Text: Urs Heller Fotos: Olivia Pulver

Erfahrung 1: «Der Parmesan des Meeres». Jeroen ist keiner, der sich draussen in der Küche versteckt. Er mag den Kontakt mit den Gästen, also bereitet er das erste Amuse-bouche draussen auf der Seeterrasse mit stoischer Ruhe und freundlicher Erklärung gleich selber zu, «Caesar Salad», natürlich einer der besonderen Art: Ein kleines Blatt vom Kopfsalat. Eingelegte Tomaten. Getrocknetes, geräuchertes und geraspeltes Eigelb. Ein «Parmesan», nicht etwa aus Italien, sondern von der Rigi. Viel Aufwand für einen einzigen Bissen, aber wunderbar! Starter No. 2: «Essbare Holzkohle»! Geräucherte Peperoni steckt in der schwarzen Kugel, die man lustvoll in einen indischen Limetten-Dip tunkt. Auch gut: Ein holländischer Toast mit Beeler Sbrinz und Senfkörnern; eine fermentierte Randensauce gibt es dazu. Das Rezept kann man auf der Dose scannen und auf dem iPhone nachlesen. So geht das heute bei den jungen Köchen. Das Kimchi-Taco und das Röllchen mit Chorizo und schwarzem Knoblauch waren auch prima. Ein junger Koch raspelt getrockneten und geräucherten Octopus drüber: «Der Parmesan des Meeres!»

Jeroen Tamme Achtien, Küchenchef Restaurant Sens, Vitznauerhof Vitznau

Eingespielt! Jeroen Achtien und seine holländische Brigade verblüffen im «Sens» Vitznau.

Jeroen Tamme Achtien, Küchenchef Restaurant Sens, Vitznauerhof Vitznau

Bevorzugte Lage direkt am Vierwaldstättersee. Dinner beim Sonnenuntergang.

Erfahrung 2: Zander frisch vom Eis! Kann man Fische «dry-agen» wie einen Mocken Fleisch, den man am Knochen abhängen lässt? «Natürlich», findet der holländische Koch und Zauberer Jeroen Achtien, befreit den Zander von Augen und Kiemen, reinigt und vakuumiert ihn. Der Süsswasserfisch liegt dann bei null Grad fünf Tage auf Eis. «Er reift, kriegt mehr Geschmack», sagt der Chef. «Ice aging» ist für diesen Paradegang allerdings erst die halbe Miete. Genial wird es, weil noch einiges dazu kommt: Blumenkohl. Dünne Bauernspeck-Tranchen, mit der Pinzette serviert, fermentierte Trauben, eine beeindruckende Miso-Sauce. Und ein Gläschen Tonkubetsu Honjozu. «Sake passt am besten dazu», sagt Susanne Nguyen (früher bei Tim Raue), die im «Sens» den Service leitet.

 

Erfahrung 3: Entenleber, ungestopft! Achtien: «Ich mag Foie gras sehr. Aber gestopfte Leber im Menü – das geht heutzutage irgendwie nicht mehr. Also habe ich lange experimentiert.» Seit ein paar Tagen ist die Lösung buchstäblich auf dem Tisch: Der Chef greift zu geklärter Butter, der Foie-Gras-Gang wird zu einem unglaublich sanften Löffelgericht. So geschmeidig, dass Jeroen sofort Gegensteuer gibt: Gebratene Orangenfilets, Kürbis-Kombucha und Yuzu-Gel setzen Akzente. Auch den «Royal Belgian Caviar» gibt es nicht «einfach nur so». Die Komponenten hier: Passionsfrucht (na ja!), Eigelb, Ziegenquark.

 

Erfahrung 4: Auch Lammbäggli kann man schmoren. Im Hauptgang alles vom Muotathaler Lamm, angeliefert von Hausmetzger Markus Heinzer. Erst ein frecher Bärlauch-Bao-Bun mit der kleinen, aber sehr feinen Lamm-Backe (!). Dann das drei Wochen lang gereifte Rückenfilet. Unter einem Sakurablatt liegt der zwölf Stunden lang gegarte Lammhals. Unter einem pikanten Salat entdecken wir die Lamm-Milke. Der Jus dazu hat Power: XO, mit Jakobsmuscheln-Stücken drin! Souschef Marcel Koolen war im Winter für ein paar Monate in Asien; also finden sich immer wieder asiatische Komponenten im Menü.

Holzkohle Gericht Achtien

Essbare «Holzkohle»! Geräucherte Peperoni stecken drin.

Interieur Vitznau

Klein, fein, gestylt. Das «Sens» im Vitznauerhof.

Holländischer Toast

Holländischer Toast, Sbrinz & fermentierte Randensauce.

Erfahrung 5: Käse aus dem Stickstoff & «Suckerbôlle». Langweilig wird es bis zum Schluss nie. Jeroen Achtien kommt nochmals raus aus der Küche, taucht Blauschimmel-Büffelkäse in Stickstoff. Der Effekt im Teller: Für ein paar Sekunden ist der Käse einfach nur kalt – dann entwickelt sich der typische Blauschimmel-Geschmack. «Suckerbôlle» (Zuckerbrot) gibt es dazu, eine Spezialität aus dem holländischen Friesland; dort kommen Achtien und die halbe Küchenbrigade her.

 

GaultMillau meint. «Vitznauerhof»-Chef Jeroen Achtien ist einer der ungewöhnlichsten jungen wilden Köche im Land. «Wild» ist nur die halbe Wahrheit: Seine Kreationen sind perfekt komponiert und wollen nur das eine: Geschmackserlebnisse, möglichst viel Umami. Geschmack ist «King» in der Spitzengastronomie. Verbesserungspotential? Timing! Viereinhalb Stunden am Tisch sind eine Stunde zu viel, auch auf der schönsten Terrasse am Vierwaldstättersee.


Hotel Vitznauerhof
Restaurant Sens 
17 Punkte
Seestrasse 80
6354 Vitznau

www.vitznauerhof.ch

 

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