Text: David Schnapp

Erfinder des Fine Dining. Seit 2011 wird die Küche im «Eleven Madison Park» (EMP) in New York mit drei Sternen im «Guide Michelin» ausgezeichnet. Und seit heute Nacht steht fest: Das weltberühmte Restaurant des Schweizer Starchefs Daniel Humm behält die begehrte Auszeichnung auch 2022. Was nach einer Selbstverständlichkeit klingt, ist in Wahrheit eine mittlere Sensation im Fine-Dining-Geschäft. Erstmals überhaupt in der fast 120-jährigen Geschichte des «Michelin» erhält ein Restaurant die höchste Auszeichnung für eine ausschliesslich vegane Küche. «Diese Bewertung hat eine riesige Bedeutung. Der ‹Michelin› hat Fine Dining ja gewissermassen erfunden. Und wer Fine Dining machen wollte, hat sich am ‹Michelin› orientiert», sagt Daniel Humm. «Jetzt habe ich meine eigenen Regeln definiert, was mir Fine Dining bedeutet. Und wenn der ‹Michelin› da mitgeht, habe ich tatsächlich etwas bewegen können.»

Daniel Humm/ Eleven Madison park after reopening

«Meine eigenen Regeln»: Daniel Humm mit seinem Küchenchef Dominique Roy (r.) und Chief Culinary Officer Mike Pyers.

Adrià, Redzepi, Humm. Im Sommer 2021 wurde das EMP nach rund einjähriger Zwangspause mit einem radikalen neuen Konzept wiedereröffnet, gekocht wird seither komplett auf Basis von Pflanzen, tierische Produkte werden nicht mehr verwendet. Der in Zürich und im Kanton Aargau aufgewachsene Schulabbrecher Daniel Humm, der 2003 in die USA ausgewandert ist, etabliert sich mit diesem Schritt und mit der höchsten Auszeichnung des «Guide Michelin» als einer der ganz Grossen der jüngeren kulinarischen Geschichte – zusammen mit Ferran Adrià, dem Erfinder der Molekularküche oder René Redzepi, dem Pionier der regionalen Zutaten. 

Eleven Madison Park Restaurant

Revolution im Fine Dining: «Eleven Madison Park» in New York.

«Entenleber reicht nicht mehr.» «Als wir beschlossen haben, diesen Weg zu gehen, haben wir uns bewusst dafür entschieden, über eine Klippe ins Leere zu springen. Wir wussten nicht, was uns da erwartet», sagt Humm über den Schritt zu einer pflanzenbasierten Spitzenküche, für die es bisher keine Vorbilder und kaum Orientierungspunkte gegeben habe. Aber die Fine-Dining-Szene habe sich verändert, und dass der «Guide Michelin» das anerkenne, sei ein wichtiger Schritt. «Mit Foie Gras wird man heute nicht mehr berühmt. Natürlich kann man das servieren, und viele Gäste essen Entenleber gern, aber es ist keine Basis mehr für Ruhm», sagt der 46-jährige Koch.

«Etwas Besonderes.» In früheren Interviews hat Daniel Humm zwar auch gesagt, dass Auszeichnungen und Titel für ihn nicht mehr die grosse Bedeutung hätten wie noch vor einigen Jahren, als das «Eleven Madison Park» etwa 2017 als bestes Restaurant der Welt ausgezeichnet worden war. «Heute geht es um etwas Anderes als die Bewertung an sich. Dass sich die Welt verändert und vielleicht auch wegen uns verändert, ist etwas Besonderes. Diese drei Sterne sind wie Holzscheite für das Feuer, welches wir entfacht haben. Wir wollen etwas bewirken, und dafür brauchen wir natürlich auch ein gewisses Mass an Anerkennung», so Humm.

Kürbisbutter Brot EMP

Für jede Saison eine andere vegane Butter: Brotrollen und Kürbis-«Butter» im Herbstmenü.

Kaviar Radieschen EMP

«Kochen in seiner höchsten Form»: Tonburi-Samen mit Algen und Radieschen-Tostada.

Beissende Kritik. Das erste vegane Menü in Humms Restaurant beim Madison Square Park stiess nicht überall auf Zustimmung. Die «New York Times» veröffentlichte eine beissende Kritik, in anderen Medien wurde Daniel Humm für alles Mögliche kritisiert. «Nach so vielen Kontroversen und all dem Gegenwind sind diese drei Sterne natürlich ein schönes Zeichen. Und es geht nicht nur um mich, es ist motivierend für das Team. Preise und Auszeichnungen sind schliesslich eine Bestätigung für die viele Arbeit, die man geleistet hat», sagt er.

Wahre Magie. Mit seinen pflanzenbasierten Gerichten und mit einer veganen Küche, die komplett auf vorgefertigte Zutaten verzichtet, hat Daniel Humm eine Türe aufgestossen, hinter der in den kommenden Jahren noch viel Neues zu entdecken sein wird. Vegane Menüs sind heute schon in vielen Top-Restaurants selbstverständlich, aber sie sind immer noch eher exotisch. Sein französischer Kollege Alain Ducasse sei schon dreimal seit der Wiedereröffnung im EMP zu Gast gewesen und habe nach Rezepten für bestimmte Gerichte gefragt. «Das meine Arbeit eine Inspiration ist für jemanden, der mich jahrelang inspiriert hat, ist eine grosse Ehre», beschreibt Humm diese besondere Form der Anerkennung. Und auch das Kochen an sich sieht der Schweizer aus einer neuen Perspektive: «Wenn eine Zucchini von unserer Farm auf dem Niveau eines klassischen Luxusprodukts ankommt, sprechen wir letztlich Kochen in seiner höchsten Form. Aus einem Gemüse ein Gericht zu entwickeln, das man nicht mehr vergisst, ist die wahre Magie unseres Handwerks.»