Text: David Schnapp Fotos: Digitale Massarbeit, Valeriano Di Domenico, Lucia Hunziker

Tanja Grandits, wie fühlt es sich an der Spitze an?

Es fühlt sich sehr natürlich an (lacht). Im Moment ist es auch gut, weil so viel los war. Ich muss viele Anfragen für Anlässe und Interviews absagen, weil ich einfach nicht mehr über mich selbst reden mag. Dabei spiegelt man sich ja nur die ganze Zeit selber. Das habe ich jetzt genug getan, ich mag zurzeit nicht mal mehr ein Bild von mir sehen. Es ist Zeit, dass sich alles normalisiert. Aber keine Missverständnisse: Es ehrt mich natürlich, wenn Leute denken, dass ich vor 1200 Leuten eine Motivationsrede in Englisch halten kann.

 

Regiert zurzeit das Chaos im Restaurant Stucki?

Es gab einzelne Wochenenden, an denen es ziemlich chaotisch war, weil ich gleichzeitig an drei Orten an einem Tag sein musste, aber am Ende kam alles gut heraus. Neben der Auszeichnung zum Koch des Jahres kamen im November noch die Nespresso Gourmet Weeks hinzu, wir waren wochenlang mittags und abends ausgebucht…

07.10.2019; Basel: Koch des Jahres - Tanja Grandits; Aussenansicht Restaurant Stucki. © Valeriano Di Domenico

«20 Prozent mehr Gäste»: Das Restaurant Stucki von Tanja Grandits in Basel.

Was kam bei all der Hektik zu kurz?

Wir sind nicht dazu gekommen, ein neues Menü zu schreiben. Das holen wir jetzt diese Woche nach: Ich setze mich mit meinem Küchenchef Marco Böhler und meinen Sous-Chefs Fabian Wehrli und André Kneubühler zusammen. Im Jahr 2020 möchte ich den Fokus auf das Essen legen, das Schreiben eines neuen Menüs erfüllt mich, und alles soll immer noch ein wenig besser werden.

 

Welche Erfüllung gibt Ihnen das Schreiben eines Menüs?

Es ist eine Art, sich immer wieder neu zu erfinden. Es gibt nichts, was ich lieber mache, als mir zu überlegen, welche Produkte ich kombinieren kann, in welchen Konsistenzen und Farben. Diese Tätigkeit macht mich wirklich glücklich.

 

Gibt es nie einen Moment der kreativen Erschöpfung?

Nein, ich bin auf neue Inputs angewiesen, um mich selbst und andere immer wieder zu überraschen. Über mich selbst zu reden, empfinde ich mit der Zeit als anstrengend aber beim Kochen ist das anders: Kochen gibt mir mehr Energie, als dass es mich kostet.

07.10.2019; Basel: Koch des Jahres - Tanja Grandits; Koch des Jahres Tanja Grandits. © Valeriano Di Domenico

Auszeichnung zum Koch des Jahres mit 19 Punkten.

07.10.2019; Basel: Koch des Jahres - Tanja Grandits; Koch des Jahres Tanja Grandits mit Paul de Courtois (BMW Chef Schweiz). © Valeriano Di Domenico

Tanja fährt BMW: mit Paul de Courtois, Chef von BMW Schweiz.

2020 sind Sie zum zweiten Mal nach 2014 Koch des Jahres. Spüren Sie auch Neid?

Neid spüre ich nicht, aber das ist grundsätzlich kein Gefühl, das mir vertraut ist. Vielleicht dringt es deshalb auch gar nicht zu mir vor. Während der Fachmesse Igeho Mitte November in Basel war unser Restaurant an einem Abend voller Gastronomen. Es ging zu wie auf dem Oktoberfest, es war laut und fröhlich. Aber die Leute waren dabei unglaublich wohlwollend, dass Feedback war ausgezeichnet.

 

Wie wirkt sich der Titel konkret aus?

Neben den Anfragen für Interviews und Auftritte, haben wir seit Oktober etwa 20 Prozent mehr Gäste. Auf der anderen Seite haben wir ein sehr treues Stammpublikum, manche kommen einmal pro Woche, eine Gruppe aus der Westschweiz isst einmal in Monat bei uns und andere reisen ein-, zweimal jährlich aus dem Ausland an, das ist schon grossartig.

 

Du bist jetzt mit 19 Punkten im GaultMillau ausgezeichnet, da gibt es nicht mehr viel Toleranz für Fehler.

Ja, das stimmt, aber wir haben auch bei 18 Punkten versucht, keine Fehler zu machen. Ich habe ehrlich gesagt mit mehr Kritik gerechnet, die Gäste erwarten ja zu recht viel, wenn man so gut bewertet wird. Aber gleichzeitig hat sich ja nicht alles verändert. Ich bin immer noch die gleiche, ich gehe immer noch an jedem Tisch, giesse eine Suppe ein, und ich rieche immer noch nach meinen ätherischen Ölen…

 

Das Jahr geht zu Ende, wie müde sind Sie?

