Text: David Schnapp

Keine Lust mehr? Mit dem «Noma» schliesst Ende 2024 eines der einflussreichsten Restaurants der letzten rund 20 Jahre. Mitbesitzer und Chef René Redzepi nannte als Begründung für das Ende der Kopenhagener Institution die «nicht nachhaltigen» Bedingungen, unter denen Fine Dining entstehe: Lange Arbeitstage für die Angestellten bei gleichzeitig schlechter Bezahlung sei kein Modell für die Zukunft, die Branche müsse umdenken, so der 45-jährige Koch. Aber stimmt das auch? Oder ist Redzepis Aussage bloss eine PR-Finte, sind dem Miterfinder der New Nordic Cuisine einfach die Ideen oder die Lust ausgegangen? 

 

Kunst der Schlagzeile. Fünfmal wurde das «Noma», das mittlerweile am zweiten, eigens erstellten Standort in Kopenhagen untergebracht ist, zum «World’s best Restaurant» gewählt. Mit Pop-ups in Mexico oder Australien, Ameisen als Amuse Bouche, mit festen Themen-Menüs (Meer, Gemüse, Jagdsaison), mit Büchern oder mit Burgern während der Corona-Zeit gelang es René Redzepi immer wieder, die Gastronomie-Schlagzeilen zu dominieren. Kaum ein Küchenchef beherrschte die Kunst der Werbung in eigener Sache so formvollendet wie der Däne.

Noma - Kopenhagen -

Fünfmal «World’s best Restaurant»: Ende 2024 schliesst das «Noma» in Kopenhagen.

Mehr Geld vom Gast. Natürlich sind Löhne und Arbeitsstunden ein Thema in der Gastronomie. Aber dass ein Restaurant wie das Noma mit drei Sternen und allen erdenklichen Auszeichnungen obendrauf nicht funktionsfähig betrieben werden kann, ist für viele Köche mit denen wir gesprochen haben, schwer nachvollziehbar: «Gerade jemand wie René Redzepi hätte alle Möglichkeiten, das Konzept zu ändern. Probleme hat man in der Küche jeden Tag, aber deshalb wirft man nicht gleich das Handtuch», findet etwa Heiko Nieder. Der Küchenchef im «The Restaurant» und Culinary Director im Swiss Deluxe Hotel The Dolder Grand hat im Laufe der Jahre Starchefs aus der ganze Welt in seiner Küche gehabt. Während seines hochklassigen Gourmetfestivals The Epicure höre er von vielen internationalen Kollegen Klagen. «Vor allem die Einsicht, dass man vom Gast mehr Geld für die Leistung, die wir erbringen, verlangen soll, setzt sich durch», sagt Nieder. 
 

«Es gibt Möglichkeiten.» Für Redzepis Schlussfolgerung, auf Grund der Schwierigkeiten, sein Restaurant zu schliessen, hat Heiko Nieder wenig Verständnis: «Wenn man im Leben weiterkommen will, arbeitet man in jedem Beruf mehr als acht Stunden – das gilt für jeden Arzt, aber halt auch für Köche. Wir haben bei uns eine Vier-Tage-Woche und die Mehrstunden werden fair ausgeglichen. Es gibt also schon Möglichkeiten, die Probleme anzugehen», so der 19-Punkte-Koch.

ABGEGOLTEN Innenansicht Frehner, Marius (Koch, Kuechenchef) im Restaurant Gamper. Gamper Zuerich Zürich, 14.11.2017 © Lucian Hunziker

«Wir Gastronomen lügen uns selbst in die Taschen»: Marius Frehner («Gamper», Zürich).

Heiko Nieder Easter Menue 2022 Heiko Nieder, Frühlingsmenu, The Dolder Grand, Hotel,  Zürich, ZH 2022

«Bei Problemen wirft man nicht gleich das Handtuch»: Heiko Nieder («The Dolder Grand», Zürich).

Gratisarbeit als Businessmodell. Ganz andere Voraussetzungen als Heiko Nieder in einem glamourösen Hotel hat «Gamper»-Chef Marius Frehner (15 Punkte»), der in seiner Quartierbeiz im Zürcher Kreis 4 täglich die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit in Bezug auf Waren und Personal zu halten versucht. Auch Frehner sieht die «Noma»-Schliessung kritisch: «Das Business-Model des ‹Noma› hat unter anderem auf Gratisarbeit beruht. Wenn fünf Leute Sonnenblumenkerne schälen, um daraus einen Risotto zu kochen, kostet der so viel, dass niemand mehr bereit ist, dafür den angemessenen Preis zu bezahlen», sagt der Gastronom. Die Realität in der Gastronomie sei, dass die Preise nicht stimmen. «Wir lügen uns selbst in die Tasche», sagt Frehner dezidiert.

