Zweimal drei Sterne. Thomas Keller wird dieses Jahr 70 Jahre alt, und es ist keine Übertreibung zu sagen, dass er der Koch ist, der in den vergangenen rund 30 Jahren den Weg der Vereinigten Staaten ins Fine Dining geebnet hat. Keller hat massgeblich dazu beigetragen, dass die USA – kulinarisch gesehen – heute mehr sind als Burger, Mac ‘n’ Cheese oder Hot Dog. Als Chef der Restaurants The French Laundry in Yountville (Napa Valley) und des Per Se in New York ist Keller der erste und einzige Amerikaner, dem es gelungen ist, zwei Restaurants mit je drei Michelin-Sternen gleichzeitig zu führen. Aber sein Einfluss geht weit darüber hinaus, Keller hat Massstäbe auf dem Gebiet der Gastfreundschaft gesetzt, sein von Präzision geprägter Kochstil mit französischen Techniken und amerikanischen Einflüssen hat eine ganze Generation von Küchenchefs geprägt. So unterschiedliche Köche wie Corey Lee («Benu», San Francisco) und Grant Achatz («Alinea», Chicago), die beide Restaurants mit drei Michelin-Sternen betreiben, gingen durch Kellers Schule.

The French Laundry

Zweimal das beste Restaurant der Welt: The French Laundry in Yountville im Napa Valley.

«Präsident und Staatsmann.» Grant Achatz sagt über seinen früheren Chef, die beste Art ihn zu beschreiben, sei als «Präsident und Staatsmann». Das sagt viel aus über das Gewicht, das Thomas Keller in der amerikanischen Gastronomie der letzten Jahrzehnte hat. Dabei ist Keller alles andere als ein geborener Koch. «Ich habe nie meiner Mutter geholfen, ein Ragú zu kochen», sagt er in der Netflix-Episode «Chef’s Table Legends». Zu Hause haben Thomas Keller, seine fünf Geschwister und die alleinerziehende Mutter tatsächlich Mac ‘n’ Cheese gegessen – allerdings die Fertigmahlzeit von Kraft. Wie er einer der bekanntesten Köche der USA werden konnte, sei eine Frage, die er sich selbst schon oft gestellt habe, sagt der Senior.

Chef's Table: Legends. Thomas Keller in Chef's Table: Legends Cr. Courtesy of Netflix © 2025

Das zweite Restaurant mit drei Sternen: Per Se in New York.

Chef's Table: Legends. Thomas Keller in Chef's Table: Legends. Cr. Courtesy of Netflix © 2025

Drang zur Perfektion: Thomas Keller und die Sauce Hollandaise

Tellerwäscher-Karriere. Angefangen hat Thomas Keller, das ist schliesslich eine Story «Made in the USA», als Tellerwäscher in einem Restaurant, in dem seine Mutter gearbeitet hat. Weil er ihr keinesfalls zur Last fallen wollte, wurde er sehr schnell sehr effizient darin, das Geschirr so zu spülen, wie es erwartet wurde. Als der Koch des Restaurants weiterzog, wurde Keller sein Nachfolger, obwohl ihn der Job zunächst nicht sonderlich interessierte. Sein Bruder Joseph aber war tatsächlich Koch und zeigte Thomas einige Grundtechniken – wie man einen Hummer kocht, eine Hochrippe schmort oder eine Hollandaise zubereitet. Die klassische Buttersauce war so etwas wie die Initialzündung für den späteren Spitzenkoch Keller. «Etwas wieder und wieder zu machen, bis man es beherrscht und richtig gut darin ist, war magisch für mich.»

Oysters and Pearls Thomas Keller

Ein moderner amerikanischer Klassiker: «Oysters and Pearls» mit Austern, Tapioka und Kaviar.

