Silvia Manser, Sie sind jetzt fast 25 Jahre Küchenchefin in der «Truube» in Gais. Was ist Ihr Rezept gegen Langeweile und Routine?
In der Küche gibt es für mich keine Langeweile. Die Gastronomie verändert sich ständig, sie entwickelt sich weiter. Es kommt Trend nach Trend, und da probiert man halt regelmässig neue Gerichte und Zutaten aus. Wer ein bisschen «open minded» ist, verfällt nicht in Routine – nicht einmal im tiefsten Appenzell.
Grosses Bild oben: Silvia Manser und ihr Kalbsrücken mit Gemüse und Jus.
Sind Sie denn parat für den gastronomischen neuen Wind im Appenzell? In Gonten passiert wegen des neuen «Appenzeller Huus» ja grad so einiges.
Ich bin gegenüber der Entwicklung in Gonten sehr positiv eingestellt. Wir haben im Appenzellerland nach wie vor zu wenig Gästezimmer, gerade im gehobenen Bereich. Ich hoffe darum sehr, dass dieses sehr ambitionierte Projekt mit 85 Mitarbeitern in einem 1400-Seelen-Dorf funktioniert. Ich und mein Mann Thomas waren auch schon dort, haben eine Flasche Champagner getrunken und etwas Kleines gegessen. Und bereits kommen bei uns Gäste vorbei, die dort eine Übernachtung gebucht haben. Es ist also weniger eine Konkurrenz, sondern vielmehr eine Bereicherung des Angebots in der Region.

Stehen dem frischen Wind im Appenzellerland positiv gegenüber: Thomas & Silvia Manser.
Wo könnte es Probleme geben?
Gonten ist ein sehr konservatives Örtchen – da ist es nicht ganz einfach, wenn plötzlich ganz viele Leute aus anderen Kulturkreisen auftauchen. Und: Appenzell ist ja auch ein bisschen heile Welt, das ist ja der Hauptgrund, weshalb die Besucher gerne kommen. Wenn aber zu viele Gäste da sind, bleibt diese heile Welt nicht unbedingt bestehen…
Das Golfrestaurant in Gonten wird neu vom Hotel Weissbad betrieben. Dort kommen bis 2029 ja auch noch 28 Hotelzimmer hinzu.
Und damit könnten bei uns ähnliche Herausforderungen auftauchen wie in Zermatt oder St. Moritz. Plötzlich fehlt es an Wohnraum für die Einheimischen oder für die Mitarbeiter in der Gastronomie. Schon jetzt wohnen Letztere ja in Urnäsch oder in Waldstatt. Aber nochmals: Ich begrüsse den Aufwind in der Region grundsätzlich!
Das Tourismus-Plus im Appenzell ist ja, dass die Natur enorm insta-tauglich ist. Sind die Teller in der «Truube» auch so fotogen?
Klar, muss ein Gericht hübsch aussehen, aber es muss am Ende die Erwartungen, die durch die Optik geweckt werden, aromatisch erfüllen können. Hinzu kommt, dass – wie in der Kunst – nicht jeder die gleichen Dinge als schön empfindet. Ein gutes Beispiel ist der Saibling mit gebranntem Rahm von Sven Wassmer. Viele finden den Teller cool, andere aber sagen, dass da ja fast nichts drauf liegt.

Silvia & Thomas Manser mit dem Team, zu dem auch immer Lehrlinge gehören.

In der «Truube» in Gais trifft Fine Dining auf Regionalität.
Sprechen wir über Trends. Machen Sie jeden Hype mit?
Schon lange nicht mehr, dazu bin ich zu geerdet. Den aktuellen Japan-Trend lasse ich zum Beispiel aus. Koche ich Dashi, heisst der bei mir halt Pilzessenz. Ich habe schon ein wenig Mühe, wenn alles Dashi, Kimchi, Miso, Kombu heisst. Vielleicht bin ich diesbezüglich sogar ein wenig konservativ. Auch die Fermentation wird grad richtig gross geredet: Dabei ist Sauerkraut auch fermentiert, und das haben ja unsere Grosseltern schon gemacht. Oder Wagyu – wenn das alle servieren, muss ich das auch tun? Nein, ich bezahle nicht 120 Franken pro Kilo für ein Wagyu-Mischpaket und am Ende wird das Fleisch nicht zart. Obwohl ich denke, dass ich schon ein bisschen kochen kann.
Und welchen Trend haben Sie denn zuletzt mitgemacht?
Es ist zwar schon eine Weile her, aber bei der Molekularküche habe ich das eine oder andere mitgenommen. Die Sphären, die damals auftauchten, mache ich bis heute manchmal.
Sind Sie eigentlich Team Kalbfleisch oder Team Schweinefleisch?
Beides. Speck, Rippli oder ein Schinken vom Alp-Söili ist mindestens so gut wie Kalbfleisch. Aber auch eine geschmorte und glasierte Kalbshaxe ist genial. Wenn ich mich wirklich entscheiden müsste, würde ich wohl das Schweinefleisch nehmen, natürlich von bester Qualität. Keine getriebene Sau, die in der Pfanne die Hälfte des Gewichts verliert. Gutes Schweinefleisch schmeckt intensiv, aber nicht unangenehm. Zurzeit sind ja bei uns Ente oder Kalb als Hauptgang auf der Karte – und die Ente, confiert und als gebratene Brust, läuft ziemlich gut! Auch hier im Appenzellerland.

