Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren ersten Job?
Es war hart. Zwei Jahre lang habe ich nur Geschirr gespült und geputzt. Dann durfte ich die Bestellungen des Chefs vom Markt ins Restaurant tragen. Als ich gelernt hatte, Fische auszunehmen, zu schuppen und zu zerlegen, bekam ich endlich einen Posten an der Sushi-Bar. Nach drei Jahren. Ich zitterte vor Aufregung! Da gibt es aber noch eine andere Geschichte…
Erzählen Sie!
Als ich zum Sushi-Koch befördert wurde, war ich 18 und konnte mir kein eigenes Messer leisten. Also fragte ich einen etwas älteren Arbeitskollegen, ob ich sein schadhaftes Messer wieder in Ordnung bringen und danach benutzen dürfe. Er stimmte zu, und ich investierte viel Zeit, um die mit Scharten übersäte Klinge zu reparieren. Als das Messer endlich wieder schön und scharf war, wollte der Kollege von unserem Deal nichts mehr wissen. Diese Lüge tat mir weh. Zum Glück schenkte mir mein Lehrmeister ein paar Monate später ein schönes Messer. Dieses besitze ich heute noch.
Ein gutes Messer ist ungemein wichtig für einen Sushi-Meister.
Ein Koch und sein Messer müssen eine Einheit bilden. So wie ein Violinist und sein Instrument – oder Roger Federer und sein Tennisracket. Deshalb sollte man kein Messer anschaffen, das man nach wenigen Monaten schon wieder austauschen muss, sondern eines, das einen über Jahrzehnte oder sogar das ganze Leben lang begleiten kann. Es muss nicht sündhaft teuer sein, hat aber natürlich seinen Preis.
Ost trifft West: Nori-Tacos mit Avocado und Kaviar à la Nobu.
Markenzeichen weisse Sneakers: Nobu bei seiner Ankunft im Hotel auf Ibiza.
Sushi in Perfektion: Auch darum lieben die Gäste Nobus Lokale.
Unzählige Prominente haben in Ihren Restaurants gegessen. Fehlt noch jemand Wichtiges auf der Liste der Personen, für die Sie gekocht haben?
Ich würde sehr viel dafür geben, meinen Vater bewirten zu können. Er starb bei einem Motorradunfall, als ich acht Jahre alt war. Wir konnten uns nie als erwachsene Menschen miteinander unterhalten, den Tisch teilen und ein gutes Glas trinken. Das bedaure ich sehr.
Welche kulinarischen Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?
Die prägendste Erinnerung ist die an den Duft von Dashi, der von der Küche in mein Zimmer zog, das direkt daneben lag. Morgens bin ich davon aufgewacht. Auch die Pickles, die meine Grossmutter selbst einlegte, sind mir noch sehr präsent.
Gibt es Momente, in denen Sie überhaupt nicht ans Kochen denken?
Während eines guten Gesprächs zu einem anderen Thema. Sonst kreisen meine Gedanken ständig darum. Kochen ist mein Leben. Wenn ich eine Küche, eine Sushi-Bar, Fisch, Fleisch oder Gemüse sehe, beginnt sich das Karussell in meinem Kopf zu drehen. Das ist ein Reflex! Manchmal träume ich sogar davon, Sushi zuzubereiten.
«Manchmal träume ich sogar davon, Sushi zuzubereiten»: Nobu ist Koch mit Leib und Seele.
Wie schaffen Sie es, so viele gute Mitarbeitende für Ihre fast 60 Restaurants zu finden?
Das Geheimnis ist, die Mitarbeitenden so zu behandeln, dass sie lange im Unternehmen bleiben. Enrico Maimonte zum Beispiel, der hier auf Ibiza das Küchenteam führt, ist seit 2013 Teil der Nobu-Familie. Er weiss ganz genau, worauf es ankommt, und formt motivierte junge Leute zu qualifizierten Chefs. Ich muss also eigentlich gar nichts mehr machen. Dank Leuten wie Enrico funktioniert die Ausbildung heute praktisch ohne mein Zutun.
Was macht für Sie gutes Essen aus?
Die Qualität der Produkte. Und das Wissen, sie ihrem Wesen entsprechend einzusetzen. Ich plädiere immer für Einfachheit. Vielleicht mag ich auch deshalb neben der japanischen Küche die italienische Küche am liebsten. Wenn zu viele verschiedene Dinge auf dem Teller sind oder sie zu viele Zubereitungsprozesse über sich ergehen lassen müssen, entsteht leicht ein Durcheinander. Gerade frischer Fisch braucht nicht viel, um hervorragend zu schmecken und bei den Gästen anzukommen.
So wie ihr Yellowtail-Sashimi mit Jalapeños.
