Text: Urs Heller I Fotos: Thomas Buchwalder

Das beeindruckende Engagement der Familie Cerea. St. Moritz ist das Mekka der Starchefs: Nobu Matsuhisa, Andreas Caminada, Mauro Colagreco – sie alle eröffnen hier ihre Filialen. So engagiert wie «la famiglia Cerea» sind nicht alle unterwegs. Die Dreisterne-Könige aus Brusaporto bei Bergamo schicken mit Schwager Paolo Rota ihren besten Mann ins Engadin. Und immer wieder fahren die Brüder Enrico und Roberto Cerea selbst in die Berge, um ihren «cognato» und die blutjunge Brigade zu unterstützen. Seit zehn Jahren schon. Und eine Vertragsverlängerung mit dem Swiss Deluxe Hotel «Carlton» ist in Sicht. Eine Vergrösserung der Mini-Küche ebenfalls. GaultMillau-Rating: 18 Punkte. Grosses Bild oben: Paolo Rota (l.), Chef de partie Michela & Bobo Cerea.

 

Kartoffeln, Kaviar & ein «Lätzli» für die Pasta. «Wer Kartoffeln mit Kaviar kombiniert, kann nichts falsch machen», sagt Roberto alias «Bobo» Cerea und greift zum grossen Suppenlöffel. «Torta di Patata» ist angesagt, die rösti-mässig dünnen Scheiben werden mit «crema acida» (Sourcream) und Lachseiern behandelt, und drüber kommt die volle Ladung Beluga-Kaviar; «Royal Belgian» ist bei den Cereas die Hausmarke. Eine verblüffende Kombination: «Cucina povera» (Kartoffeln) trifft Luxusküche (Kaviar). Der Gang des Abends! Oder etwa doch nicht? An jedem zweiten Tisch rührt Bobo Cerea die berühmteste Kreation der Familie an: «Paccheri Da Vittorio», mit fantastischer Tomatensauce und einer beeindruckenden Menge Parmesan. Die Gäste lassen sich brav ein «Lätzli» gegen Tomatenflecken überziehen und zücken verzückt ihr Handy.
 

St.Moritz Spezial 2022: DaVittorio: Torta di Patate e Caviale Beluga

Luxus-Tuning für einen Klassiker aus der «Cucina povera»: Torta di Patata, mit Beluga-Kaviar.

«Carta Bianca» für die Küchenbrigade. Im «Da Vittorio» St. Moritz geht es unkompliziert zu und her. Wer will, bestellt aus der Karte nur zwei, drei Gänge, wer eintauchen will in die Dreisterne-Küche der Cereas (Headquarter: Brusaporto bei Bergamo), sagt erwartungsvoll «Carta Bianca» und lässt die Jungs machen (sieben oder zehn Gänge). Startfeuerwerk: eine unglaublich elegante, leichte und erfrischende Randen-Zabaione, serviert im Martini-Glas, gerührt, aber nicht geschüttelt. Ein Cracker mit Baccala (gesalzener Kabeljau), aufgefrischt mit einem Limonen-Gel. Eine «Tartaletta» mit Güggel-Frikassé, Parmesan und einer Ladung weissem Trüffel; es sollte nicht die letzte «Tartufi-Attacke» des Abends sein.

 

Der «Taco des Jahres»! Bobos Schwager Paolo Rota steht mit einer blutjungen, weiblichen Brigade in der unglaublich kleinen Küche, schickt in scharfem Rhythmus Gang um Gang raus ins restlos ausgebuchte Restaurant. Unseren «Taco des Jahres» etwa: Ein Sashimi von der Ricciola (Bernsteinmakrele) steckt drin, Zitrusfrüchte sorgen für Power, Shiso-, Basilikum- und Minzblättern werden in sorgfältiger Pinzettenarbeit auch noch appliziert. Fingerfood vom Feinsten! Der Scampo ruht auf verblüffender Unterlage: «Cannelini»-Crème, kleine italienische Böhnchen. Noch verblüffender der Zusatz: Sugo di carne, aus Rind und Kalb. Auch der feine Hummer wird unkonventionell kombiniert: Mit feinen Birnenscheiben und «Rutabaga» (Rüben).
 

St.Moritz Spezial 2022: DaVittorio: Tacos di Ricciola

«Taco des Jahres»: Mit Ricciola & Bernsteinmakrele.

St.Moritz Spezial 2022: DaVittorio:

«Paccheri Da Vittorio»: Tomatensugo folgt.

St.Moritz Spezial 2022: DaVittorio: Cod al Verde

Cod al Verde. Und das Grünzeug? Kutteln!

Und mitten drin ein «Caffelatte». Spass muss sein «Da Vittorio», steife Gourmettempel-Atmosphäre darf nicht sein. Immer wieder huschen die Chefs raus aus der Küche, um einen Gang am Tisch, vor dem Gast zuzubereiten. Immer wieder zaubern sie ihren Gästen ein Lächeln ins Gesicht. «Caffelatte» heisst der neue Schmunzelgang. Die Frühstücksstimmung täuscht: In der vermeintlichen Kaffee crème-Tasse stecken eine Kartoffelcrème ein Robiola-Schaum und drüber gibt’s reichlich weissen Trüffel. Im vermeintlichen «Gipfeli» dazu (Sfolgiata) steckt schwarzer Trüffel! Wir erholen uns bei einem Klassiker des Hauses. Ein mächtiger Gnoccho. Eine «Fonduta di Fontina» aus dem Aostatal – und drüber die letzte Tartufi-Ladung des Abends.

 

Überraschung: Kutteln am Cod. Papa Vittorio Cerea, leider früh verstorben, war der Pionier der Fischküche in der Lombardei, seine Söhne und Schwiegersöhne führen die Tradition weiter: «Spaghetto ai tre tonni» mit al dente-Pasta, Streifen vom Thunfisch-Bauch, Kameboshi und Zitronenabrieb. Und «Cod al verde». Beim schneeweissen Edel-Kabeljau geht’s nicht ohne Schreckmoment ab: Kutteln (!) verbergen sich in der grünen Sauce. Zum Hauptgang wird ein scharfes Sknife-Messer eingedeckt. Das allerdings ist überflüssig: Die 24 Stunden lang geschmorten Kalbsbacken (mit Markscheiben) sind so butterzart, dass man sie mit der Gabel teilen kann.
 

Und endlich rollt der Panettone-Wagen. Geschafft? Natürlich nicht. Nach dem Hauptgang geht’s nochmals los: Ein freches «Gin Tonic»-Dessert. Ein Brownie mit Ingwer-Semifreddo. Und schliesslich ein «Carello», auf den die Stammgäste im Restaurant sehnlichste gewartet haben: Der Panettone-Wagen rollt vor. Einen besseren Panettone kennen wir nicht.- Hervorragender Service.

 

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>> www.davittorio.com