Bernadette Lisibach, Sie setzen auch mal doppeltes Kalbskotelett auf die Karte. Ein mächtiges Stück Fleisch! Erschrickt da niemand?
Hier in der Ostschweiz sicher nicht! Und mit einem schönen Stück Fleisch kann man ein Essen aufwerten. Natürlich muss die Qualität stimmen – aber ich finde schon: Fleisch gehört weiterhin auf den Tisch! Mir ist wichtig, dass es auch ganz klassisch zubereitet wird.
Was meinen Sie mit klassisch?
Ein Kalbskotelett brät man an, gart es bei niedriger Temperatur weiter, bis es den gewünschten Gargrad erreicht hat. Zuletzt wird es mit Butter nochmals richtig heiss gebraten. Nur so werden Kruste und Aroma perfekt. Es braucht auch keinen Rosmarin in der Pfanne.
Wieso verzichten Sie auf Rosmarin?
Leider verbrennt er meistens und hinterlässt beim Fleisch ein unangenehmes Aroma. Ich greife lieber zur eigenen Würzmischung aus Salz, Pfeffer, Paprika, Curry und anderen Zutaten.
Man könnte vielleicht mit weniger Hitze arbeiten?
Keinesfalls, Fleisch muss doch richtig heiss serviert werden. Leider ist das viel zu selten geworden – oft wird Essen lauwarm an den Tisch gebracht.
Sie scheinen wirklich Freude an solchen grossen Stücken zu haben, oder?
Ja, es macht mir tatsächlich viel Spass, sie zuzubereiten. Da passiert was in der Pfanne, die Struktur verändert sich allmählich. Und wenn man alles richtig macht, zeigt das halt auch, dass man das gelernte Handwerk versteht.
Inzwischen bekommt man vielerorts 40, 50 Gramm eines Filets als Hauptgang.
Ja, und dann meist serviert mit einem ganz speziellen, teuren Messer. Ich muss da immer ein wenig schmunzeln.
Wenn «Lisi» grilliert, gibt es Kotelettes vom Ostschweizer Kalb über dem Feuer.
Bei Ihnen sind die Fleischportionen grösser?
Natürlich. Es geht schliesslich auch um die Dramaturgie während eines mehrgängigen Essens. Der Gast darf ruhig merken, dass er beim Hauptgericht angekommen ist. Man kann ja auch zwei verschiedene Fleischstücke vom gleichen Tier kombinieren.
Und wieso das?
So isst der Gast auch mal ein Stück, das er sonst vielleicht nicht unbedingt bestellen würde. Wieso nicht zum gebratenen Kalbssteak glasierte Milke geben? Oder zum Kalbsfilet etwas Kalbsragout? Grad kürzlich habe ich ein solches Ragout gemacht und mit Kartoffel-Hollandaise-Masse überbacken. Die Gäste bestellten den Hauptgang wegen des Filets, waren am Ende aber begeistert vom Ragout, das sie schon lange nicht mehr hatten. Ein Tier besteht nun mal nicht nur aus Filet.
Sie sind eine Verfechterin von Schweizer Fleisch, oder?
Für mich macht das schon Sinn. Klar, habe ich auch mal Freude an einer Bresse-Poularde aus Frankreich, aber die Fleischqualität hier in der Schweiz ist hoch. Und wenn ich hier Tiere auf der Weide sehe, dann ist es doch auch naheliegend, Rindfleisch in der Region einzukaufen. Damit die Wertschöpfung in der Region bleibt, aber auch aus ökologischen Gründen.
Wer bestellt Fleisch? Sind es die alten Männer, die schwere Rotweine trinken?
Unsere Kundschaft für Fleisch ist sehr durchmischt. Es sind Frauen und Männer, jüngere und ältere. Sie alle verbindet, dass sie sich auswärts etwas gönnen möchten. Vielleicht auch, weil man zu Hause inzwischen tatsächlich weniger Fleisch isst. Das einzige Klischee, das vielleicht zutrifft: Die Frauen mögen lieber mageres Fleisch, ohne Sehnen und Knochen.
In der «Neuen Blumenau» in Lömmenschwil SG (17 Punkte) kommt das Fleisch aus der Region.
Gibt es bestimmte Stücke, die generell unterschätzt werden?
Ja, Milken gehören da ganz bestimmt dazu. Die sieht man inzwischen immer seltener, vielleicht weil niemand mehr weiss, wie man sie zubereitet – bei mir kommen sie aber immer gut an. Und natürlich Kalbshaxen! Gibt es etwas Schöneres, als wenn eine Kalbshaxe im Ofen schmort und das ganze Haus nach dem gerösteten Gemüse zu riechen beginnt? Das ist auch in der warmen Jahreszeit hervorragend, mit Polenta als Beilage. Man hat in der Schweiz ja manchmal fast das Gefühl, im Winter müsse es immer Fondue Chinoise sein und im Sommer immer Grill…
Sie servieren zum Apéro oder als Zwischengang gern mal Tatar. Haben Sie Tricks für diejenigen, die das zu Hause machen möchten?
Man muss aufpassen, dass man das Fleisch nicht allzu klein schneidet. Eine gewisse Struktur muss sein, damit der Fleischgeschmack spürbar bleibt. Auch eine gute Idee: Man kann ja mal statt Ketchup selbstgemachten Tomatensugo zugeben. Und jetzt im Sommer zudem passende Kräuter wie Basilikum. Oder wie wär’s mit Rosmarin und etwas Chili-Öl?
>> Bernadette Lisibach ist Starchef in der «Neuen Blumenau» im sanktgallischen Lömmenschwil. Seit 2020 ist sie dort mit 17 Punkten ausgezeichnet und gehört damit zu den besten Köchinnen des Landes.
Fotos: Olivia Pulver, Joan Minder, HO, Marcus Gyger