Text: Daniel Böniger I Fotos: Thomas Buchwalder
Mehr als bloss Reis & Fisch. Nigiri? Natürlich könnte man behaupten, diese vermeintlich «simple» Form von Sushi sei bloss ein Bissen Reis mit rohem Fisch. «Ich drücke mit Nigiri aber meine Persönlichkeit aus», sagt Sandeep Tamang, der im Swiss Deluxe Hotel La Réserve Eden au Lac in Zürich als Sushichef arbeitet. Und wer seine japanischen Happen im La Muña zum ersten Mal probieren darf, merkt schnell, dass seine Nigiri um Längen besser schmecken als viele andere. Aber warum?
Salz steigert den Fettgehalt. Es kommt, wie so oft in der Kulinarik, auf zig kleine Details an. Um einige seiner Kniffe zu verraten, hat Sandeep, geboren in Nepal, in die Küche des historischen Fünfsterne-Hotels eingeladen: Er zeigt als erstes, wie er den ganz angelieferten Hamachi aus kühlen dänischen Gewässern für den Abendservice vorbereitet. Mit feiner Klinge schneidet er die Schuppen vom Bauch: «Man könnte den Fisch auch mit einer Stahlbürste oder dem Messerrücken entschuppen, doch dies würde zu viel Druck auf ihn ausüben - die Struktur des Fleischs würde sich ändern.» Zudem soll die Haut unter den Flossen unbeschädigt bleiben. Denn als nächstes legt Sandeep die japanische Gelbschwanzmakrele in Salz ein. Und wartet eine Viertelstunde. So wird Wasser entzogen - der Fettgehalt steigt, und damit auch die Intensität des Aromas. Anschliessend wird der Fisch nochmals gewaschen und schockgefroren, um eventuell vorhandene Parasiten unschädlich zu machen. Zuletzt wird er in ein Kombu-Blatt gewickelt, was dem Endresultat eine besondere Umami-Note verleiht. Wohlgemerkt, auch die anderen Nigiri-Zutaten im La Muña verlangen nach ähnlich aufwändiger Vorbereitung.
Sandeep wird «Sensei» genannt. Sandeeps Chef ist Domenico Zizzi. Der smarte Italiener hat das Konzept im peruanisch-japanischen Restaurant La Muña im sechsten Stock in den letzten Jahren geprägt. Serviert werden dort Ceviche & grillierter Aal, Spiesschen mit Hühnerkämmen & Sashimi. Zizzi verbrachte sechs Jahre in Japan, spricht Japanisch und verteidigt die dortige Speisekultur so engagiert, als würde er über das Risotto seiner Mamma sprechen. Bezüglich seines Sushikochs ist er voll des Lobes: «Sandeep strahlt in jeder Situation Gelassenheit und Ruhe aus - das mag ich an ihm.» Wenn es mal hektisch werde, sollten die Gäste schliesslich nichts davon merken. Chef Zizzi nennt Sandeep mit Augenzwinkern «Sensei», was auf deutsch «Meister» bedeutet.
Noch ein Geheimnis: Kombu im Reis. Sandeeps Werdegang zum Sushimaster hat ihn bisher nach Edinburgh, Portugal und nach Genf geführt: «Von japanischen Lehrern habe ich die ganzen Techniken lernen dürfen, danach musste ich meinen eigenen Weg finden.» Nun macht er sich daran, den Reis für seine Nigiri vorzubereiten. Wo beziehen sie die Grundzutat? «Wir verwenden beste Qualität aus Italien, weil dieser Reis genau die richtige Süsse und Klebrigkeit hat.» Erst wird die Qualität jedes Korns geprüft, möglichst unbeschädigt soll es sein. Mit viel Sorgfalt wird der Reis gewaschen, darauf im Verhältnis 10 zu 9 mit Wasser gemischt und im Reiskocher gegart. In den Topf kommt - ein weiteres Geheimnis - ein Stück Kombu als einzige Würze.
Der Tanz der Finger. Ist der Reis gekocht, kommt er in eine grosse Holzwanne, Hangiri genannt, die stets feucht sein soll - damit sie dem Reis keine Flüssigkeit entzieht. Zwei typische Bewegungsabläufe Sandeeps muss man gesehen haben: Einerseits, wie er nun den roten Reisessig («gibt es nur in Fachgeschäften») mit einer Holzkehle vorsichtig unter den Reis hebt. Er macht dies in sechs oder sieben Schritten, «damit jedes Korn gleich stark gewürzt ist.» Andererseits, wie er genau diesen Reis später auf der Dachterrasse des La Muña mit einem «Fingerballet» zu Nigiri formt: Er bestreicht die Fischtranchen jeweils erst mit frischem (!) Wasabi, dann formt er mit der rechten Hand eine Kugel Reis, legt beides zusammen. Er drückt mit wohldosierter Kraft und fast tänzelnden Bewegungen seiner Zeige- und Mittelfinger alles in die gewünschte Form. Sein Ziel: «Der Reis soll zusammenhalten, bis er im Mund landet. Und dort in die einzelnen Körner zerfallen.»
Der persönliche Touch. Sandeep zeigt auch, wie er die Fischtranchen einschneidet - damit er noch zarter wird. Und damit die Sojasauce, die er auf jedes Nigiri pinselt, mehr Oberfläche findet… Speziell sind seine Nigiri nicht zuletzt wegen ihrer «Toppings». Was man gedankenlos als Dekoration abtun könnte, verleiht den Mundhappen zusätzlichen persönlichen Touch: Auf den Hamachi kommt karamelisierter Ingwer. Aufs den Lachs eine peruanisch angehauchte Kräuter-Wasabi-Salsa. Auf ein Nigiri mit Shrimp eine Scheibe abgeflämmter Tuna, einige Tupfer Shrimp-Bisque und fein geschnittene Frühlingszwiebeln. So schmeckt jedes dieser kleinen Kunstwerke anders - und doch haben sie alle eines gemein: Sie schmecken tausend mal besser als sonst.
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