Text: David Schnapp Fotos: Joan Minder

Frühmorgens auf dem Walensee. 6.45 Uhr ist sehr zeitig für einen Koch, der am Tag zuvor noch bis ein Uhr nachts die Küche aufgeräumt hat. Kein Grund jedoch für Silvio Germann, nicht schon frühmorgens gut gelaunt zu sein. Ziel des Ausflugs: der Walensee. Im Hafen von Walenstadt trifft sich Germann mit dem letzten Berufsfischer auf dem Voralpensee. Hanspeter «Frosch» Gubser ist ebenfalls ein fröhlicher Zeitgenosse und ein zuverlässiger Lieferant qualitativ hochwertiger Süsswasserfische. Der Fischer und der Koch verstehen sich bestens, einmal angekommen an der Boje, welche die Lage des tags zuvor ausgeworfenen Schwebenetzes anzeigt, geht die Arbeit ohne viele Worte voran.

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Ausflug aufs Wasser: beim Netze einholen morgens auf dem Walensee.

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Ohne grosse Worte: Fischer Hanspeter «Frosch» Gubser mit Silvio Germann.

Generation Germann. Die authentische Szene erklärt gut, was die Generation Germann vielleicht von ihren Vorgängern unterscheidet. Der 30-jährige Koch pflegt persönliche, freundschaftliche Beziehungen zu Lieferanten und Produzenten der Region. «Für mich ist es wichtig, wer die Leute sind, mit denen ich zu tun habe», sagt er. Ein Koch der 18-Punkte-Klasse wie Silvio Germann hätte vor zehn Jahren einfach den Lieferanten seines Vertrauens angerufen, um Fisch zu bestellen. Heute aber fährt er selber mit hinaus, die Ausbeute allerdings ist mager. «Der See ist mit sechs Grad ein bis zwei Grade kühler als sonst zu dieser Jahreszeit», erklärt Fischer «Frosch» die bescheidenen sechs Felchen, mit denen er kurz nach neun Uhr wieder einläuft.

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Frisch aus dem See: Ceviche vom Walensee-Felchen mit Grapefruit und roten Zwiebeln.

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Das «Igniv by Andreas Caminada» im Swiss Deluxe Hotel Grand Resort Bad Ragaz ist eine Erfolgsgeschichte.

Burger für Roger Kalberer. Die Qualität des Fisches aber hat Sushi-Niveau, Germann wird daraus später ein Ceviche zubereiten. Davor trifft er sich mit Berufskollege Roger Kalberer im «Schlüssel», Mels. Germann ist Kalberers Trauzeuge, die beiden treffen sich regelmässig, «beim letzten Mal habe ich bei mir zu Hause Burger für ihn, seine Frau und die kleine Tochter gemacht», erzählt Silvio Germann. Als Kalberer kürzlich eine neue Kühlzelle im traditionsreichen Gasthaus einbauen liess, half sein Kollege aus Bad Ragaz selbstverständlich beim Aus- und Einräumen des begehbaren Gefrierschranks. «Sich gegenseitig zu helfen, ist wichtig. Das gilt auch für meine Lieferanten», ist Silvio Germanns Vorstellung von Zusammenarbeit.

 

Freundlich, fleissig, bescheiden. Hört man sich unter Schweizer Spitzenköchen um, fällt nie ein schlechtes Wort über Germann. Der junge Mann, aufgewachsen mit zwei Brüdern in Grosswangen bei Willisau LU, ist immer freundlich, fleissig und bescheiden. Er geniesst das volle Vertrauen seines Förderers und Chefs Andreas Caminada, der ihn 2015 mit der Aufgabe betraut hat, das erste «Igniv» aufzubauen. Daraus wurde eine Erfolgsgeschichte, Silvio Germann gehört mittlerweile zur Kochelite des Landes, und das «Igniv»-Konzept unter dem einladenden Motto «We love to share» ist auch in St. Moritz, Zürich und Bangkok gut unterwegs.