Ich bin ziemlich müde. Seit Anfang Oktober hatte ich kaum einen freien Tag und freue mich deshalb auf die eine Woche Ferien zwischen Weihnachten und Neujahr. Ich merke, dass ich mich besser organisieren muss. Im nächsten Jahr werde ich den Mittwochmorgen konzentriert für Büroarbeiten nutzen und mir ab dem Mittag Zeit für meine Tochter Emma nehmen. In der Küche bin ich am Mittwoch dann erst abends wieder, an den anderen Tagen stehe ich mittags und abends am Pass.

Tanja Grandits mit Tochter Emma und ihrem Pferd Paul sowie Hund Norma auf dem Hof Klosterfiechten. Tanja Grandits, Köchin des Jahres 2019 von Gault & Millau Schweiz, 19 Punkte, fotografiert in Basel im September. Foto Lucia Hunziker

Emma Grandits (14) mit Pferd Paul.

Tanja mit Ziege

Käse aus Ziegenmilch ist Tanjas neuestes Projekt.

Bleibt Ihnen noch Zeit für Yoga?

Daran hat sich nichts geändert: Ich stehe morgens um 5.30 auf auf, trinke einen Tee, mache 20 Minuten Yoga, dann gehe ich ins Bad, mache Frühstück und wecke Emma. Beim Yoga bin ich nicht so ehrgeizig, dass ich zwingend bestimmte Übungen durchexerzieren muss. Ich will den Tag nicht mit etwas beginnen, das mich quält. Ich möchte Freude daran haben, und es soll schön sein.

 

Was war in diesem Highlight-Jahr Ihr schönstes Erlebnis?

Die zwei Tage um die Auszeichnung zum Koch des Jahres war natürlich unglaublich schön. Ein Highlight war für mich aber auch, dass mir Martin «Flo» Bienert von der Käserei in Andeer gezeigt hat, wie man Käse macht. Seither machen wir im Restaurant aus Ziegenmilch von einem Hof hier in Basel Quark, Frisch- und Blauschimmelkäse.

Spinatravioli mit Ziegenquark von Tanja Grandits

Neues Element im Menü: Ravioli mit Spinat, Pistazien und hausgemachtem Ziegenquark.

Und privat?

Zu beobachten wie Emma mit ihrem Hengst Paul die Leidenschaft für das Reiten ausleben kann macht mich als Mutter unglaublich froh. Man braucht im Leben etwas, wofür man brennt. Dass Emma dieses Glück hat, und dass ich sie dabei begleiten kann ist unendlich wertvoll, und wir hatten dadurch auch zusammen ein grossartiges Jahr.

 

Wie oft mussten Sie eigentlich in diesem Jahr Fragen beantworten, bei denen es um Frauen in der Küche ging?

So oft, dass ich nicht mehr weiss, was ich dazu noch sagen soll. Es scheint ein Wahnsinnsthema zu sein. Natürlich ist es immer erstrebenswert, ein Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen anzustreben. Ich bin auch gern ein Vorbild für andere Frauen. Gleichzeitig ist es halt vielleicht so, dass viele Frauen sich einfach nicht ins Rampenlicht stellen wollen, dass sie keine Lust haben, sich mit anderen zu messen. Und ich werde auf jeden Fall weiterhin sagen, dass man sich nicht an Formulierungen aufhalten soll. Ob es Koch oder Köchin des Jahres heisst, ist nur wirklich nicht entscheidend.

vlnr. Grégory Rohmer, Tanja Grandits, Marco Böhler, 60 Jahre Marmite im "Stucki" von Tanja Grandits, Basel, 11.04.2019, Foto Lucia Hunziker

Team des Jahres: Grandits mit Restaurantleiter Grégory Rohmer (l.) und Küchenchef Marco Böhler (r.).

Ein Blick nach vorne: Was haben Sie sich für 2020 vorgenommen?

Vor allem möchte ich viel im Restaurant sein. Meine Küche soll sich dabei ganz natürlich weiterentwickeln. Wir haben jetzt keine grossen Maschinen angeschafft, um ganz anders und ausgefallener kochen zu können. Was wir mehr machen wollen, ist Marco Böhlers Fähigkeiten noch besser in Szene zu setzen: Im Ganzen zubereitete Rehrücken, Poularden oder ein Loup de Mer in der Salzkruste zubereitet und am Tisch von unserem Gastgeber Grégory Rohmer tranchiert.

 

>> Tanja Grandits, 49, ist 2020 zum zweiten Mal nach 2014 Koch des Jahres, ihr Restaurant wird neu mit 19 Punkten bewertet. Damit ist Grandits die erste Köchin der Schweiz mit dieser Höchstnote. 2008 übernahm die gebürtige Schwäbin das legendäre Basler «Stucki» und führte es mit ihrer konsequenten Art und mit einer unverwechselbaren Küche auf der Basis von Kräuter- und Gewürzaromen an die Spitze der Schweizer Top-Gastronomie.