Interview: David Schnapp Foto: Marcus Gyger

Tim Raue, Ihr Markenzeichen ist eine euro-asiatische Fusionsküche. Muss man sich heute eigentlich mit asiatischer Küche noch dem europäischen Geschmack anpassen?

 

Mir ging es ja nicht um eine asiatische Küche an sich. Ich habe eine Küchenlinie kreiert aus den Dingen, die ich mag. Die teilweise extremen Zutaten der chinesischen oder die aromatischen Spitzen der thailändischen Küche etwa sind nichts für mich. Die Frage ist immer: Was würde ich essen wollen und was nicht? Hühnerfüsse auszulutschen, finde ich nicht geil. Bei den Japanern wiederum habe ich mir den hohen Respekt vor den Lebensmitteln abgeschaut, die zurückhaltende hingegen Würzung ist nicht meins.

 

Gibt es eine Formel für Ihre Gerichte?

Wenn ich ein Gericht baue, fängt es immer mit dem Produkt an: zum Beispiel Hühnerei und Trüffel. Daran habe ich vor kurzem länger rumprobiert. Die erste Idee hatte nicht funktioniert. Als ich aber Ideen von zwei anderen Gerichten eingebracht habe, gibt es plötzlich: Geräucherte Zwiebelcreme, souffliertes Ei, schwarzer Trüffel, knuspriger Reisweinteig und thailändischer Wasserspinat. Zwingend sind für mich Kontraste in Texturen und Aromen. Ich frage mich immer: Wo haben wie Süsse, Säure und Schärfe? Im besten Fall gibt es daraus eine harmonische Balance.

 

Was ist das Schwierigste an dieser Art von Küche?

Am längsten habe ich dafür gebraucht um herauszufinden, wie die Proportionen der Zutaten sein müssen, damit ihre unterschiedlichen Wirkzeiten richtig zur Geltung kommen. Ich kann nichts anfangen mit Gerichten, die auf einem Löffel Platz haben. Da passiert für mich zu wenig im Mund.

 

Ist es schwieriger geworden, neue Gerichte zu kreieren, seit Sie dank Top-Auszeichnungen und Auftritten im Fernsehen zu einem der bekanntesten Köche geworden sind?

Früher habe ich einfach etwas gebastelt, ich war teilweise sehr verwegen. Heute dauert es Wochen oder gar Monate, bis ein Gericht fertig ist. Aber die Fallhöhe ist auch eine ganz andere. Mittlerweile reisen Gäste aus der halben Welt an und wollen das essen, worüber sie schon gelesen haben, oder was sie bei Netflix gesehen haben.

 

Deutsche Köche gehören wohl zu den besten der Welt, trotzdem haben sie international einen schweren Stand. Woran liegt das?

Die besten deutschen Köche sind grandiose Handwerker, aber in unserem Arbeitseifer neigen wir zu so genannten Strebertellern. Manche Kollegen wollen mit jedem Gericht, alles zeigen, was sie können. Das kann bei einem mehrgängigen Menü echt herausfordernd sein.

 

Sie gehören zu den Pionieren, was die Integration asiatischer Aromen und Produkte angeht. Aber mittlerweile finden sich Sojasauce, Yuzu, Dashi und Co. auf fast jeder Karte in Deutschland oder der Schweiz.

Das sind ja auch interessante Würzzutaten, die auf dem Markt erhältlich sind. Die peruanische Küche hingegen ist für uns nicht relevant, weil wir die Zutaten dafür gar nicht bekommen. Aber ich finde, es gibt eine interessante Entwicklung: Noch bis vor einigen Jahren haben wir alle unsere Produkte in Frankreich gekauft. Das ist heute nicht mehr so. Hier hat ein Umdenken stattgefunden, das finde ich recht spannend.

 

Was ist für Sie ein schönes Restauranterlebnis?

