Valentin Sträuli, vor zehn Monaten haben Sie das erste Menü im «Igniv» in Andermatt serviert, gestern gab es dafür zwei Sterne. Wie ist die Gefühlslage am Tag danach?
Jetzt dämmert es mir langsam. Ich bin immer noch voller Adrenalin und sehr euphorisch. Mein Team hat mir Videos geschickt, wie sie bei einem Kollegen zu Hause ein Omakase-Menü zubereitet, die Award-Show geschaut und gefeiert haben: Es wurden Tränen vergossen und sehr laut gefeiert.
«Igniv» ist ein bewährtes Konzept mit klaren Standards, und trotzdem haben Sie als Küchenchef Freiheiten. Wie gehen Sie mit diesem Wechselspiel um?
Die einzige klare Vorgabe ist letztlich das Sharing-Konzept an sich und die Anzahl der Gerichte, die pro Gang serviert werden. Wir bewegen uns zwar in einer Caminada-Geschmackswelt, sind aber gleichzeitig als Küchenchefs sehr frei. Man soll auch spüren, dass es bei uns in Andermatt anders schmeckt als bei meinen Kollegen Joël Ellenberger in Bad Ragaz oder Daniel Zeindlhofer in Zürich.
Und woran erkennt man Sie?
Ich habe meinen Stil jetzt langsam gefunden, man erkennt mich an einem Spiel mit moderater Schärfe zum Beispiel, und ich bin nahe an der Natur in Bezug auf organische, nicht zu gekünstelte Formen auf dem Teller. Das sind vielleicht die Einflüsse aus der Zeit mit Marcel Skibba im Schloss.
«Man soll spüren, dass es anders schmeckt»: Valentin Sträuli beim Anrichten.
«Spiel mit Schärfe»: Langustine mit Chili,Tomaten, Fenchel und Dashi-Creme by Valentin Sträuli.
Auf welches Gericht aus den ersten Monaten sind Sie besonders stolz?
Wir haben so vieles ausprobiert… Ehrlich gesagt, wird mir auch schnell langweilig: Ich probiere wochenlang herum, bis etwas perfekt ist, dann servieren wir das Gericht zwei Monate, und dann kann ich es nicht mehr sehen. Aber der Rochenflügel mit Chayote-Beeren war ein echter «Winner»: Der Fisch wurde grilliert, lackiert und mit Chayote-Sauce sowie Zucchini-Blüten serviert. Mit diesem Gericht hat sich auch erstmals mein Stil manifestiert.
Sharing-Konzepte geben zu Diskussionen Anlass: Nicht jeder teilt sein Essen gern. Was gefällt Ihnen daran?
Ich finde Sharing herrlich, es bringt die Leute zusammen. Die Stimmung im Restaurant verändert sich dadurch merklich. Die Gäste haben Spass am Essen und sind fast gezwungen, miteinander zu kommunizieren. Es geht nicht nur um das, was auf dem Teller ist, sondern ums Zusammenkommen am Tisch. Für uns in der Küche ist es allerdings nicht immer einfach, dafür zu sorgen dass die Texturen und Temperaturen stimmen, und dass alles Sinn macht in der Reihenfolge, wie man es isst.
«Lange Listen»: Das im Dezember 2024 eröffnete «Igniv by Andreas Caminada» in Andermatt-Reuss.
Sie mussten in Andermatt an einem fremden Ort bei null anfangen. Wie sind Sie an diese Aufgabe herangegangen?
Wir waren sehr gut vorbereitet: Hannah und ich haben schon die «Igniv»-Eröffnung in Zürich mitgemacht und hatten dadurch diese Erfahrung. Wenn man in einer neuen Küche anfängt, braucht es sehr viele Dinge – das hört gar nicht auf! Wir hatten seitenweise Listen mit Material, Lieferanten und organisatorischen Fragen. Und wir sind immer noch daran, Abläufe zu optimieren. Das ist «Learning by Doing».
Hand aufs Herz, welches Ziel haben Sie sich persönlich beim Start gesetzt, was wollten Sie mindestens erreichen?
Ganz ehrlich: Zwei Sterne und 18 Punkte waren und sind mein Ziel, weil ich aufgrund der anderen «Igniv»-Restaurants wusste, dass es möglich ist. Mit einem solchen Senkrecht-Start habe ich aber trotzdem nicht gerechnet. Das macht mich unfassbar glücklich.
GaultMillaus «Entdeckungen des Jahres 2026»: Sascha Spring, PP Clément und Valentin Sträuli.
Andreas Caminada mit Hannah van den Niewenhuizen und Valentin Sträuli bei der Michelin Award Night in Lausanne.
Punkte und Sterne bringen den Druck mit, sie immer wieder bestätigen zu müssen. Arbeiten Sie gut oder besser unter Druck?
Ich arbeite besser unter Druck, damit kann ich gut umgehen. Ich bleibe fokussiert und lasse es mich nicht zu nahe an mich heran. Diese Art von Druck macht mir eher sogar Spass. «Entdeckung des Jahres» mit 16 Punkten und zwei Sternen – darauf bin ich stolz. Schliesslich spielen wir jetzt in der Champions League.
«Ich finde das mega!»: Hannah van den Nieuwenhuizen und Valentin Sträuli.
Sie führen das «Igniv» zusammen mit Ihrer Partnerin Hannah van den Niewenhuizen. Welche Regeln haben Sie sich für die Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben auferlegt?
Hannah van den Niewenhuizen: Sobald wir nach Hause kommen, reden wir nicht mehr gross über das Restaurant. Wir nehmen den Stress nicht mit.
Valentin Sträuli: Wir können das gut trennen, auch wenn wir uns während des Services mal anfauchen. Das passiert und zwei Minuten später ist es wieder vergessen. Aber das Schöne ist, dass wir uns gegenseitig unterstützen und gemeinsam wachsen können. Ich finde das mega!