Geschult in Frankreich. In den achtziger Jahren ging Thomas Keller nach Frankreich, um der bestmögliche französische Koch zu werden, wie er sich das vorstellte. Keller arbeitete unter anderem im Restaurant Guy Savoy, war Zeuge des Aufstiegs der Nouvelle Cuisine von Paul Bocuse und erlebte seine prägendsten Jahre. Als erster amerikanischer Koch wurde er später zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Der französische Einfluss ist überall in Kellers Küche zu spüren und auch bei seinen Konzepten wie der «Bouchon Bakery» in Yountville oder den Bistros mit dem Namen «Bouchon» in verschiedenen Städten der USA werden traditionelle französische Tugenden des Backhandwerks und der Bistro-Küche gepflegt.

Sinn für Perfektion. Zurück in den USA war Keller trotz seiner ausgewiesenen Fähigkeiten, dem Willen und dem Sinn für Perfektion dennoch kein schneller Aufstieg möglich. Er verlor immer wieder Jobs, Restaurants gingen Konkurs. Laura Cunnigham, Chief Creative Officer und Gründerin des Unternehmens, sagt über ihren Partner, er sei «nie ganz zufrieden.» Für seine Fehlschläge sucht Keller den Fehler bei sich selbst, er sei lange kein guter Leader gewesen und habe das ändern müssen. Es hat bis ins Jahr 1994 gedauert, bis Thomas Keller das historische Gebäude fand, das «The French Laundry» werden sollte, und diesem grossen Koch, so lässt sich vermuten, so etwas wie Zufriedenheit gebracht, und ihn zu einem herausragenden Leader gemacht hat.

Chef's Table: Legends. Thomas Keller in Chef's Table: Legends Cr. Courtesy of Netflix © 2025

«Nie ganz zufrieden»: Thomas Keller im Garten der «French Laundry».

Finde Dining ohne Schwere. In Kellers Bestseller-Kochbuch The French Laundry aus dem Jahr 1999 findet sich übrigens tatsächlich ein Gericht mit dem Namen «Maccaroni and Cheese». Es wird mit Hummer, Hummer-Bouillon, Orzo-Pasta, Mascarpone, einer Beurre Monté und Parmesan-Chips zubereitet. Solche Gerichte sind typisch für Thomas Keller, dem es in der Anfangszeit der «French Laundry» wichtig war, dem Fine Dining die steife Schwere zu nehmen, die er in anderen Restaurants immer als unangenehm empfunden hatte. «Wenn das Essen keinen Spass macht, welchen Sinn hat es dann?», fragt Keller rhetorisch. In diese Kategorie gehört auch das Sesam-Cornet mit Lachs-Tatar, roten Zwiebeln und Creme Fraîche, zu dem Keller beim Besuch eines Eisladens in Los Angeles inspiriert wurde. Es wird bis heute in seinen Restaurants in New York und Yountville zu Beginn des Menüs serviert.

Chef's Table: Legends. Thomas Keller in Chef's Table: Legends Cr. Courtesy of Netflix © 2025

Kulturgut: Thomas Keller in «Chef's Table Legends».

Enorme Popularität. 2003 und 2004 wurde «The French Laundry» zweimal zum besten Restaurant der Welt gewählt, danach war es für Jahre nur mit sehr guten Kontakten eine Reservation dort zu bekommen, wie aus eigener Erfahrung berichtet werden kann. Bei einem Besuch 2014 und bis heute wurden und werden Kellers Ikonen-Gerichte wie das Amuse Bouche «Oysters and Pearls» serviert – eine Tapioka-Sabayon mit pochierten Austern und Kaviar oder «Coffee and Doughnuts», das uns im Frühling 2025 beim Besuch im «Per Se» in New York als eines von vielen Desserts aufgetragen wurde. Es besteht aus einem Cappuccino-Semifreddo mit Donut und Zimt-Zucker. Dass solche Gerichte nach rund 30 Jahren eine enorme Popularität erreicht haben und immer noch auf dem Menü sind, zeigt nicht zuletzt ihre Bedeutung. Sie sind – ähnlich wie manche Songs – zum Kulturgut der USA geworden und Thomas Keller als ihr Erfinder ist so etwas wie der kulinarische Präsident der Vereinigten Staaten.

>> www.thomaskeller.com

Fotos: Getty Images, Netflix