Fotos: Remy Steiner

Offene Küche. Bloss zwei Leute in einer offenen Küche und in einem Raum, der eher an ein Wohnzimmer als an ein Restaurant erinnert. Dazu ein Themenabend mit weissem Trüffel aus dem Piemont: Mein Praktikum in der «Cucina Colaianni» in Zürich-Altstetten verspricht, eine aussergewöhnliche Erfahrung zu werden. Antonio Colaianni, Grossmeister der gehobenen italienischen Küche, und sein «Wing Man» Fabio Vulcano kochen im zweiten Konzept der Trattoria Freilager an drei Tagen pro Woche ein Menü im intimen Rahmen – fünf Gänge plus Amuse Bouche, Brot und Friandises gibt es. Grosses Bild oben: Koch Fabio Vulcano, Küchenchef Antonio Colaianni, GaultMillau-Autor David Schnapp.

06.11.2025, Zürich, Restaurant Freilager, La Cucina Colaianni, Antonio Colaianni (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Intime Atmosphäre: Von Donnerstag bis Samstag kocht Antonio Colaianni in seiner «Cucina» im Freilager Zürich.

Spezialgast mit Trüffeln. Heute Abend ist zudem ein Spezialgast angekündigt, der frühere Rohstoffhändler Alex «Gregory» Balazs, der viele Starchefs mit weissem Trüffel aus Alba beliefert. Er ist Teil der Abendunterhaltung. Zunächst aber geht's um weit profanere Dinge als das «weisse Gold aus dem Piemont». Wenn nur zwei Köche (und ein Praktikant) fünf Gänge für 24 Gäste zubereiten wollen, ist eine minutiöse Vorbereitung so unerlässlich wie das lebensrettende Seil für Bergsteiger, das mit buchstäblich felsenfest sitzenden Kletterhaken verankert ist. Antonio beordert mich an die Fritteuse in der grossen Trattoria-Küche. Der Mittagservice ist vorbei, jetzt ist es ruhig hier. Kerbelwurzeln werden in Pflanzenöl goldbraun geröstet, danach auf Küchenpapier kurz entfettet, dann noch warm geschält und auf gleichmässige Länge gekürzt. Der Geschmack nach dem Frittieren ist erstaunlich, er erinnert an Nuss und Kastanie mit einer angenehmen Süsse.

06.11.2025, Zürich, Restaurant Freilager, La Cucina Colaianni, Gericht; Ostriche di Pollo, "Sot-l'y-laisse" vom Huhn, Spinat, Mais und Royale (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

«Poulet-Auster»: «Sot-l'y-laisse" mit Spinat, Mais, Royale und weissem Trüffel.

06.11.2025, Zürich, Restaurant Freilager, La Cucina Colaianni (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Perfekte Vorbereitung: Fabio Vulacno beim Mise en Place.

Dienst an der Friteuse. Fast alles in Antonio Colaiannis Küche wird in mehrstufigen Verfahren zubereitet, die Kerbelwurzeln werden später noch gebacken und in Butter kurz gebraten. Während ich den Metallkorb mit den Kerbelwurzeln im heissen Öl überwache, brät Antonio in einer grossen Bratpfanne Sot-l'y-laisse in viel schäumender Butter an. Poulet-Auster («Ostriche») heisst das Rückenfilet vom Huhn auf Italienisch, es soll später mit einer Royale und Mais serviert werden. Die Gerichte für den Spezial-Abend sind klug konzipiert, um den weissen Trüffel möglichst gut zur Geltung zu bringen. Eine fettige, cremige Komponente wie ein Eierstich unterstützt dieses Ansinnen ziemlich perfekt.

Königsdisziplin Pasta. Zuerst aber geht es jetzt um die Königsdisziplin der italienischen Küche – gefüllte Pasta. In die Bottoni, wie diese Ravioli-Spielart wegen ihres knopfähnlichen Aussehens heisst, kommt eine Füllung aus Ei, Mascarpone und Parmesan. Sie ist, erklärt mir Grossmeister Colaianni, mit etwas Gelatine gebunden, die sich beim Erwärmen wieder verflüssigt, weshalb die Füllung im Mund zerläuft. Antonio Colaiannis Gerichte sind voller solcher kleinen Extras, die den Unterschied zwischen gut und grossartig bilden. Während der Chef den tiefgelben Pastateig mit der Maschine immer dünner ausrollt, erklärt er mir den nachfolgenden Ablauf. Der Teig kommt in eine Kunststoffform mit Halbkugel-Vertiefungen, wird vorsichtig mit den Fingern etwas hineingedrückt. Dann wird mit einem Spritzsack die Füllung aufgetragen, eine zweite hauchdünne Teigbahn darübergelegt. Es braucht im Wortsinn Fingerspitzengefühl, um die Luft mit den Händen vorsichtig zwischen den Bahnen herauszustreichen. Mit zwei Ausstechern erhalten die Bottoni schliesslich ihre endgültige Form und werden säuberlich auf eine Unterlage gehoben. Nach kurzer Zeit läuft die Herstellung Hand in Hand und wird zu einem stillen Prozess von poetischer Schönheit.