Als Koch gehe ich immer von der Sicht des Gastes aus. Ich persönlich möchte keine zwölf Gänge essen, das ist mir zu viel. Ich möchte auch keine Gerichte essen, die sieben Komponenten auf der Fläche eines Esslöffels vereinen. Das ist kein sinnliches, liebevolles Erlebnis. Ich habe das selber gemacht, bin dafür hart kritisiert worden, und das war gut für mich.

 

Der Wasabi-Kaisergranat ist Ihr signature dish. Auf dem Kreuzfahrtschiff «Mein Schiff 6» gibt’s den Krebs zu einem Bruchteil des Preises im Sterne-Restaurant.

Ich möchte meine Arbeit breit zugänglich machen, deshalb gehe ich überhaupt auf ein Schiff. Und dann geht es wie gesagt um die Aromen. Im «Hanami» gibt es Garnelen statt Kaisergranat, die Fischsauce hat eine andere Qualität, und wir können keine grünen und reifen Mangos verwenden.

 

Schadet es der Marke Tim Raue nicht, wenn sie vom Top-Restaurant bis zum Kreuzfahrvergnügen alles abdeckt?

Nein, es müssen nicht immer zwei Sterne sein, nur weil Tim Raue draufsteht. Ich mache Weltküche, bei der das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Sie muss einfach aromatisch viel besser sein, als man erwartet. Neben dem Hauptrestaurant Berlin ist meine Reiseflughöhe bei 14/15 Punkten im GaultMillau und einem Bib Gourmand im «Michelin». Um einen musikalischen Vergleich zu machen: Im «Restaurant Tim Raue» ist es wie ein Klavierkonzert von Vladimir Horowitz, im Bistro «Colette» machen wir Popmusik.

 

In wenigen Wochen starten Sie im «Kulm» St. Moritz. Das «Hotel des Jahres» hat Sie fürs Restaurant «the K» engagiert.

Wir werden versuchen, dem Restaurant in Berlin so nahe wie möglich zu kommen. Der Anspruch ist etwas zu machen, was es in St. Moritz noch nicht gibt. Einer meiner Sous-Chefs wird das vor Ort übernehmen, die andern Köche werden vorher zwei Wochen bei uns in Berlin trainiert. Es gibt eine einzige Karte für die ganze Saison mit vier Vorspeisen, vier Zwischengängen, vier Hauptgänge und drei Desserts. Das Essen wird in Schüsseln zum Teilen auf den Tisch kommen. Ich freue mich auf das «Kulm»: Ich mag das Haus, weil es eine Dynamik hat, der Bezug zum Sport macht es lebendig.

 

Brot und Reis gibt es aber auch bei Ihrem Schweizer Gastspiel nicht?

Nein, Brot und Reis gibt es nicht. Das war zunächst für unsere Partner nicht ganz einfach zu verstehen (lacht), aber das ist mein Konzept.

 

>> Tim Raue, geb. 1974, gehört zu den erfolgreichsten und bekanntesten Deutschen Köchen. Er ist Autor verschiedener Bücher und tritt regelmässig in Kochsendungen wie «Kitchen Impossible» oder der Netflix-Serie «Chef’s Table» auf. Sein Hauptrestaurant «Tim Raue» beim Checkpoint Charlie in Berlin ist mit 2 Michelin-Sternen, 19 Gault-Millau-Punkten und Rang 34 bei den «World’s 50 best Restaurants» gewertet. Daneben betreibt Raue die Brasserien «Colette» in Berlin und Konstanz, das «Sra Bua» im Hotel Adlon Kepinski, Berlin oder das «Hanami» auf den «Mein Schiff»-Kreuzfahrtdampfern. Von 3. Dezember 2017 bis 2. April 2018 ist Raue verantwortlich für «The K» im «Hotel des Jahres 2017», dem «Kulm» in St. Moritz.

www.swissdeluxehotels.com

www.kulm.com

«Hotel des Jahres»: Das «Kulm» St. Moritz!