 

Fine Dinig ist nachhaltig. Zunehmenden Druck in der Hotellerie, beobachtet Jürg Schmid: «Die Gäste haben weniger Geduld, die Toleranz für Fehler ist gering, scheint mir.» Der Verwaltungsratspräsident von «The Living Circle» hält Fine Dining zur Positionierung der erstklassigen Hotels der Gruppe – «Widder» und «Storchen» in Zürich, «Alex» in Thalwil und «Castello del Sole» in Ascona – gleichzeitig für enorm wichtig: «Die Gastronomie gewinnt allgemein an Bedeutung, und für uns ist sie auch ökonomisch nachhaltig, weil wir dank unserer Spitzenköche Übernachtungen generieren. Gleichzeitig helfen uns Köche wie Stefan Heilemann, Stefan Jäckel, Michael Schuler oder Mattias Roock, dass die Gäste auf uns aufmerksam werden.»

Juerg Schmid

«Wenig Toleranz für Fehler»: Jürg Schmid, Verwaltungsratspräsident von «The Living Circle».

Der Verteilkampf um Talente. Der erfahrene Touristiker Schmid sieht aber auch den enormen Kostenschub in der Branche: «Energie- und Warenkosten steigen, und weil immer weniger Leute auf dem Markt sind, steigen auch die Personalkosten», sagt er. In der Spitzengastronomie finde ein Verteilkampf um Talente statt, «nur hervorragende Arbeitgeber können hier bestehen», so Schmid. The Living Circle und die mit der Gruppe verbundenen Unternehmen von Andreas Caminada haben darum eine «Academy» aufgebaut, in welcher Mitarbeiter in ihren Spezialgebieten geschult werden und auch Einblicke in neue Fachgebiete erhalten. Einen guten Arbeitgeber zeichne nicht nur aus, dass er gute Löhne bezahle, und die Arbeitsstunden im Auge habe, sondern auch, dass er durch gute Führung, Weiterbildung, Wertschätzung und Miteinbezug ein attraktives Arbeitsumfeld schaffe, ist Jürg Schmid überzeugt.

 

Schwache Begründung. Die allgemein bekannten Schwierigkeiten wie Personalknappheit in der Gastronomie, von der allerdings auch andere Branchen betroffen sind, sich im Falle des «Noma» wirklich als Begründung für die angekündigte Schliessung eignen, stellt ein international erfahrener Starchef grundsätzlich in Frage. Er wird im Gespräch ziemlich deutlich, will aber nicht mit Namen genannt werden. «René Redzepi hat jahrelang Praktikanten ausgenutzt, sie ohne Bezahlung arbeiten lassen und mit Knebelverträgen gebunden. Wer frühzeitig aus dem Sechs-Monats-Vertrag aussteigen wollte, wurde gebüsst. Die Probleme, die das ‹Noma› jetzt hat, kann Redzepi nicht einfach auf die gesamte Industrie verteilen, das passt einfach nicht», sagt der erfolgreiche Koch. Ausserdem sei die «New Nordic Cuisine» jahrelang staatlich gefördert worden. Sich jetzt hinzustellen, und über ein finanziell nicht nachhaltiges Geschäftsmodell zu klagen, sei schlicht schwach.

nenad

«So wie Redzepi sein Restaurant führen will, funktioniert es nicht»: Nenad Mlinarevic beim Besuch des «Noma» 2018.

«Renés Modell funktioniert nicht.» Nenad Mlinarevic, der zusammen mit Valentin Diem in Zürich erfolgreich drei Restaurants betreibt, und das «Noma» sowohl als Praktikant wie auch als Gast kennt, fasst René Redzepis Lagebeurteilung pointiert zusammen: «So wie René sein Restaurant führen will, funktioniert es nicht mehr. Aber das heisst nicht, dass es nicht möglich ist, ein funktionierendes Geschäftsmodell zu finden», sagt der frühere Koch des Jahres.

 

>> Fotos: Reuters, Geri Born, Lucia Hunziker, Thomas Buchwalder, Lukas Lienhard