Wenn aus Skepsis Entzücken wird. Wetten, dass so mancher Gast erschrickt, wenn ihm der Service im Restaurant Mamesa im Südtiroler 820-Seelen-Dorf Burgeis die Komponenten der Desserts aufzählt? Was Kay Baumgardt, GaultMillaus «Patissier des Jahres 2020», im Fine-Dining-Lokal des Hotels Weisses Kreuz aufs Menü setzt, klingt nämlich meist ziemlich abenteuerlich. Chawanmushi mit Erbsen, fermentiertem weissem Spargel und Grapefruit ist so ein Fall. Oder Pistazienglace mit geräuchertem Ziegenfrischkäse und Kaviar. Die Bedenken schlagen aber schon mit dem ersten Löffel in Begeisterung um. Denn Baumgardt ist keiner, der nur um der Verrücktheit willen zu ungewöhnlichen Produkten greift, sondern ein akribischer Daniel Düsentrieb der Patisserie. Er feilt so lange an seinen Kreationen, bis sich aus scheinbar Unvereinbarem Desserts ergeben, die ebenso harmonisch wie spannend sind. Bild oben: Kay Baumgardt und seine Kreation mit Pistazien, Ziegenfrischkäse und Kaviar.

Mamesa

Chawanmushi, Erbsen, Spargel, Grapefruit – bei Baumgardt funktioniert auch das.

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Herb und fruchtig: Koji-Mole, Schokolade, fermentierte Kirsche und Kaffee.

Die Glace umarmt den Kaviar. In besagtem Chawanmushi-Dessert trifft der umamireiche, noch ein wenig warme japanische Eierstich auf die Komplexität der erfrischenden, bitter-sauren Grapefruit und die Süsse der knackigen Erbsen. Bei einem weniger genialen Patissier hätte dieser Dreiklang das Zeug zum Desaster, bei Baumgardt kann man davon nicht genug kriegen. Die Kreation mit dem Kaviar wiederum funktioniert so gut, weil die geschmeidige Pistazienglace den Oscietra aus dem Hause Prunier sanft umhüllt und von seiner Salzigkeit profitiert. Man meint, nicht zwei, sondern eine einzige, schön nussige Komponente zu essen. Der milde, nur leicht geräucherte Ziegenfrischkäse steuert Frische und noch mehr Cremigkeit bei.

Radicchio und Kirsche? Unbedingt! Baumgardts jüngster Streich ist ein Dessert mit einer Creme aus Skyr (magerer Frischkäse), eingelegten Kirschen, einem Chutney aus geschmortem Radicchio und Kirschsaft, Buchweizenglace und gepufftem Buchweizen. «So etwas Gutes ist mir lange nicht mehr eingefallen», sagt er und lacht. Als Patisserie-Consultant (u.a. für Nick Bril) ist der Norddeutsche international gefragt – und auch als Lehrmeister. Nicole Lüthi, das grosse Patisserie-Talent aus dem «Memories» in Bad Ragaz, absolvierte bei ihm ein Praktikum.

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Kindheitserinnerung: Baumgardts Version von Bienenstich.

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Fine Dining mit Blick auf die Berge: Der Speisesaal des «Mamesa».

«Dessert Dining» mit berühmten Kollegen. An speziellen Abenden spielen im «Mamesa» die Desserts sogar die Hauptrolle. Die ersten beiden «Partners in Crime» von Kay Baumgardt: «Hangar 7»-Chefpatissier Stefan Howells (17. Mai 2025) und Thomas Scheiblhofer («Tian», Wien/18. Oktober). Wie schon in seiner Zeit in der «Fernsicht» in Heiden (damals 18 Punkte) verzichtet Baumgardt konsequent auf weissen Zucker, gewinnt die Süsse vor allem durch das geduldige Einreduzieren von Zutaten. So auch beim Dessert mit Mais, weisser Schokolade und Estragon. Der Mais wird mit einer klassischen BBQ-Sauce bepinselt und dann so lange grilliert, bis er karamellisiert, wodurch seine ganze Eigensüsse zu Tage tritt. Die Felchlin-Edelweiss-Schokolade gibt es als Mousse auf Buttermilchbasis, den Estragon als Emulsion und Öl. Ganz zum Schluss des «Mamesa»-Menüs serviert Baumgart jeweils einen klassischen süssen Gruss, inspiriert von seinen Kindheitserinnerungen. Mal orientiert sich dieser Gruss an einem Bienenstich, mal an einem Zwetschgenstreuselkuchen oder an Kuchenteig.

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Das erste Kapitel von «Dessert Dining»: Kay Baumgardt (r.) mit Stefan Howells aus dem «Hangar 7».

Traumhafte Gnocchi und ein Schnitzel der anderen Art. Der Mann, der Baumgardt nach Burgeis geholt hat, heisst Marc Bernhart, stammt aus der Nähe von Stuttgart und nahm während seiner Zeit in der Schweiz eine zentrale Rolle in der Brigade von Stefan Heilemann ein. Im «Mamesa» hat er sich schon auf 17 GaultMillau-Punkte hochgekocht. Mit einer fantasievollen, handwerklich exzellenten Küche, die bei aller Finesse nie die Bodenhaftung verliert. «Wir pushen und gegenseitig, die Zusammenarbeit macht unheimlich Spass», sagt Baumgardt. Besonders gut sind Bernharts Gerichte, wenn sie das alpine Terroir auf den Teller bringen. Bestes Beispiel: die fluffigen Kartoffelgnocchi an einer Sauce auf Basis von fermentierten Pfifferlingen mit gebratenen Pfifferlingen, frisch geriebenem Alpkäse und einer Scheibe Lardo von den eigenen Duroc-Schweinen, die wie die Gnocchi auf der Zunge zergeht. Auf die Frage nach Wiener Schnitzel hat Chef Marc seine ganz eigene Antwort: ein Kalbstatar in knuspriger Panade!

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Gamba blanca, Wasabi, Apfel, Gurke: Eine Seafood-Kreation von Marc Bernhart.

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«Mamesa»-Küchenchef Bernhart arbeitete in Zürich in der Brigade von Stefan Heilemann.

Der grösste Fan? Christian Kuchler! Auch das Meer spielt im «Mamesa»-Menü eine grosse Rolle. Zum Beispiel in Gestalt von roher Gamba blanca mit grünem Apfel, Gurke und Wasabi oder gebratener Rotbarbe mit Artischocken, Miesmuscheln und confierten Cherrytomaten. Zu Bernharts Fans zählt übrigens nicht nur sein früherer Chef Heilemann, sondern auch 18 Punkte-Koch Christian Kuchler aus der «Taverne zum Schäfli» in Wigoltingen TG. Er reist regelmässig nach Burgeis und lässt sich vom kongenialen Duo Bernhardt/Baumgardt verwöhnen. Von der Schweizer Grenze bis ins «Weisse Kreuz» sind es nur etwa 20 Kilometer.

>>> www.weisseskreuz.it