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«Sich gegenseitig helfen»: Roger Kalberer im «Schlüssel», Mels.

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Ein Netz guter Freunde: Patrick Adank und Francesco Benvenuto in Fläsch.

Harmonisch wie eine Boyband. Dass das Restaurant im Swiss Deluxe Hotel Grand Resort Bad Ragaz zum Leuchtturm wurde, hat auch mit Germanns Partner an der Front, Francesco Benvenuto, zu tun. Die beiden wirken so harmonisch wie eine Boyband auf der Bühne. Der 39-jährige Benvenuto gehört zu den besten Sommeliers der Schweiz, in den Kellern der Winzer im traditionsreichen Weinbaugebiet Bündner Herrschaft kennt er sich so gut aus wie in seiner eigenen Wohnung. Der Restaurantleiter bekommt sogar eigene Abfüllungen und schenkt auch mal Wein aus Grossflaschen aus, die er mit sicherem Gespür für die gelungene gastronomische Unterhaltung auf der Schulter durchs Restaurant trägt.

 

In Adanks Schaumwein-Keller. Das führt uns zu Winzer-Nachwuchsstar Patrick Adank. Auch er, ein überaus sympathischer 30-Jähriger, weiss genau, was er tut. Drei Jahre lang hat er im Burgund sein Verständnis fürs Handwerk geschärft, einen Master in Önologie gemacht und lässt nun aus den Pinot-Trauben der familieneigenen Rebberge einen hervorragenden Schaumwein nach der «Méthode champenoise» in der Flasche gären. Sein Extra-Brut hat zwei Gramm Dosage und reift 24 Monate auf der Hefe. «Etwas vom Besten dieser Art in der Schweiz», sagt Sommelier Benvenuto.

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Landwirtschaftliche Leidenschaft: Safran-Produzent und Züchter Jürg Adank mit seinen Schottischen Hochlandrindern.

Safran und Kühe. Nach dem Abstecher in den ehemaligen Militärbunker in Fläsch, wo der Adank-Schaumwein reift, besucht Silvio Germann in Fläsch einen weiteren Adank. Jürg Adank ist allerdings nicht verwandt mit Patrick – und sein Geschäft sind Blüten und Kühe. Hinter einem schlichten, neu gebauten Stall schreitet man erst über ein Feld von der Grösse eines halben Fussballfeldes, wo sich im Herbst die violetten Blüten des Safrans öffnen, bevor die zotteligen Gestalten ins Bild rücken, denen Jürg Adanks landwirtschaftliche Leidenschaft gilt.

 

Streicheleinheiten für Rinder. Eine Herde schottischer Hochlandrinder mit den typischen, schwungvoll gebogenen Hörnern verteilt sich auf der kleinen Wiese und kommt neugierig herbeigetrottet, «um sich Streicheleinheiten abzuholen», wie Jürg Adank erklärt. Das Fleisch der Tiere ist mager, und wegen des tiefen Cholesteringehalts gesund. Silvio Germann hat einen halben Rücken bestellt, der sich zurzeit noch in der Reifephase befindet. Er will den jungen Landwirt unterstützen, und dieser wiederum ist angewiesen auf qualifiziertes Feedback von einem Profi.

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Im «Igniv» (= Nest) beginnt das Essen mit einem Ei, hier mit Lauch, Kartoffeln und Kaviar.

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Zuversichtlich in die Zukunft: Dessert aus Zuckerkugel mit Puffreis aus dem «Igniv».

Nur Gutes für die Zukunft. Silvio Germanns freundschaftliches Netzwerk ist auch Ausdruck einer neuen Generation, die ihr Handwerk mit einem ansteckenden und leidenschaftlichen Enthusiasmus betreibt. Sie alle sind erfüllt von ihrer Tätigkeit und verbreiten eine Zuversicht, die für die nähere Zukunft der Schweizer Gastronomie nur Gutes versprechen kann. 

 

>> Die ganze Reportage findet sich in der neuen Ausgabe des Magazins Al Dente, jetzt am Kiosk.