Text: Urs Heller I Fotos: Nik Hunger
Die «Nose to tail»-Party. Andere Fünfsterne-Hotels fliegen berühmte Chefs aus dem Ausland für einen Galaabend ein. Das «La Réserve Eden au Lac», Zürichs munterstes Luxushotel, importiert lieber Chianina. Chianina? Das sind die weltberühmten, anderthalb Tonnen schweren weissen Rinder aus der Toskana. Bei Chef Marco Ortolani (Bild oben) sind sie gut aufgehoben: Sie werden für eine spektakuläre «Serata Bollito misto» in ihre Einzelteile zerlegt. Die Ansage «Nose to tail» kann man da ziemlich wörtlich nehmen! Ortolanis Partner für die spektakuläre Aktion ist Simone Fracassi, Metzger in vierter Generation aus dem Valle Casentino bei Arezzo in der Toskana. Der redegewandte Fleischer: «Chianina-Fleisch ist viel zu gut, um es nur für die berühmte Bistecca Fiorentina zu verwenden. Deshalb bin ich glücklich, dass hier in Zürich Bollito misto angesagt ist. Wir wollen zeigen, wie gut die «tagli meno nobili» schmecken können.»
Geometria di Bollito. Marco Ortolani und Simone Fracassi halten sich an die Traditionen ihrer Heimat. «Sei tagli classici», also sechs Schnitte müssen es sein für eine perfekte «Geometria di Bollito». Die beiden schufteten im Keller des «La Réserve» zwei Tage lang, dann konnte es losgehen: Testina, Muscolo, Biancostato, Coda, Cotechino, Lingua auf einem Teller. Highlights? Die kräftige Wurstscheibe (Cotechino), die verblüffend zarte Zunge (Lingua), der Kalbsschwanz (Coda), der drei Stunden lang auf dem Feuer war. Glücklicherweise gab’s kräftig Nachschlag: «Ripasso» heisst das, wenn die Köche mit den Pfannen von Tisch zu Tisch gehen und «nachladen». Die Saucen dazu: Salsa verde, saures eingelegten Gemüse, hausgemachte Mayo, roter Pfeffer.
Die geheimnisvollen Cappeletti. «Nose to tail» war kein leeres Versprechen. Chianina steckte in den feinen Crostini und den Mondeghili, vor allem aber in den wunderbaren Cappeletti. «Da stecken wir alles rein, was wir später für den Bollito verwenden.» Die Teigtäschchen waren grossartig; dass sie in einer sehr zurückhaltend gewürzten Consommé dümpelten, verstärkte den Auftritt. Dass man Bollito-Fleisch auch grillieren kann, demonstrierte Chef Marco in einem zweiten Hauptgang: Ein Chianina Special Cut, vollendet auf dem Green Egg. Der «Castello dei Rampolla d’Alceo» (Cabernet Sauvignon, Pétit Verdot, acht Stunden vor dem Service entkorkt), passte perfekt dazu.
«Zeig mir Deine Zunge…» Luxus-Metzger Simone Fracassi, mit den besten Köchen Italiens auf der ganzen Welt unterwegs, weiss alles über die weissen Rinder aus der Toskana. «Entscheidend ist die Fütterung. Die Tiere sollten erst nach zwölf Monaten so richtig Gewicht zulegen. Kriegen sie nicht das richtige Futter, leidet sofort die Qualität. Deshalb will ich alle meine Produzenten persönlich kennen. Wie man diese Tiere zerlegt, hat mir mein Nonno Angiolo beigebracht. Die Ausbildung bei meinem Grossvater begann, als ich zehn Jahre alt war.» Wie erkennt man die Herkunft der Rinder? «Die Zunge sagt’s», lacht Metzger Simone, «nur bei den Chianina-Rindern ist sie so dunkel und lang.»
Moderne DNA: Lifestylig & erfolgreich. «La Réserve»-Besitzer Michel Reybier, Besitzer auch von Cos d’Estournel, will sich nicht auf seine Fünfsterne-Häuser fixieren, sondern auch im Viersterne-Markt Akzente setzen. Musterbeispiel ist der spektakulär umgebaute «Schweizerhof» in Zermatt – sehr lifestylig, sehr erfolgreich. Lifestylig und erfolgreich – das gilt auch für das «La Réserve Zurich». General Manager Thomas Maechler hat dem kleinen Swiss Deluxe Hotel am See eine neue, moderne DNA verpasst. Der DJ legt auch an einer trattoria-mässigen «Serata Bollito misto» unermüdlich auf. Auf den von Philippe Starck designten Zimmer liegen im Winter freche Mützen bereit, auf dass kein Gast an seine Ohren friert.