Interview: Kathia Baltisberger
Martin Thommen, Sie haben ein Gericht auf der Karte, das aus dem 19. Jahrhundert stammt. Der Apfelkuchen. Wie wichtig sind Ihnen Traditionen?
Sehr wichtig. Ich bin im «Bären» aufgewachsen und habe den Gastro-Virus von Kindesbeinen an mitgekriegt. Das ist ein Stück meiner Identität, meines Lebens. Ich sehe jetzt, wie meine Kinder aufwachsen und sich auch schon damit identifizieren. Das ist toll. Aber ich weiss: Das alleine reicht nicht. Man muss sich auch weiterentwickeln. Wir machen zwar nicht jeden Trend mit, aber wenn man schaut, was mein Vater und mein Grossvater gekocht haben, sieht man eine Weiterentwicklung. Konstant ist, dass alle immer Sorge getragen haben, zu dem was man kocht. Den Teig für den Apfelkuchen machten früher immer die Frauen, heute sind meine Mutter und ich dafür zuständig. Wenn ein Kuchen rausgeht, der nicht zu ihrer Zufriedenheit ist, dann ärgert sie sich. Ich möchte meiner Frau und meiner Mutter hier gerne ein Kränzchen winden. Sie repräsentieren das Haus, sie schauen an der Front. Sie sind die Seele unseres Hauses.
Sie wirten in der 14. (!) Generation im Bären. Auf Ihrer Webseite kann man die höchst interessante Geschichte nachlesen. Irgendwie ging es immer, dass jemand aus der Familie nachkam und den Bären übernahm. Haben Sie manchmal Angst, dass Ihre Kinder etwas ganz anderes wollen?
Ich will sicher keins meiner Kinder zu irgendetwas zwingen. Aber wenn sie mit ihren Freunden durchs Haus laufen, um sich ein Glace zu machen, sieht man bereits den Stolz. Meine Geschwister und ich sind alle in der Gastro gelandet. Dabei haben unsere Eltern uns nie etwas Falsches vorgelebt. Wir wussten immer, wie streng es ist. Und meine Mutter hat mir immer ans Herz gelegt, noch in einem anderen Beruf zu schnuppern. Aber ich wollte irgendwann einmal der «Bären»-Wirt sein. Meine Kinder sind jetzt 14, 13 und 6. Zwei müssen sich langsam mit der Berufswahl auseinandersetzen. Mein Sohn war bereits als Koch schnuppern. Das macht mich sicher stolz. Ob es das am Ende wirklich wird, werden wir sehen.
Der Fachkräftemangel ist omnipräsent. Ist die Lage auf dem Land prekärer als in der Stadt?
Ich glaube eher, dass es etwas entspannter ist. Ich habe extrem treue Mitarbeiter, bin in einer sehr privilegierten Lage. Wir haben viel zu tun und schaffen sehr gut. Aber auch ich habe Angst neues Personal zu finden, sollte mal jemand kündigen. Und so schlimm die Situation vielerorts ist, muss man auch mal deutlich sagen: Es gibt auch noch ganz viele Mitarbeiter, die für den Job brennen – so wie meine drei Lehrlinge. Das motiviert auch mich. Und vielleicht ist nicht immer alles so schlecht, wie man sagt oder liest.
Sie sind Präsident der Jeunes Restaurateurs Schweiz. Was tut die Vereinigung der Jeunes Restaurateurs, um das Problem anzugehen?
Es kommt immer mal wieder vor, dass jemand in eine wirkliche Notsituation kommt, und da hilft man auch aus. Aber eigentlich sind wir ja eine grosse Selbsthilfegruppe. Alleine das Gespräch hilft. Man gibt sich Tipps und sieht, dass andere Gastronomen die gleichen Problem haben. Deshalb sind die Jeunes Restaurateurs auch so wichtig für mich. Das sind alles gute Freunde geworden. Es ist wie eine Familie. Man teilt das Schöne, aber auch das weniger Schöne.
Sie selber haben bei «Chrüteroski» Oskar Marti, André Jaeger oder Horst Petermann gelernt. Wie wichtig sind solche Vorbilder für einen jungen Koch?
Ich kann nur für mich reden. Ich hatte eine fundierte Lehre bei Oski. Er hat mir nicht nur die Basis des Kochens beigebracht, sondern auch das Unternehmertum. Wenn wir zu hohe Warenkosten hatten, haben wir das mitgekriegt. Deshalb wollte ich nie in ein grosses Hotel, sondern eben zu Persönlichkeiten wie André Jaeger oder Horst Petermann. Jaeger war ein extrem grosszügiger Chef. Und bei Petermann war ich am Ende seiner Karriere. Wenn ich in diesem Alter noch so viel Herzblut habe, kann ich mich wirklich glücklich schätzen. Ich habe von allen etwas mitgenommen, sei es als Koch oder als Mensch.
Sie führen ein Gasthaus mit Tradition. Wollen die Gäste immer nur die Klassiker oder können Sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen?
Man darf nicht zu radikal sein. Und trotzdem schätzen es die Gäste, wenn wir etwas Neues machen. Dafür kriegen wir immer tolles Feedback. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, diesen Spagat zwischen Tradition und Innovation zu schaffen. Aber man muss sich auch stets hinterfragen: Machen wir das gut? Wollen die Gäste das auch? Mein Lehrmeister Oskar Marti hat immer gesagt: Der Fischer muss an die Angel tun, was der Fisch will, nicht das, was der Fischer will. Ich finde, es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man auf jeden Zug mit aufspringt und dabei gar nicht mehr sich selber ist. Wenn man sich verstellt, kommt nichts Gutes dabei raus.
Regionalität ist in aller Munde. Sie servieren die Utzenstorfer Bachforelle mit grossem Erfolg. Auf der Karte stehen aber auch Loup de Mer oder Lamm aus Neuseeland. Werden Produkte von weit weg bald verschwinden?
Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass der Gast das immer mehr hinterfragt. Doch für mich steht die Qualität an oberster Stelle. Für mich stimmt es nicht, ein regionales Produkt zu verwenden, wenn es nicht gut ist. Und ein Meerfisch kommt nun mal aus dem Meer. Ich esse das gerne selber, bereite es mit Freuden zu. Es gibt doch nichts Besseres als eine Bisque aus Hummerkarkassen und es dann im ganzen Haus gut riecht. Da will ich mich nicht einschränken. Ich finde lokale Produkte wie ein Swiss Black Angus einfach nur toll. Aber ich habe ein grosses Haus. Wenn ich so ein Rind kriege, muss ich mich auch fragen, was mache ich am Tag danach. Die Produkte sind genial, aber ausschliesslich damit kann ich nicht fahren. Und dann muss man auch mal noch ehrlich sagen: Alle reden von Nose to tail, das ist toll. Aber wenn ich dann etwas anbiete mit Kalbskopf und Milken, dann wollen die meisten Gäste eben doch nur das Steak.
Fotos: Thomas Buchwalder, Marcus Gyger, Lucia Hunziker