Genau! Ich bezeichne dieses Gericht gerne als «One Million Dollar Dish», weil wir nur damit im «Nobu 57» in New York pro Jahr eine Million Dollar umsetzen. Entstanden ist es im Anschluss an ein Charity Dinner. Ich wollte für das Küchenteam etwas zubereiten, schaute in den Kühlschrank und fand ausser dem übrig gebliebenen Fisch noch Jalapeños und Koriander. Um der Kreation Frische zu geben, mischte ich Yuzusaft in die Sojasauce. Alle waren begeistert. Also setzte ich das Yellowtail-Sashimi mit Jalapeños auf die Karte. Der Rest ist Geschichte.
Das Yellowtail-Sashimi mit Jalapeños sorgt im «Nobu 57» in New York pro Jahr für eine Million Dollar Umsatz.
Oft kopiert, nie erreicht: Der Black Cod mit leicht süsslicher Misoglasur ist Nobus berühmtestes Gericht.
Ärgert es Sie, wenn Ihre Gerichte kopiert werden?
Im Gegenteil. Das ist doch ein Kompliment.
Wo auf der Welt ist die Qualität der Fische am besten?
In Japan, Australien und Spanien. Wobei Japan auch durch die enorme Bandbreite des Angebots besticht. Trotzdem würde ich mich gerne einmal in eine Zeitmaschine setzen und in die Epoche zurückreisen, als man noch ausschliesslich mit Wildfang arbeitete und jeder Fisch seine Saison hatte.
Neben Sushi und Sashimi ist auch Tempura sehr wichtig in der japanischen Küche. Was ist das Geheimnis von perfektem Tempura?
Es ist auch hier eine Frage der Sorgfalt. Alle Zutaten müssen die gleiche Temperatur haben: das Mehl, das Wasser, die Eier. Ich stelle sie vor der Zubereitung deshalb in den Kühlschrank, mitsamt der Schüssel, in der ich den Teig anrühren werde.
Den Sushi-Counter für einmal gegen das DJ-Pult getauscht: Nobu während seines Besuchs im Nobu Hotel Ibiza Bay.
Sie sehen mit 76 Jahren fitter denn je aus. Was ist Ihr Zaubermittel?
Ich bin zehn Monate im Jahr auf Reisen, muss viel probieren – auch Desserts – und immer wieder mit jemandem ein Gläschen trinken. So kam ein Kilo nach dem anderen hinzu, und ich fühlte mich einfach nicht mehr so richtig wohl. Also begann ich letztes Jahr mit einer speziellen Diät. Für sechs Monate verzichtete ich komplett auf Kohlenhydrate. Der Effekt stellte sich nach etwa zwei Monaten ein, das war sehr motivierend. Bis heute bin ich mit Reis, Pasta, Brot und Zucker sehr zurückhaltend geblieben.
Machen Sie auch Fitnesstraining?
Gesundes Essen und regelmässiges Training gehen Hand in Hand. Inzwischen habe ich ungefähr 15 Kilo abgenommen und fühle mich 20 Jahre jünger. Die Rückenschmerzen, die mich lange Zeit quälten, sind verschwunden. Auch mein Geist ist viel klarer.
Ein Fan der Schweiz: Nobu mit Andreas Caminada und Jason Atherton (v.l.) 2020 bei einem Besuch im «Badrutt's Palace» in St. Moritz.
Wie gut kennen Sie die gastronomische Szene in der Schweiz?
Wegen des Matsuhisa-Restaurants im «Badrutt’s Palace» bin ich immer wieder mal in St. Moritz. Die Gastkultur in der Schweiz ist grossartig und Ausdruck der Bedeutung des Landes für die Hotellerie und Gastronomie. Angehende Gastronominnen und Gastronomen aus der ganzen Welt gehen nach Lausanne an die École hôtelière, um ihr Handwerk zu erlernen. Nirgendwo ist die Ausbildung besser. Das merke ich den jungen Leuten an, die nach der EHL bei uns anfangen.
Kann es jemand, der in Europa gross geworden ist, zur gleichen Meisterschaft im Umgang mit Sushi bringen wie ein Japaner?
Technisch auf jeden Fall. Das ist eine Frage des Trainings. Doch es gibt noch einen zweiten Aspekt, den kulturellen. Ich glaube, dass die japanische Kultur für Aussenstehende kaum zu erfassen ist, und ich denke auch nicht, dass ich die Besonderheiten der Schweiz oder Italiens jemals so verstehen könnte wie die Einheimischen.
Fotos: HO, Thomas Buchwalder
>> Nobu Matsuhisa betreibt weltweit fast 60 Restaurants und über ein Dutzend Hotels – eines davon auf Ibiza, wo wir ihn zum Interview trafen. Auch in der Schweiz ist der berühmteste japanische Koch der Welt seit vielen Jahren mit einem Lokal vertreten, dem «Matsuhisa» im Swiss-Deluxe-Hotel «Badrutt's Palace» in St. Moritz.