Fotos: Thomas Buchwalder
Neue Stammgäste. Die ersten Tage nach der überraschenden Wahl zu GaultMillaus «Koch des Jahres 2024» vergisst der Luzerner Silvio Germann: «Das Telefon klingelte pausenlos. Wir hatten sehr viele Gäste, die den «Mammertsberg» zuvor noch nicht gekannt haben. Viele von ihnen sind Stammgäste geworden.» Stress für den Chef, Stress für die Truppe in Freidorf TG? «Für unsere jungen Mitarbeiter waren die ersten Monate sehr anstrengend. Aber wir haben es gut hingekriegt. Wichtig ist mir, dass wir unsere Lockerheit behalten.» Apropos Stammgäste: Der treueste kommt bis viermal pro Woche, «und wir versuchen immer, ihm etwas Neues zu kochen», sagt der Chef. Grosses Bild oben: Silvio Germann (r.) mit seinem ehemaligen Sous-Chef Jonas Grundner.
«Die Medienpräsenz ist schon krass.» Silvio Germann staunte über das Echo, das die Wahl auslöste: «Schon krass, diese Medienpräsenz. Vor allem in den ersten drei Monaten hatte ich ständig Anfragen für Interviews und Shootings.» Und noch etwas hat der junge Chef beobachtet: «Die Erwartungen sind gestiegen. Aber wir bleiben dran, wechseln alle paar Wochen ein paar Gerichte auf der Karte aus. Gut für die Gäste, gut für uns: Wir wollen ja nicht immer das gleiche Programm abspulen.» Auf den Support seines Mentors Caminada kann er nur bedingt zählen: «Wir reden über Investitionen, die wir im «Mammertsberg» planen, und Andreas ist da, wenn ich eine Frage habe. Aber beim Kochen gehe ich meinen eigenen Weg.»
Die WG mit dem Sommelier. Die letzten Mittagsgäste sind noch da und sitzen zufrieden draussen im Enea-Garten, wenn bereits die ersten Abendgäste eintreffen. Heisst: Harte Tage für alle, auch für den 18-Punktechef. Heim zu seiner Partnerin Monja Mätzler fährt er meist nur an seinen beiden freien Tagen (Montag, Dienstag), sonst lebt er in Freidorf in einer WG, nur wenige Minuten vom «Mammertsberg» entfernt. Sein WG-Partner? Giuseppe Lo Vasco, sein Restaurantleiter und Sommelier. Silvio: «Manchmal kochen wir um ein Uhr morgens noch Spaghetti und öffnen eine gute Flasche dazu.»
Neun (!) Häppchen zum Start! Wie viele Apérohäppchen und Amuse-bouches braucht der Mensch? «Neun!», findet Silvio Germann, GaultMillaus «Koch des Jahres 2024» und legt los: Geschmacksexplosionen im Kleinstformat, die von der Begeisterungsfähigkeit und vom technischen Können der achtköpfigen Brigade zeugen und auch Sinnbild sind von der Grosszügigkeit, mit der man im «Mammertsberg» die Gäste verwöhnt. Die ersten fünf Snacks werden auf der «Apéritif-Etage mit separater Küche finalisiert und serviert: Taco mit Rindfleisch aus der nahen Hinterhofmetzg. Tartelette mit Gartenkräutern und explosiver Sphäre (Gurke, Jalapeño) mittendrin. Sellerie mit Cascara-Tee. Knuspriger Spargel mit Buchweizen. Cracker mit Sbrinz und Trüffel.
Der Kult um Silvios Mini-Gnocchi. Über eine grosse, geschwungene Treppe (by Tilla Theus) geht’s runter ins nordisch-elegante Restaurant und gleich weiter mit der «Einstimmung». Zwei der vier Amuse-bouches haben uns umgehauen: Hauchdünn aufgeschnittene Radiesli, darunter ein Brüggli-Saibling, dazu eine Gartenkräuter-Vinaigrette und geeiste, überraschend «harmlose» Wasabi-Perlen. Und natürlich war auch der Signature Dish des Hauses grandios: Winzig kleine, wunderbare Gnocchi unter einem Nussbutterschaum. Umami pur. «Einige Gäste bestellen die Gnocchi nach dem Hauptgang gleich nochmals», sagt Silvio.
Spargeln mit «Bodenheizung». Silvio Germann hat sich gut eingelebt am Bodensee und entdeckt immer wieder neue Produzenten. Den Spargelbauern Fabian Kummer aus Diepoldsau SG beispielsweise. Auf dem «Schmitterhof» wird Abwärme von einem benachbarten Betrieb eingesetzt. Auf den so «geheizten» Feldern stossen die Stangen sehr früh in der Saison aus dem Boden und sind von bester Qualität. Gilt auch für die «Behandlung» auf Mammertsberg: Der Chef serviert sie mit Buttermilch und mit einem kleinen Spargelragout, den er mit Salzzitrone und Shiso aufpeppt. Auch für den Zander, meist aus dem Lago Maggiore, findet die junge Brigade eine smarte Lösung: Beurre blanc, Muschelfond – und fantastische Erbsli aus Italien.
Die Agnolotti-Surprise. Das «Mammertsberg»-Menü kann man mit «Surprise»-Gängen jederzeit ausbauen. Zwei Specials lassen wir uns nicht entgehen, und vor allem der erste hat uns begeistert: Kleine Agnolotti mit Schmorbraten-Füllung, am Tisch vollendet mit viel Butter, Röstzwiebeln, Käsewasser, Eigelbcrème und Speck-Espuma. Ein Wohlfühl-Löffelgericht! Beim nächsten Gang tappt Germann für einmal in die «too much»-Falle: Er kombiniert einen sauber gebratenen Langustinen-Schwanz mit Pilzsud, Pilzpurée, gehobelten Champignons, gefüllten Morcheln und erst noch mit Foie gras. Man kann’s auch übertreiben.
Wachteln von Fredy von Escher. Klare Verhältnisse im Hauptgang. Wachteln, im Elsass beschafft vom Zürcher Vogelhändler Fredy von Escher. Brust gebraten und «behandelt» mit Piment d’Espelette, Schenkel geschmort, mit Barbecue-Lack, Soja-Honig und Hühnerhaut. Der Knochen ragt verführerisch aus dem kleinen Teller; wir interpretieren das als Einladung zum Fingerfood und packen zu. Erstklassig auch die kleinen Artischocken dazu. Dann übernimmt Pâtissière Steffi Mittler. Sie verblüffte mit einem Kampot-Pfeffer-Eis zu Rhabarber und mit fünf filigranen Friandises. Steffi ist Souschef im «Mammertsberg», wie auch Lukas Messmer. «Die beiden stärken mir den Rücken», sagt Silvio Germann.
«Coche-Dury» im Offenausschank! WG-Partner Giuseppe Lo Vasco begrüsst die Gäste mit einem Bellini, nach einem Originalrezept aus der «Harry’s Bar» in Venedig und mit Pfirsichjen von Nachbarin Doris Würth. Er legt eine riesige Weinkarte auf und greift für seine «Pairings» auch gerne zum «Coravin»: Raritäten wie die Weine von Jacques Tatasciore, den Completer von Gianni Boner oder den weissen Burgunder 2018 von Coche-Dury kriegt man hier glasweise. Wunderschöne Gartenterrasse, by Enzo Enea. Sechs Hotelzimmer.