06.11.2025, Zürich, Restaurant Freilager, La Cucina Colaianni, Antonio Colaianni (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

«Dafür hassen mich die meisten Trüffel-Händler»: Antonio Colaianni prüft jede Knolle einzeln.

06.11.2025, Zürich, Restaurant Freilager, La Cucina Colaianni, Balazs Alex Gyorgy "Gregory" (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Der Trüffelhändler der Starchefs: Alex «Gregory» Balazs mit dem weissen Gold aus dem Piemont.

Der Geruch entscheidet. Zwischenzeitlich ist Trüffelhändler Alex Balazs eingetroffen, der eine ganze Reihe von Starchefs persönlich beliefert. Es geht zuerst um die Selektion: 500 Gramm Tuber Magnatum Pico, so der wissenschaftliche Name des weissen Trüffels, braucht es für den Abend. Antonio Colaianni nimmt sich für die Auswahl Zeit. «Es kommt nur auf den Geruch an, nicht auf das Aussehen», sagt er. Dass er jeden einzelnen Trüffel in die Hand nimmt, daran riecht und sorgfältig auswählt, möge nicht jeder Trüffelhändler. Danach werde ich mit Alex Balazs ans Spülbecken geschickt: Zu seinem Service gehört, dass er für die prominenten Kunden die Trüffel nicht nur persönlich vorbeibringt, sondern auch wäscht. Weil der Trüffel so frisch sei, könne man ihn problemlos kurz ins Wasser legen, dann wird auch das letzte Sandkorn vom Edelpilz entfernt. «Diese Bürste für Pferdemähnen ist ideal dafür, die hat genau die richtige Härte, um den Trüffel nicht zu verletzen», erklärt Balazs. Ich übernehme anschliessend das Trocknen mit etwas Küchenpapier, danach werden die Trüffel mit einem Hochleistungsgebläse kurz geföhnt, damit sie vollständig trocken sind.

06.11.2025, Zürich, Restaurant Freilager, La Cucina Colaianni (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Service-Zeit: Der Autor schäumt, der Küchenchef kocht (Pasta).

Letzte Handgriffe. Danach ist es Zeit für die letzten Handgriffe vor dem Service. Das Konzept der offenen Küche und nur zwei Köchen funktioniert nur mit einer fehlerfreien Vorbereitung. «Geht etwas schief, kann ich keinen Koch schnell abstellen, um nachträglich noch etwas zu produzieren», sagt Antonio Colaianni. Mit Fabio Vulcano hat er einen souveränen zweiten Mann an seiner Seite, während meine Rolle in den folgenden rund vier Stunden darin besteht, den beiden effizient zuzuarbeiten. Ich platziere Trüffelscheiben auf sardischem Brot, sorge mit dem Stabmixer für einen voluminösen Mais-Schaum oder gebe etwas Crunch auf die ikonische Kombination aus kühlem Rindstatar und lauwarmen Kartoffel-Espuma, die Antonio Colaianni schon seit vielen Jahren begleitet. «Ich hatte einmal einen Gast, der das Gericht viermal am gleichen Tag bestellt hat», erzählt er.

06.11.2025, Zürich, Restaurant Freilager, La Cucina Colaianni (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Ikonisches Gericht: Colaiannis Rindstatar mit Kartoffelschaum und weissem Trüffel.

06.11.2025, Zürich, Restaurant Freilager, La Cucina Colaianni, Gericht; Polpettone & Animelle di Vitello, Hackbällchen und Kalbsmilken, Rahmwirsing und Kerbelwurzel (photo by Remy Steiner for Gault Millau)

Der Hauptgang: Polpettone, Kalbsbries und frittierte Kerbelwurzel mit Rahmsauce.

Gespür für Geschmack. Die Arbeit geht ruhig und routiniert voran. Durch die offene Küche und die private Atmosphäre ist es tatsächlich eher so, als würden wir zu Hause für eine Handvoll Freunde kochen, während auf der anderen Seite die Trattoria mit 96 Gästen brummt. Die üblichen Testosteron- und Adrenalin-Ausschläge einer gewöhnlichen Restaurantküche gibt es in der Cucina Colaianni nicht, gearbeitet wird in kontemplativer Zen-Souveränität. Das hat auch mit der minutiösen Vorbereitung zu tun. Die Gerichte sind wohldurchdacht und offensichtlich das Ergebnis von viel Küchenerfahrung und einem traumwandlerisch sicheren Gespür für Geschmack. Antonio nimmt etwas Butter vom Anbraten der «Sot-l'y-laisse» und gibt sie in eine Kürbissauce, und etwas Fleischsaft der Kalbs-Polpetone kann auch noch genutzt werden, um irgendwo einen zusätzlichen Aroma-Kick zu geben und etwas Gutes noch besser zu machen. Der Gedanke an diese Art von kulinarischer Schönheit – und natürlich der Geruch von weissem Trüffel – begleitet mich schliesslich auf dem Weg nach Hause.

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