aussicht. Mit guter Menge, aber auch von guter Qualität; auch ein kurzer Hagelschauer Mitte Juli konnte den Reben nicht allzu viel anhaben.

 

Mehr Bio im Glas! 

Ein lebendiger Rebberg mit kräftigen, widerstandsfähigen Reben und einem gesunden Boden ist die Grundlage für feine Knospe-Weine. Bereits über 580 Winzerinnen und Winzer produzieren in der Schweiz Bioweine. Sie verzichten auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger. Auch viele Top-Winzer bekennen sich zu Bio und Biodynamie.

Mehr Infos: www.biosuisse.ch

 

 

Fotos: Nicolas De Neve, Sedrik Nemeth, HO