«Open minded»: In der Krustientier-Sauce zum Hechtfilet hat es auch Kaffee.

Fotogen: Alpenlachs trifft auf Kohlrabi, Frühlingszwiebel & Granatapfelkerne.
Muss es regional sein?
Oft, aber nicht immer. Ich mache auch gerne mal Gänseleber, und die kommt in Gottes Namen halt nicht aus dem Appenzellerland. Aber wir haben Gäste, die sich freuen, wenn sie diese Zutat bei uns auf der Karte finden.
Das Feedback der Gäste scheint Ihnen wichtig zu sein.
Wir haben viel gutes Feedback. Von ganz jungen Leuten um die 20 ebenso wie von älteren Gästen, die auch mal über 80 sind. Das ist richtig schön und gibt mir Genugtuung! Ich habe eine Frau als Gast, die als ersten Satz am Telefon immer sagt: Frau Manser, ich freue mich schon so fest – noch bevor Sie überhaupt ihren Tisch gebucht hat.
Wie steht’s um den Nachwuchs in der Küche? Sie bilden ja Lernende aus.
Eigentlich wollte ich nur noch zwei Lehrlinge aufs Mal einstellen, zurzeit zwei junge Männer im ersten, respektive im zweiten Lehrjahr. Jetzt wurde ich aber von einer jungen Frau aus der Region bezüglich einer Lehrstelle angefragt – und da habe ich trotzdem zugesagt.

Ein gesundes Selbstvertrauen haben alle in der Küche der «Truube».
Es wird behauptet, die jungen Leute hätten mehr Selbstvertrauen als früher. Stimmen Sie zu?
Tatsächlich ist bei vielen ein gesundes Selbstvertrauen vorhanden – aber so viel anders als früher sind die jungen Leute auch nicht. Sie akzeptieren, dass es im Gastgewerbe Zeiten gibt, in denen viel läuft, und Zeiten, in denen es ruhiger zu- und hergeht. Wir besprechen das schon beim Unterschreiben des Lehrlingsvertrages, da sehe ich kein Problem. Was ich aber merke: Man muss schon sehr genau sagen, was man verlangt. Die Eigeninitiative der jungen Mitarbeiter könnte noch grösser sein.
Haben Sie eigentlich Restaurants, die Sie im kommenden Jahr unbedingt besuchen möchten?
Ja, ich möchte unbedingt mal nach München zu Jan Hartwig, der ist schon länger auf meiner Liste. Und, ganz dringend, zu Marco Campanella.
Mit dem Fahrrad?
Das müsste man sich schon überlegen – ins Tessin ist es ja nicht allzu weit. Und auch nach München käme ich mit dem Velo, wenn ich einen Tag mehr frei machen würde. Wir sind von hier aus ja mit dem Auto schneller in München als in Bern.

Mosaik vom Hirschkalb mit Süsskartoffel, Schwarzwurzel & Preiselbeeren.

Routine geht anders: Mascarpone-Creme mit Kaffee & Passionsfruchtsorbet.
Und was steht 2026 sonst an?
Im Januar geht es zuerst nach Malaga mit den Velos. Dann freue ich mich im März auf einen Frauenabend im Engelberger Hotel Terminus mit zwei Winzerinnen. Auch in die Genuss Galerie Röthelberg von Matthias Luchsinger sind wir eingeladen, eine Art kleines «Hangar 7». Und natürlich kochen wir wieder auf dem Excellence-Schiff.
Gibt es auch Pläne fürs 25-Jahr-Jubiläum der «Truube»?
Eigentlich müssten wir ja im August feiern, aber dann sind wir nochmals in den Ferien. Ob wir vorher oder nachher was machen, ist noch völlig offen. Was jedoch sicher ist: Langeweile und Routine wird es bei uns auch 2026 keinesfalls geben.
>> Silvia Manser ist seit 2001 Küchenchef in der «Truube», Gais AR. Sie führt das Restaurant, ausgezeichnet mit 17 GaultMillau-Punkten, zusammen mit ihrem Mann Thomas, der zugleich der Sommelier des Hauses ist. Die gebürtige Appenzellerin arbeitete zuvor u.a. im «Talvo», Champfer und bei Reto Lampart, sie ist Mitglied bei den Jeunes Restaurateurs (JRE).
Fotos: Remy Steiner, Adrian Bretscher, Valeriano Di Domenico, HO

