Text: David Schnapp

Weltweite Schlagzeilen. Mit seiner Ankündigung, in Zukunft nur noch pflanzliche Produkte in seinem Restaurant «Eleven Madison Park» zu verwenden, hat der Schweizer Starchef Daniel Humm vergangene Woche weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Das Wall Street Journal Magazine brachte die Story exklusiv, sie kam auf die Titelseite der New York Times, Zeitungen in Indien oder Italien, der Spiegel, CNN oder die führende türkische Tageszeitung «Milliyet» berichteten über das neue Konzept. «Ich habe in wenigen Tagen über 2500 Mails erhalten. Es ist unglaublich, was diese Ankündigung ausgelöst hat», sagt Daniel Humm am Telefon aus New York. Interessanterweise habe er aber kaum Feedback von Köchen erhalten, als hätte die Nachricht die Szene unter Schock gesetzt.

 

Was ist Luxus? Denn kein Restaurant weltweit, das mit 3 Michelin-Sternen ausgezeichnet ist, verzichtet bisher auf Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte, nur eine Handvoll top-bewerteter Adressen bieten vegetarische Küche, darunter etwa das Zwei-Sterne-Lokal King’s Joy in Peking. Die französische Autodidaktin Claire Vallée ist die erste Chefin überhaupt, die mit veganer Küche einen Stern erhalten hat («Ona» in Arès). Aber, sagt Daniel Humm, «eigentlich ist allen klar, dass wir so nicht weitermachen können. Die Art, wie wir heute Spitzenküche betreiben, ist nicht nachhaltig.» Kaisergranat aus Südafrika oder Kaviar aus China einzufliegen, mache keinen Sinn, findet er. Es brauche eine neue Definition dafür, was Luxus in der kulinarischen Welt bedeute.

daniel Humm's Restaurant '11 Madison'

Enorme kreative Ressourcen: Die Küche von Humms «Eleven Madison Park».

EMP@home Menu

Nur noch Gerichte auf Pflanzenbasis: Take-away-Menü aus dem «EMP».

Der eigene Weg. Dass es gerade der 45-jährige Schweizer ist, der diesen radikalen Schritt wagt, und die enormen kreativen Ressourcen seines Restaurants in eine vegane Küche investiert, passt gut zu Humm, der immer schon unbeirrt seinen eigenen Weg gegangen ist, und sich nie davor gefürchtet hat, dafür auch grosse Opfer zu bringen. Als Primarschüler fiel er negativ auf, weil er der Meinung war, das Blatt, was ihm im Zeichenunterricht zur Verfügung gestellt wurde, sei nicht gross genug für das, was er sich vorgenommen hatte, zu Papier zu bringen. Er malte Wolkenkratzer über den Papierrand hinaus auf sein Pult, was eine mittlere Krise und Gespräche zwischen Eltern und Schule auslöste.

 

Der nächste Bocuse? Vegetarische Küche liegt zwar im Trend, Spitzenköche wie Heiko Nieder in Zürich bieten längst schon Gemüse-Menüs an, aber vollständig vegane Karten gibt es auf Top-Nivau nur wenige. Daniel Humm reizt gerade die kreative Herausforderung und wohl auch die Möglichkeit, die moderne Haute Cuisine auf eine Art zu prägen, wie das bisher nur Köchen wie Paul Bocuse, Ferran Adria oder René Redzepi gelungen ist.

Zizi Hattab

«Es gibt mehr Pflanzen als Tiere zum Essen»: Zizi Hattab.

Sebastian Rösch

«Ich bin gespannt, wie er das umsetzen wird»: Sebastian Rösch.

Gemüse vom Schloss. Neben Daniel Humm, der 2017 mit dem «Eleven Madison Park» zum besten Restaurant der Welt gewählt wurde, ist Andreas Caminada der einzige Schweizer Vertreter auf der vieldiskutierten Liste der «World’s 50 best Restaurants». Und er ist einer der innovativsten Köche im Land. Eben hat er angekündigt, neben Schloss Schauenstein (19 Punkte, 3 Sterne) das vegetarische Restaurant Oz zu eröffnen. Es soll eine Schaubühne für den eigenen Garten werden, der als Teil des gastronomischen Angebots in Fürstenau in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist.

 

Leaderposition. Er sehe aber weder einen Grund, noch verspüre er den Druck ein veganes Restaurant zu betreiben, sagt Caminada auf Anfrage. «Wir haben hier eine andere Geschichte und Fürstenau ist auch nicht New York, wo es ganz andere Möglichkeiten gibt.» Trotzdem kann der 19-Punkte-Koch den Schritt seines Kollegen nachvollziehen: «Daniel hat so viel erreicht, dass er nach dieser langen Pause nicht einfach mit dem alten Konzept weitermachen kann. Schliesslich geht es auch darum, an der Spitze zu bleiben und seine Leaderposition zu behaupten», sagt Caminda. 

Andreas Caminada in seiner Heimat 2020

Andreas Caminada in einem seiner Gewächshäuser.

Heiko Nieder

«Zwischen Beeten und Bäumen draussen Essen»: Heiko Nieder.

Heiko Nieders Garten. Grosse Pläne mit frischem Gemüse hat auch 19-Punkte-Koch Heiko Nieder. Der Chef vom «The Restaurant» und kulinarische Leiter im Swiss Deluxe Hotel The Dolder Grand in Zürich, denkt über ein Gartenrestaurant nach, «wo man zwischen Beeten und Obstbäumen draussen im Grünen sitzt und ein Menü isst, das auf hohem Niveau vegetarische Küche bietet, mit veganer Variante selbstverständlich», erzählt der Koch des Jahres 2019. Nieder kocht seit Jahren schon ein vegetarisches Menü auf höchstem Niveau und beobachtet eine steigende Nachfrage bei fleischloser Küche. Dennoch hält er Daniel Humms Pläne für ein Wagnis. «Ich finde es grossartig, dass er das anpackt. In New York gibt es sicher viele Leute, die vegan und vegetarisch essen, aber es gibt eben auch viele andere.»

Tanja Grandits

«Vielleicht erleben wir gerade den Anfang einer Revolution»: Tanja Grandits.

«Es geht in diese Richtung» Tanja Grandits, die beste Köchin der Schweiz, hat die News aus New York aufmerksam verfolgt: «Ich finde das wahnsinnig interessant und grossartig von Daniel Humm», sagt sie. Die Autorin des aktuellen Kochbuch-Bestsellers «Tanja vegetarisch» isst selber kaum noch Fleisch und ist überzeugt, «dass die Entwicklung rasant in diese Richtung geht». Man dürfe sich als Spitzenkoch auch nicht ignorant dem Thema der verantwortungsvollen Produktion von Lebensmitteln verschliessen und darauf hoffen, dass sich andere darum kümmern. «Vielleicht erleben wir gerade den Anfang einer Revolution. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich in zwanzig Jahren eine Mehrheit der Menschen vegan ernährt.» Trotzdem sieht sie eine rein vegetarische oder gar vegane Küche für ihr eigenes Restaurant Stucki in Basel nicht. «Aus Sicht von Daniel Humm ist die Konsequenz, mit der er das angeht, folgerichtig und natürlich marketing- und medienmässig hochwirksam. Ich sehe meine Aufgabe aber darin, das Vertrauen meiner Gäste zu gewinnen. Sie sollen sich darauf verlassen können, dass ich nur Produkte auswähle, die höchsten ethischen und ökologischen Standards genügen.»