Die Biographie prägt seine Karriere. «Drei Sterne waren lange unser Traum» sagt Tohru Nakamura am 17. Juni auf der Bühne der Michelin-Gala in Frankfurt. «Jetzt sind sie unser Mindset.» Er bleibt überraschend cool, als er die höchste Auszeichnung der kulinarischen Welt entgegennimmt. Und das hat, wie so vieles bei dem 41-Jährigen, mit seinen Wurzeln zu tun. In Asien geht man mit Gefühlen anders um als in Europa. Nakamura wuchs als Sohn einer deutschen Mutter und eines japanischen Vaters in München auf. Tagelang ohne eine Schale gekochten Reis? Schwierig, denn: «Reis bedeutet für mich Heimat.» Dasselbe gilt allerdings für einen bayerischen Schweinsbraten mit knuspriger Kruste. Es gibt viele Köche, deren Stil durch die eigene Biografie geprägt ist – selten ergibt das so spannende Kontraste wie bei Nakamura.

Restaurant Tohru in der Schreiberei München, Deutschland, DE © HO Byline Ramon Haindl Neuer Drei-Sterne-Koch Tohru Nakamura, Schreiberei, München, Deutschland

Rundum-Genusserlebnis: Die stilvoll renovierten Räume wirken sehr privat, mit warmen Farbtönen, flauschigem Teppich, Leder-Drehsesseln und geschickt gesetzten Licht-Akzenten.

Koshihikari-Reis & andere Topo-Produkte. Europäische Avantgarde trifft auf japanisches Knowhow, wenn er Chawanmushi, den japanischen Eierstich immer wieder aufs Neue saisonal interpretiert. Zum Beispiel mit spanischen Lágrima-Erbsen (bekannt als «grüner Kaviar»), nur ganz leicht ansautiert, so dass ihre delikat-süssliche Aromatik noch unterstrichen wird. Dazu hausgemachter Entenschinken, Pil-Pil und Sancho-Schaum. Top-Produkte mit kreativer Entourage prägen seine Menüs: Ozaki Wagyu serviert er roh aufgeschnitten und scharf angegrillt für zweierlei Geschmacksempfindungen, dazu Flussaal und milde Habanero mit voller Aromatik, aber nur leichter Schärfe; Balfegó-Thunfisch kombiniert er mit Koshihikari-Reis, Wasabi und Shiokoji. 

Bread, Ozaki Wagyu, Yuzukosho and chanterelles Restaurant Schreiberei, Menu 2024 von Tohru Nakamura, München, GER HO via Lorenz Kubitz Plus One lorenz@plus-one.agency

Nakamuras Lieblingsprodukt: Ozaki Wagyu-Tatar mit angebratenem Sauerteigbrot, Pfifferlings-Velouté & Yuzukosho.

Neuer Drei-Sterne-Koch Tohru Nakamura, Schreiberei, München, Deutschland

Endlich am Ziel: Tohru Nakamura im Eingangsbereich seines Restaurants.

White Chocolate mousse with Myoga julienne on top

Auch die Pâtisserie kann japanisch: Weisses Schokolade-Mousse, Myoga-Topping (japanischer Ingwer).

Der Schnitt entscheidet. Japanische Produkte, Techniken und Aromen sind derzeit weltweit im Trend. Doch viele westliche Köche kratzen nur an der Oberfläche der jahrtausendealten japanischen Kochkunst. Anders Nakamura, der dank fliessendem Japanisch auf dem Fischmarkt in Tokio mit den Händlern reden kann und in mehreren Spitzenküchen seiner zweiten Heimat hospitierte. «Ein japanischer Koch», so Nakamura, «nimmt schon beim Schneiden eines Fisches Einfluss auf die Aromatik – mit dem Messer. Je nachdem wie geschnitten wird, verändert sich der Geschmack.» Sashimi von der Lachsforelle, die bewusst und ganz pur nach Fisch schmecken sollen, schneidet er dick auf, damit der Fisch länger gekaut wird und die Aromatik stärker zur Geltung kommt. Er serviert sie auf dem eigenen Tatar, verfeinert mit Meerrettich und Forellenkaviar.

«Lernen von den Besten.» Sehr asiatisch plante Nakamura auch seinen Werdegang: «Ich wollte von den Besten lernen.» Nach der Ausbildung im Münchner Hotel Königshof wechselte er zu Joachim Wissler (Restaurant «Vendôme» in Bergisch-Gladbach), damals der wohl innovativste Koch Deutschlands und Vordenker seiner Zunft. Es folgten zwei Jahre bei Kochgenie Sergio Herman (zu der Zeit vom niederländischen GaultMillau mit eigentlich nie vergebenen 20 Punkten ausgezeichnet). 2013 wurde Nakamura Küchenchef im Münchner «Werneckhof» und machte sich rasch einen eigenen Namen; der deutsche GaultMillau zeichnete ihn als «Koch des Jahres 2020» aus. 2021 eröffnete er mit Geschäftspartnern «Tohru in der Schreiberei», wo er neben dem Gourmetrestaurant auch das legere Zweitlokal «Bar Tatar» führt, mit einem der schönsten historischen Innenhöfe Münchens. 

In der ehemaligen Stadtschreiberei. Wer Nakamura das erste Mal besucht, staunt: Seine höchst zeitgemässe Küche verssteckt sich hinter einer der ältesten Fassaden Münchens, der ehemaligen Stadtschreiberei (anno 1525) im Herzen der Münchner Altstadt. Eine steile Treppe führt in den ersten Stock, drei top-renovierte Räume mit Butzenscheiben überraschen durch Mut zur Farbe. Gedecktes Orange und Smaragdgrün setzen den Ton, komfortable Leder-Drehsessel und subtil austariertes Lichtdesign verbreiten Wohlgefühl und das Flair eines modernen Wohnzimmers. Wenn dann das Hermannsdorfer Schweinefilet einer bayerischen Vorzeige-Zucht auf den Tisch kommt, in Shiokoji gebeizt und angegrillt, dann ist das wieder einer dieser köstlichen Brüche, die so typisch für Nakamura sind. Serviert wird dieser Schweinsbraten fürs 21. Jahrhundert mit Madeleine von der Blutwurst, Schwarzwurzel, Schneckenbutter und gleich zwei genialen Saucen: klassische Jus mit Périgord-Trüffel und floraler Schaum von Mädesüss. 

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Fotos: Ramon Haindl, Hoang Dang, HO