Text: David Schnapp | Fotos: Giorgia Panzera

Ganz entspannt. Dreissig Minuten vor Start des Abends ist die Stimmung in der Küche erstaunlich entspannt: Olivensphären werden über einem Wasserbad temperiert, Tapioka-Chips sind unter der Wärmebrücke zum Nachtrocknen ausgelegt und Paolo Casagrande bereitet in tiefen Tellern eine seiner Vorspeisen vor. Dafür legt er eine flache, gefrorene und Carpaccio-artige Scheibe aus dünn geklopftem Gambero-Fleisch aus, auf der später die weiteren Komponenten angerichtet werden.

Der freundlichste Drei-Sterne-Koch der Welt. Der gebürtige Italiener Casagrande hat im «Lasarte» in Barcelona als erster Koch drei Sterne für ein Restaurant in der katalanischen Metropole erhalten. Seit 2017 wird das Lokal, welches zum kleinen Imperium von Martin Berasategui gehört, mit der Höchstnote im «Guide Michelin» ausgezeichnet. Und, das ist zwar keine offizielle Bewertung, aber Paolo Casagrande ist der vermutlich freundlichste Drei-Sterne-Koch der Welt. Fragen beantwortet er geduldig lächelnd selbst dann, wenn er eigentlich anderes zu tun hätte, mit seinen Leuten spricht er unaufgeregt leise und für das Service-Meeting nimmt er sich viel Zeit, um alle seine Gerichte ausführlich zu erklären.

Paolo Casagrande Marco Campanella

«Wie ein Auswärtsspiel»: Paolo Casagrande und Marco Campanella in der «La Brezza»-Küche.

300 Snacks. Zu Gast ist der Italiener, der seit über 20 Jahren im Baskenland lebt, beim Schweizer Starchef Marco Campanella im «La Brezza» im Swiss Deluxe Hotel Eden Roc. Es ist ein Abend im Rahmen des Gourmetfestivals San Pellegrino Sapori Ticino, welches zum 16. mal in den besten Hotels im Tessin stattfindet. «Für mich gibt es nicht viel zu tun», erklärt ein ebenfalls entspannter Marco Campanella seine Rolle in der kulinarischen Aufführung. Mit seinem Team wird er zwar rund 300 Snacks zubereiten, ansonsten aber stehe man Casagrande und seinen Leuten bloss unterstützend zur Seite. «Ich poliere heute die Teller», sagt Campanella lachend. Schon zwei Tage im Voraus waren zwei Köche aus dem «Lasarte» in Ascona, um das Dinner vorzubereiten.

Wichtige Kontraste. «Ein solcher Abend ist wie ein Fussball-Auswärtsspiel», sagt Paolo Casagrande. Man spiele als Team, brauche aber auch die Unterstützung der Fans. Normalerweise stehen ihm 22 Köche zur Seite, heute sind es sechs und dazu der Support vom Team Campanella. Trotzdem erhalten die Tessiner Gäste einen ausgezeichneten Eindruck der feinsinnigen, meereslastigen Küche von Casagrande. «Ich koche nicht spanisch, sondern eher mediterran», beschreibt dieser seinen Stil, und hebt hervor, dass Kontraste in den Texturen einen wichtigen Stellenwert in seinen Gerichten hätten. 

Lauwarmer Krustentiersalat Paolo Casagrande

Feinsinnige Küche: Paolo Casagrandes Krustentiersalat mit Gambero-Carpaccio, Zucchini, Algen und Corail-Mayonnaise.

Ein Dessert gibt zu reden. Das eingangs erwähnte Gambero-Carpaccio erscheint am Ende als eine Variation von Jod-Nuancen, die durch die Kombination mit einer leichten Krustentier-Bouillon, Algen und einer Corail-Mayonnaise entsteht. Casagrande kombiniert geschmortes Wagyu-Fleisch in Ravioli mit glasiertem Aal, dazu gibt er eine ebenfalls leicht jodigen Creme und Kaviar dazu oder verbindet sous-vide gegarten und kurz grillierten Steinbutt mit einer Tomaten- und Grapefruitsauce und roten Shrimps. Zu reden gibt an den Tischen allerdings das Dessert: Eine Creme mit weissem Trüffel, dazu Birneneis und Haselnuss-Sponge, das wegen des sehr pointierten, an Trüffelöl erinnernden Aromas für Kontroversen sorgt.

Wagyu Ravioli Aal Paolo Casagrande

Land-Meer-Verbindung: Wagyu-Ravioli mit glasiertem Aal und Kaviar.

Trüffel Birne

Sorgte für Diskussionen: Creme mit weissem Trüffel, Birnen-Eis und Haselnuss.

Geputzt wird gemeinsam. Es bleibt der einzige umstrittene Moment eines ansonsten vollkommen harmonischen Abends. Für Gastgeber Marco Campanella war es «mega interessant» zu sehen, wie in Paolo Casagrandes Gerichten italienische und spanische sowie leicht exotische Einflüsse zusammenkommen. Und vor allem ging von der entspannten Atmosphäre auch nach sieben Gängen nichts verloren: «Am Schluss haben alle – Paolo miteingeschlossen – uns geholfen, die Küche zu putzen. So etwas sieht man sehr selten», sagt Campanella über das Ende dieses Freundschaftsbesuchs.